Es ist der 12. März 2025, ein Mittwoch, kurz vor 14 Uhr. Auf dem Parkplatz der Alten Feuerwache wartet ein Mann und hält gespannt Ausschau. Ein Auto naht, darin sitzen ein 30-Jähriger und am Steuer ein 25-Jähriger. An diesem frühen Nachmittag soll in der Häfler Nordstadt ein Drogengeschäft abgewickelt werden.
Verdeckte Ermittler im Spiel
Was die beiden Männer nicht ahnen: Ihr vermeintlicher Kunde ist ein verdeckter Ermittler der Polizei. Die Kripo ermittelt schon länger in der Häfler Drogenszene, heute soll die Falle zuschnappen. Dabei ist der ganze Komplex größer: Insgesamt observieren die Beamten über viele Monate rund ein Dutzend Verdächtige und tätigen Scheingeschäfte in kleinerem Umfang, dabei ist der 30-Jährige ins Visier geraten. Es geht um 100 Gramm Kokain. 7700 Euro ist als Kaufpreis aufgemacht. Als die Übergabe in einer Nebenstraße erfolgen soll, verhaften Spezialkräfte der Polizei die beiden Männer.

Ein Untersuchungsrichter ordnet in der Folge Untersuchungshaft an. Seit fünf Monaten sitzen die beiden Männer in Haft und warten auf den Prozess. Nun war es soweit: Vor dem Amtsgericht Tettnang mussten sie sich wegen Handels mit Drogen verantworten.
Holpriger Prozessauftakt
Die sommerliche Hitze ist an diesem Morgen in das Innere des Gerichtssaals 2 im historischen Barockschloss noch nicht vorgedrungen. Durch ein offenes Fenster, das massiv vergittert ist, strömt noch kühle Luft herein. Zwei Justizbeamte führen den 25 Jahre alten Angeklagten herein, die Fußfesseln rasseln. Bis der zweite Angeklagte auftaucht, dauert es noch: „Der Transporter kommt aus Ulm und steckt im Stau, das wird 20 Minuten später“, verkündet eine Gerichtsangestellte. Schließlich wird auch der 30-Jährige hereingeführt, an Händen und Beinen gefesselt. Der Prozess könnte eigentlich starten, doch die Dolmetscherin fehlt. Auf die Schnelle wird ein Ersatzdolmetscher organisiert.

Drei Zeugen, allesamt Polizisten, schildern vor Gericht die Vorgänge dieses 12. März 2025 und die weiteren Ermittlungsergebnisse. Dieser Drogendeal war der größte, aber nicht der einzige. Schon seit über einem Jahr haben die Fahnder den 30 Jahre alten Mann im Visier. Verschiedene verdeckte Ermittler geben sich als Kunden aus und kaufen zum Teil bei einem anderen Mann mehrfach kleinere Mengen Kokain. Im Umfeld der Übergaben beobachten die Ermittler oft den 30-Jährigen und vermuten in diesem den Lieferanten des Stoffs.
75.000 Euro im Kleiderschrank
Bereits im April 2024 kommt es zu einer Durchsuchung der Wohnung des Dealers. Im Kinderzimmer finden die Fahnder Kokain, Drogenutensilien und Verpackungsmaterial. Im elterlichen Kleiderschrank kommen 75.000 Euro zutage. Geld, das der 30-Jährige in London legal verdient haben will – Nachforschungen beim dortigen Arbeitgeber werden das später bestätigen, das Geld bekommt er wieder ausgehändigt.

Das Erscheinen der Polizei hat offenbar auf den Dealer keinen nachhaltigen Eindruck gemacht – er tätigte in der Folge weitere Drogengeschäfte – bis zu jenem 12. März 2025. Die Staatsanwältin listet insgesamt acht Fälle auf. Übergaben erfolgen meistens in einem Lokal oder Imbiss in Friedrichshafen. Allein die 100 Gramm Kokain hätten für 3215 Einzeldosen gereicht, mit anderen Verkäufen kommen etwa 6500 Portionen zusammen.
Nur ein Freundschaftsdienst?
Die beiden Angeklagten sind geständig und bereuen vor Gericht ihre Taten. Die Zeugen schildern den 30-Jährigen als den Hauptakteur. Doch welche Rolle spielt der Mann, der am Steuer saß? Gerd Pokrop, zusammen mit Egbert Wöbbecke Verteidiger des 25-Jährigen, spricht von einem Freundschaftsdienst. „Mein Mandant wollte eigentlich nur Schuhe abholen“, ein Mitbringsel aus dem Venedig-Urlaub des 30-Jährigen für seinen Bekannten. Schuhe finden die Fahnder im Kofferraum.
„Falscher Ort, falsche Zeit“, sagt Wöbbecke über die Beteiligung seines Mandanten vor Gericht. Der 25-jährige Angeklagte war zuvor für die Polizei ein völlig unbeschriebenes Blatt gewesen, das sagen die Ermittler aus. „Mit Kokain hat er nichts zu tun“, so sein Anwalt. Telefonkarten, Schlagstock, Klappmesser, Feinwaage: „Nichts, was in der Wohnung meines Mandanten gefunden worden ist, ist illegal“, argumentiert Verteidiger Pokrop. Urintests und Wohnungsdurchsuchung hätten keinerlei Drogenspuren zutage gefördert.
Haupttäter hinter Gittern
Richterin Heike Jakob folgt bei der Strafbemessung der Forderung der Staatsanwältin: Der 30-jährige Haupttäter muss drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Dessen Verteidiger Konstantinos Katsadouros hatte auf eine Bewährungsstrafe unter zwei Jahren plädiert. Dem 25 Jahre alten Mitangeklagten sei lediglich eine Beihilfe und keine Mittäterschaft nachzuweisen, so die Staatsanwaltschaft. Mit einem Jahr Haft, die zur dreijährigen Bewährung ausgesetzt ist, bleibt die Richterin drei Monate unter der Forderung der Staatsanwältin. Dazu muss der 25-Jährige 100 Sozialstunden leisten.