Friedhöfe sind generell ganz besondere Ort. Viele Menschen schätzen die Ruhe. Andere sind sprechen von einer ganz besonderen Stimmung, die als mystisch, unheimlich und gleichzeitig als faszinierend beschrieben wird. So einen ganz besonderen Platz gibt es auch in VS-Schwenningen.
Hier zwitschern die Vögel, alte Baumriesen spenden viel Schatten und der Autolärm ist nur dezent im Hintergrund wahrnehmbar. Der alte Schwenninger Friedhof ist ein echtes Idyll, mitten in der Stadt.
Mitglieder des Schwenninger Heimatvereins wollen den Friedhof nun aus dem Dornröschenschlaf wecken. Denn hier schlummert auch einen großer Schatz der Stadt- und Wirtschaftsgeschichte. Dieser soll nicht in Vergessenheit geraten.

Geschichte: Lange Zeit war der Friedhof offiziell nur noch eine Parkanlage für ruhe- und natursuchende Bürger. Seit 2005 sind hier wieder Urnenbestattungen in Baum- und Gemeinschaftsgräbern möglich.

Was viele nicht wissen: Bis zur Auflassung im Jahr 1961 gab es auf der 3,6 Hektar großen Grünfläche an der Dauchingerstraße im Schwenninger Norden bis zu 1500 Gräber, die dort bis heute unter der Erde schlummern. Sichtbar sind aber nur noch wenige. Rund 180 teils historische Grabsteine haben die Zeit überdauert. Manche werden bis heute von Angehörigen gepflegt und befinden sich in Privatbesitz. Andere sind verwaist, werden überwuchert und verfallen langsam.

Die Ruhestätte entstand bereits 1869 mit der Industrialisierung der Uhrenproduktion. Durch die wachsende Bevölkerungszahl wurde der Friedhof immer wieder vergrößert. Im Jahr 1961 folgte die Auflassung. Auf der Anlage befinden sich zwei Kriegsgräberanlagen und im Zentrum steht die Sophienkirche. Die Kapelle, frühern Markuskirche genannt, wurde 1908 von Christian Mauthe zu Ehren seiner verstorbenen Frau Marie gebaut.

Aktueller Stand: „Wir wollen den weiteren Verfall aufhalten, die verbliebenen Gräber digital dokumentieren und den Menschen zugänglich machen“, erklärt Heimatverein-Vorsitzende Annemarie Conradt-Mach den Vorstoß des Heimatvereins. Die Initiative sei von Unternehmer Peter Hellstern angeregt worden, der in unmittelbarer Nähe zum Friedhof wohnt. Mittlerweile hat sich eine kleine Projektgruppe formiert und erste Schritte auf den Weg gebracht. Eine Anfrage bei der Stadtverwaltung traf auf offenen Ohren und die städtischen Ämter sollen ihre Unterstützung zugesagt haben. So wurde in den vergangen Wochen bereits der Wildwuchs um viele Gräber von Mitarbeitern der Technische Dienste zurückgeschnitten.

So geht es weiter: Jetzt machen sich die Mitglieder an die Dokumentation der rund 180 Gräber mit Geschichten zu den darin bestatteten Menschen, Fotos und einer genauen Kartierung. Weitere Sitzgelegenheiten sollen geschaffen werden und einige Gräber müssen restauriert werden. Das nötige Geld soll über eine Spendenaktion gesammelt zusammenkommen. Conradt-Mach schwebt vor, dass bereits nach den Sommerferien erste Ergebnisse vorliegen und auf einer eigens eingerichteten Internetseite präsentiert werden.
Über an den Gräbern angebrachte Strichcodes – so ähnlich wie bei Waren aus dem Supermarkt – sollen Parkbesucher mit ihren Mobiltelefonen detaillierte Informationen abrufen können, und welche historische Bedeutung die hier bestatteten Familien und Personen für Schwenningen haben. „Sobald die technische Umsetzung feststeht, können Inhalte von den Autoren nach und nach ergänzt werden“, erklärt die Vorsitzende die Pläne. Außerdem müssen bei einigen Ruhestätten noch die genauen Besitzverhältnisse geklärt werden. Auf keinen Fall wolle man die Trauer der privaten Besitzer stören oder behindern.
Bürgerbeteiligung: Bei einem Friedhof-Rundgang mit der Projektgruppe wird schnell klar, dass die Mitglieder bereits über einen reichen Wissensschatz verfügen. Jeder weiß eine andere spannende Geschichte zu erzählen. Doch gebündelt und dauerhaft dokumentiert ist dieses Wissen noch nicht. Das soll sich mit dem Projekt ändern. Zudem wollen die Veranstwortlichen das Wissen der Bürger anzapfen. Sie rufen daher alle Interessierten auf, alte Bilder sowie ihr Wissen zur Friedhofsgeschichte dem Verein zur Verfügung zu stellen. Unterstützung könnte der Verein auch bei der anstehenden Dokumentation gebrauchen. „Einige Bürger haben bereits ihre Hilfe angeboten“, freut sich Siegfried Heinzmann. Kontaktmöglichkeiten zum Verein gibt es auf der Internetseite: www.schwenninger-heimatverein.de

Geschichten: Stundenlang könnte man den Ausführungen der Projektgruppe lauschen. Zum Beispiel dann, wenn sie über die zwei größten Grabfelder von den Familien Kienzle und Mauthe erzählen, die jeweils mehrere hundert Quadratmeter umfassen. Beim Kienzle-Familiengrab soll es gar eine Gruft unter dem imposanten Gedenkbauwerk geben. Nicht weniger interessant ist das deutlich kleinere Grab von Blasius Geiger. Der bedeutende Architekt hat viele imposante Villen und Fabriken der Stadt entworfen, zum Beispiel das Isgus-Gebäude. Oder die Geschichte von Christian Braunmüller, ehemaliger Geschäftsführer der Bärenbrauerei, der von einem Gast im Wirtshaus 1905 erstochen wurde.

Der Friedhof besitzt auch Strahlkaft auf die gesamte Wirtschaftsregion. So liegt hier Matthias Schneider begraben, der 1872 sein Unternehmen in Schwenningen gründete, das heute unter dem Namen Blitz Rotary in Bräunlingen ansässig ist.

Heimatverein: Der Verein wurde 1921 gegründet und zählt heute noch rund 500 Mitglieder. Nach den Kriegsjahren sollen es einmal bis zu 2500 Mitglieder gewesen sein. Trotz Rückgang erscheint einmal pro Monat das sogenannte Heimatblättle mit interessanten Beiträgen zur Schwenninger Geschichte, die von den Vereinsmitglieder beigesteuert werden. Der Verein will setzt sich für heimatlicher Belange und Brauchtum ein, organisiert Vorträge und pflegt zum Beispiel einen Geschichts- und Naturlehrpfad um Schwenningen. Die Mitglieder verhinderten in den 60er-Jahren zum Beispiel auch Pläne der Stadtverwaltung, eine neue Straße mitten durch das Friedhofsgelände zu bauen.