Michael Stöffelmaier, Geschäftsführer des Caritas-Verbandes Schwarzwald-Baar, hat auf Anfrage des SÜDKURIER eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben zu den Plänen der Stadt, einen Gemeinderatsbeschluss vom Oktober 2018 aufzuheben. Darin geht es darum, dass die Stadt Anreize für private Investoren schaffen wollte, mehr Sozialwohnungen zu schaffen. Das ist nach Meinung der Stadtverwaltung nicht nötig, da gerade viel öffentlich geförderter Wohnraum geschaffen werde.

„Im vergangenen Jahr hatte der Caritasverband zusammen mit den anderen Wohlfahrtsverbänden der Liga der freien Wohlfahrtspflege den Beschluss der Gemeinderats begrüßt, eine Wohnraumstrategie für die Stadt Villingen-Schwenningen zu verfolgen, die auch Menschen mit geringem Einkommen zukünftig erschwinglichen Wohnraum garantieren sollte. Dabei haben die Entscheidungsverantwortlichen nicht nur, wie leider sonst zu oft, mit dem Finger auf andere gezeigt (Bund, Land, Wirtschaft) sondern gerade auch im Ziffer 6 eine eigene Verantwortung der Stadt beschrieben.

Gerade dieser Beschlussteil hat unseren Respekt verdient. Sollten doch auch verschiedene städtische Maßnahmen dazu beizutragen, den dringend benötigten sozialen Mietwohnungsbau zu unterstützen. Angesichts der gerade entstehenden Wohnungen meint die Verwaltung, nun auf die Erarbeitung dieser weiteren städtischen Unterstützungsmaß-nahmen verzichten zu können. Der Caritasverband sieht in diesem Verzicht einen für die Stadt peinlichen Rückschritt von der ursprünglich entschlossenen und mutigen Beschlussfassung.

Es mag ja sein, dass die in Bau befindlichen Projekte eine gewisse Entspannung am Wohnungsmarkt schaffen. Es wird aber kaum verwundern, wenn wir aus unserer Beratungspraxis für Menschen mit Einschränkungen unterschiedlichster Art diese Entspannung noch nicht wirklich wahrnehmen. Im Gegenteil, die Anfragen bei der Wohnraumsuche zu unterstützen nehmen bislang weiter zu und in prekären Einzelsituationen springen wir in Einzelfällen als Zwischenmieter ein.

Eine Verantwortung, die eigentlich eine soziale Stadt übernehmen müsste, wie dies zum Beispiel die Stadt Wien auch tut, wohingegen sich andere Großstädte wie Berlin oder Freiburg aus dieser Verantwortung gestohlen haben.
Vor diesem Hintergrund möchten wir darum bitten, in den Bemühungen, zusätzlichen Wohnraum zu ermöglichen, nicht nachzulassen und dies gerade weiterhin als ureigene Aufgabe der Stadt zu sehen.

Wir denken, dass die Bedarfszahlen vom vergangenen Jahr sehr vorsichtig ermittelt waren und meinen, Aspekte zu beobachten, die eher für einen noch weiter steigenden Bedarf sprechen:


1. Aufgrund der notwendigen Arbeitszuwanderung vor allem im Bereich der Pflege, aber auch in der Industrie und dem Handwerk wird der Bedarf an günstigem Wohnraum noch steigen. Dieser Aspekt gewinnt derzeit rapide an Dynamik. Wir bekommen in der Pflege kaum noch Pflegekräfte oder Ausbildungswillige aus Deutschland und akquirieren Ausbildungswillige auf der ganzen Welt. Dafür müssen wir aber auch Wohnraum anmieten. Allein in diesem Jahr haben wir kurzfristig für elf Auszubildende bzw. Mitarbeitende im Freiwilligen Sozialen Jahr, Wohnraum angemietet.


2. Günstiger Wohnraum für Menschen im Alter (Grundsicherung) war in den Bedarfsberechnungen von Pesch und Partner noch gar nicht berücksichtigt. Hier beobachten wir sorgenvoll die Entwicklung, dass immer mehr Menschen auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Hinzu kommt noch die durch die Landesheimbauverordnung verursachte Reduzierung der Pflegeplätze im stationären Pflegebereich. Wie beim Hl. Geist-Spital augenfällig zu beobachten ist, fallen Plätze einfach weg. Auch in unseren eigenen Pflegeheimen werden wir in den nächsten Jahren deutlich Plätze abbauen müssen, um der Landesheimbauverordnung gerecht zu werden. Diese wegfallenden Pflegeplätze bei demographisch bedingter stark stei-gender Pflegebedürftigkeit muss der Wohnungsmarkt zusätzlich aufnehmen. Es ist also auch hier ein eher stärker steigender Bedarf zu erwarten.


3. Das Bundesteilhabegesetz, das derzeit in Stufen umgesetzt wird, verschafft unter dem Stichwort Inklusion zurecht zunehmend Menschen mit einer Behinderung die Möglichkeit, ein selbstständiges Leben zu führen. Dazu gehört es auch, sich selbst eine Wohnung zu suchen und zu nehmen und tendenziell eher in selbstbestimmten Wohnformen zu leben. Die stationären Einrichtungen, die bisher für viele Menschen mit einer Behinderung der einzige Ort waren, an dem sie leben konnten, werden zunehmend kleiner werden und Menschen eher auf Wohnquartiere im Gemeinwesen verweisen. Auch durch diese gewünschte und längst überfällige Tendenz wird eine weitere Gruppe von Menschen auf den Wohnungsmarkt vor allem im städtischen Bereich drängen, weil dort die Infrastruktur für Menschen mit einer Behinderung besser ist als im ländlichen Bereich.


4. Verschiedene Gruppierungen haben die Stadt aufgefordert sich der Initiative „Seebrücke“ anzuschließen und ein Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit zu setzen. Dieser Aufforderung schließen wir uns als Caritasverband ebenfalls an. Damit einher geht die Verantwortung für flüchtende Menschen ebenfalls Wohnraum zu schaffen, damit Menschen, die dem Sterben im eigenen Land und dem Sterben bei der Flucht über das Meer entkommen sind, eine sichere Wohnung in Villingen-Schwenningen finden.


Insgesamt haben wir großen Respekt vor dem, was die Wohnungswirtschaft in Villingen-Schwenningen innerhalb eines Jahres geschaffen hat und hoffen, dass die entstehenden günstigen Wohnungen sehr bald zur Verfügung stehen. All diese heute günstigen Wohnungen mit einer Zweckbindung im sozialen Bereich werden allerdings in 25 Jahren wieder wegfallen, wenn die Bindung ausläuft. Daher sollten nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt und die Anstrengungen, kontinuierlich für günstigen Wohnraum zu sorgen, konstant fortgesetzt werden. Die Kommune muss hier Verantwortung zeigen und übernehmen.


Wir halten es auch vor dem geschilderten Hintergrund für unverzichtbar, die Maßnahmen, die laut Beschluss vom Oktober des vergangenen Jahres bereits hätten im Januar vorgelegt werden sollen, zusammenzutragen, so-dass der Gemeinderat erforderliche Beschlüsse zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus durch die Stadt schnell fassen kann und einen Überblick darüber hat, welche Stellschrauben ihm hier überhaupt zur Verfügung stehen. Daher bitten wir den Gemeinderat (Technischen Ausschuss) den unter Ziffer 6 am 24. Oktober 2018 gefassten Beschluss nicht aufzuheben, sondern ggf. der Verwaltung für die Umsetzung einen längeren Zeitraum einzuräumen.


Mit dem Maßnahmenkatalog könnte der Gemeinderat dann auch gezielter sozialen Wohnungsbau (möglicherweise auf Antrag eines Bauträgers) in bestimmten Quartieren fördern, um die Bildung von sozialen Brennpunkten zu vermeiden und würde sich nicht aus seiner sozialen Verantwortung steh-len. Auch würde es der Stadt gut anstehen sich hinsichtlich des Magin-Geländes endlich zu erklären und auch dort in eigener Verantwortung sozialen Wohnungsbau umzusetzen.