„Ich kapiere Sie nicht. Sie alle nicht, die Sie hier zustimmen“, klagte Ulrike Salat mit erhobener Stimme und fixierte die ihr gegenübersitzenden Stadträte mit den Augen.
„Ich verstehe Sie nicht“, wiederholte die Fraktionssprecherin der Grünen und ihr Zeigefinger wanderte von einem zum nächsten. „Sie nicht, Sie nicht, Sie nicht und Sie auch nicht.“
Nicht nur im ägyptischen Scharm El-Scheich wird ums Klima gekämpft, auch in den Gemeinderatsgremien von Villingen-Schwenningen. Dort kämpft die Fraktion der Grünen inzwischen mit wachsender Emotionalität dagegen, dass in den kleinen VS-Stadtbezirken reihenweise Bebauungspläne für Neubaugebiete genehmigt werden.
Wut über Bauen ohne Umweltprüfung und Ausgleich
Was die Grünen in Verzweiflung und Rage bringt, ist nicht der Wohnungsbau grundsätzlich, sondern die aktuelle Praxis in VS: Die Ausweisung neuer Baugebiete in den Ortschaften nach dem „vereinfachten Verfahren“ nach Paragraph 13 b des Baugesetzbuches: Dieser ermöglicht einen Bebauungsplan ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Verpflichtung der Kommunen, für jedes Baugebiet eine geschützte Ausgleichsfläche auszuweisen.
Ziel des Paragrafen war es seitens des Gesetzgebers, den Kommunen das Ausweisen von Wohnbauflächen im Außenbereich zu erleichtern und die Schaffung neuen Wohnraumes zu beschleunigen. Für viele Grünen wie Ulrike Salat ist dieser Paragraph inzwischen ein umweltpolitischer Skandal, forciert er doch aus ihrer Sicht den ungehemmten Flächenverbrauch und damit die wachsende Erwärmung des Weltklimas.

„So geht es nicht weiter“, schimpfte die Fraktionssprecherin der Grünen in der Sitzung des Technischen Ausschusses am Dienstag. Anlass, den Gemeinderäten und der Verwaltung ins Gewissen zu reden, bot die Aufstellung zweier neuer Bebauungspläne. In Tannheim will der Ortschaftsrat an der Zindelsteiner Straße ein neues Wohngebiet in zwei Bauabschnitten realisieren. Im ersten Abschnitt sind auf einem landwirtschaftlichen Feld zwei Mehrfamilienhäuser und 17 Einfamilienhäuser geplant.
Vergrößern will sich auch Herzogenweiler: Im Gewann „Obere Äcker“ ist ein Neubaugebiet in zwei Bauabschnitten für 30 Einfamilienhäuser geplant. Allerdings will Herzogenweiler jährlich nicht mehr als zwei Bauplätze verkaufen, „um nicht überrannt zu werden“, betonte Andreas Neininger, der Ortsvorsteher des 200-Seelen-Ortes.
Kleine Ortschaften wollen überleben
Die kleinen Stadtbezirke kämpfen traditionell für die regelmäßige Ausweisung neuer Baugebiete: Um junge Familien anzulocken und damit ihr Überleben zu sichern. Doch dieses Modell wird aus umweltpolitischen Gründen immer mehr in Frage gestellt.
Oberbürgermeister Jürgen Roth (CDU), der sich von Anbeginn konsequent hinter die Forderung der kleinen Ortschaften gestellt hat, erklärte, es sei übertrieben und schade, wenn die Grünen behaupteten, die Stadt würde mit ihrer Baupolitik das Weltklima negativ beeinflussen. Er riet der Fraktion, „die Kirche im Dorf zu lassen“ und sich für das Wohl ihrer Stadt einzusetzen.
Die Stadträtinnen der Grünen, neben Ulrike Salat auch Helga Baur und Cornelia Kunkis, hielten dagegen, die Stadt würde den Paragraphen 13b „missbrauchen“. Die Grünen seien nicht gegen Wohnungsbau. Es müssten aber für Neubaugebiete Ausgleichsflächen auf der eigenen Gemarkung ausgewiesen werden, um den weiteren Landschaftsverbrauch zu beschränken. Dass die Stadt dies nicht freiwillig tue, interpretierten die Grünen als mangelnde Bereitschaft für einen klimapolitischen Kurswechsel vor Ort.
Einfamilienhäuser in Verruf
Die Grünen verdeutlichten auch, dass ihnen die Baugebiete für Einfamilienhäuser ein Dorn im Auge sind. Aus Sicht von Ökologen verbrauchen sie zu viel Fläche, zu viele Baustoffe, benötigten viel Energie, verursachten eine Zersiedelung und damit noch mehr Verkehr.
Olaf Wuttge-Greimel, beratender Architekt im Technischen Ausschuss, wies in der Debatte darauf hin, dass es ökologischer sei, Wohnraum im Bestand zu bauen als ständig Neubaugebiete zu schaffen. Der Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung habe sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 den Flächenverbrauch in Baden-Württemberg auf „Netto-Null“ zu bringen. Entscheidend sei es daher, vorhandene Baulücken zu schließen, baulich nachzuverdichten und Ortskerne abzurunden.
Innenentwicklung vor Außenentwicklung
Stadträtin Cornelia Kunkis forderte den OB und Baubürgermeister Detlef Bührer auf, die Ortsentwicklungsstudie der Stadt ernst zu nehmen und die „Innenentwicklung“ der Ortsteile voranzubringen, statt ständig neue Außenbereiche in Bauland umzuwandeln.
Allerdings hielten Roth und Bührer wie auch die Tannheimer Ortsvorsteherin Anja Keller dagegen, dass es bisher nur in wenigen Einzelfällen gelungen sei, Grundstücke in den Ortskernen für eine Bebauung zu aktivieren. Die Innenentwicklung seine eine Daueraufgabe, der man sich intensiv widme, versicherte Bührer. Doch viele Grundbesitzer wollten nicht verkaufen sondern ihre Grundstücke lieber ihren Enkeln vererben, ergänzte der OB.
Verschiedene Wohnangebote schaffen
Frank Bonath (FDP) warb dafür, den Bürgern „unterschiedliche Formen der Wohnbebauung“ anzubieten. Die Staat sollte „nicht den Leuten vorschreiben, wie sie wohnen sollen“. Ähnlich beurteilte dies Gudrun Furtwängler (CDU). Wenn die Stadt Arbeitskräfte in VS ansiedeln und halten wolle, „dann müssen wir auch entsprechende Wohnungsangebote schaffen“, erklärte sie.
Ulrike Salat forderte die Verwaltung am Ende auf, anstelle der immer neuen Ausweisung von Wohngebieten an der Peripherie „mit der gleichen Energie“ den Gebäudebestand im Zentrum zu sanieren. Doch es half nichts. Mit acht Stimmen votierte die Mehrheit für die beiden Neubaugebiete, die vier Grünen stimmten jeweils dagegen.
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