Die EU-Sanktionen gegen Russland nach dessen Überfall auf die Ukraine, die steigenden Gaspreise und ein drohende Gasboykott hinterlassen in vielen produzierenden Unternehmen ihre Spuren. Einige sind stärker betroffen, anderen weniger.
Zu den Betrieben mit einer hohen Abhängigkeit vom Erdgas zählt die Alugießerei Villingen-Schwenningen (AGVS). „Ich schreibe gerade unsere Kunden an, um sie über weitere Preiserhöhungen zu informieren“, berichtet Uwe Klier, einer der AGVS-Geschäftsführer, beim Anruf des SÜDKURIER.
Die Liefersicherheit ist für die AGVS mit ihren 190 Mitarbeitern „ein ernstes Problem“, unterstreicht Klier. Der Gießereibetrieb, der vor allem Teile an die Nutzfahrzeug-Hersteller zuliefert, ist nach seinen Worten in der Produktion „zu 80 Prozent vom Energieträger Gas abhängig“. Er weiß: „Wir sind der zweitgrößte Gaskunde der Stadtwerke in Villingen.“
Bei Engpässen die Produktion drosseln
Für den Geschäftsführer ist klar: Sollte Putin Deutschland den Gashahn vollends zudrehen und es entsteht eine Notlage mit Einschränkungen der Gaslieferung an die AGVS, „müssen wir die Produktion runterfahren“. Dass Russland diesen Schritt bald vornehmen wird, daran hat er wenig Zweifel. „Ich glaube, es wird so kommen.“ Dann bleibt die Frage, wer bei der Gaszuteilung Abstriche machen muss.
„Wir als Unternehmen wünschen uns daher eine dringende Änderung der Gesetzeslage“, sagt Uwe Klier in Richtung Bundesregierung. Es mache wenig Sinn, dass die Privathaushalte nach jetziger Rechtslage im Boykottfall uneingeschränkt weiter mit Gas beliefert werden und Bereiche der Industrie unter Umständen stillstehen. „Dann sitzen die Leute daheim um Warmen, haben aber keine Arbeit mehr.“
Flüssiggas wäre eine Alternative
Auch die AGVS prüft, wie sie der Abhängigkeit vom russischen Gas entkommen kann. Am schnellsten könnte die Produktion wohl auf den Energieträger Flüssiggas umgestellt werden. Doch das ist nicht von heute auf morgen machbar. „Die Umsetzung dauert mindestens ein Jahr“, schätzt der Geschäftsführer. Mittelfristig, bis in rund fünf Jahren, sei auch der Einsatz von Wasserstoff eine Option.
Doch diese Überlegungen helfen dem Betrieb derzeit wenig. In der Gießerei liegt der Anteil der Energie- an den Gesamtkosten bei sechs bis acht Prozent, also vergleichsweise sehr hoch. Und diese Kosten steigen und steigen. Jetzt werden auch noch zwei von der Bundesregierung beschlossene Energie-Umlagen draufgesattelt. Klier: „Wir kommen kaum noch nach, das den Kunden zu erklären.“
Doch nicht nur die Energie, auch die Frachtlieferungen und die Ersatzteilbeschaffung werden immer teurer. Auf zehn bis 40 Prozent beziffert der Geschäftsführer die gestiegenen Einkaufspreise des Unternehmens über alle Produkte. „Das ist eine angespannte Situation, wie ich sie noch nie erlebt habe in der Branche“, sagt er.
Automotive-Kunden fordern „pain share“
Und die wirtschaftlichen Folgen? Die Kosten steigen, die Gewinne sinken. Denn die Weitergabe der Kosten an die Kunden ist schwierig. Gerade die Großkunden aus der Automobilbranche wehren sich. „Die kommen uns mit einer pain share“, berichtet der Geschäftsführer. Ein schöner Begriff, den er erst jetzt richtig kennengelernt hat. Hinter dieser „Teilung der Schmerzen“ steht die Forderung der Kunden, dass sich der Hersteller zur Hälfte an den Mehrkosten beteiligen soll.
Hallenbäder besser ganz schließen?
Schwierige Zeiten also für die AGVS. Umso unverständlicher ist in dieser Situation für Klier, wie zaghaft die Stadt und der Gemeinderat VS bislang agieren, wenn es um Gas-Einsparung im öffentlichen Bereich geht.
Für den aktuellen Vorschlag der Stadtverwaltung, im Falle eines russischen Gasboykotts auf zwei Warmbadetage in den Hallenbädern zu verzichten, hat er aus Unternehmersicht wenig Verständnis. Kommt es hart auf hart, muss es nach seiner Überzeugung vielmehr um die Frage gehen, die Hallenbäder ganz zu schließen.

IMS fürchtet erhebliche Auswirkungen
Ernst beurteilt auch IMS Gear, einer der großen Arbeitgeber der Region, die Lage. „Eine Unterbrechung der Gasversorgung würde erhebliche, noch nicht im Detail absehbare Auswirkungen auf unsere Produktion haben“, sagt Wolfgang Weber, einer der Vorstände des Zahnrad- und Getriebeherstellers mit Niederlassungen in Donaueschingen, Eisenbach und Villingen-Schwenningen.
Für Weber ist klar: „Die erhöhten Energiekosten (Strom und Gas) können wir nicht vollständig kompensieren und sind daher auch gezwungen, die Preise an unsere Kunden zu erhöhen.“
Wieland sagt gar nichts
Zu den energieintensiven Produzenten gehören auch die Wieland-Werke, die in Villingen ein Zweigwerk mit rund 250 Mitarbeitern betreiben. Hier werden Halbfabrikate für die Weiterverarbeitung gefertigt: Hauptsächlich Bänder aus Kupfer- und Kupferlegierungen in blanker, verzinnter und veredelter Ausführung.

Das Thema Gasabhängigkeit scheint im Konzern inzwischen ein sensibles zu sein. Die Anfrage des SÜDKURIER dazu wurde wie folgt beantwortet: „Zu dem angesprochenen Thema möchten wir uns derzeit nicht äußern“, beschied Pressesprecherin Adriana Williams aus der Ulmer Konzernzentrale.
Conti beklagt Zusatzbelastungen
Vom Continental-Werk in Villingen, noch immer größter Industriebetrieb der Doppelstadt, waren ebenfalls keine ortspezifischen Aussagen zu bekommen. Die Konzernzentrale ließ wissen, sie gebe zur Erdgasnutzung einzelner Werke keine Informationen heraus. Für den Gesamtkonzern teilte Oliver Heil, einer der Unternehmenssprecher mit, dass Erdgas im Energiemix von Continental in Deutschland „einen bedeutenden Anteil“ darstelle. Die Abhängigkeit variiere aber stark von Standort zu Standort.

Dass es sich bei dem Thema nicht um „Peanuts“ handelt, zeigt indes folgende Aussage: „Grundsätzlich rechnen wir für das Gesamtunternehmen im aktuellen Geschäftsjahr mit zusätzlichen Belastungen für Rohmaterialien, Vorprodukte, Energie und Logistik in Höhe von 3,5 Milliarden Euro.“ Damit machen die Teuerungen rund zehn Prozent des Jahresumsatzes (2021: rund 33.8 Milliarden Euro) aus.