Der Romäusturm, der höchste und mächtigste der alten Villinger Wehrtürme, war im letzten Jahr Schauplatz für ein erfolgreiches Pilotprojekt. Dort haben sich – auf menschliches Betreiben hin – drei Dohlenpärchen und zwei Falkenpärchen angesiedelt und fleißig Nachwuchs ausgebrütet.

Die Idee, die dahinter steckt
Die Lokalität könnte nicht besser gewählt sein. Denn die Dohle ist das der Natur abgeschaute Vorbild und Wahrzeichen, mit dem sich die Bewohner des Villinger Rietviertels identifizieren: dem Rietvogel. Doch nicht aus lokalpatriotischen und Brauchtumsgründen wurden hoch über dem Villinger Rietviertel Nistkästen für die beiden Vogelarten eingerichtet. „Es geht um die Artenvielfalt in der Stadt und es geht um die Begrenzung der Taubenplage“, erläutert Christine Blessing.

Blessing ist Mitarbeiterin bei der Hochbauverwaltung der Stadt, dort verantwortlich für die Sanierung der Villinger Stadtmauer und zuständig für den Erhalt der stadteigenen Denkmalgebäude wie der Stadttore und Türme.
Sie hat die Initiative ergriffen, in den mittelalterlichen Türmen und Gemäuern die alten Bekannten, den Turmfalken und die Dohle, wieder heimisch zu machen. Die Dohle war über Jahrhunderte „der Stadtvogel schlechthin“, berichtet sie. „Die Tiere sind in den vergangenen hundert Jahren aber stark dezimiert worden.“ Mit dem Abriss vieler alter Schornsteine gingen ihre bevorzugten Nistmöglichkeiten in den Städten Stück um Stück verloren.
Aus Gründen des Artenschutzes und der Biodiversität fände sie es großartig, würden diese Vögel wieder zum Stadtbild gehören wie einst. Auch das Bild der Turmfalken auf und über den alten Gemäuern der Zähringerstadt sei ein „tolles Erlebnis“, schwärmt die Mitarbeiterin des Hochbauamtes. Als erstes Versuchsfeld für ihre Initiative hat sie sich den Romäusturm ausgeguckt.
Um in der Sache voranzukommen, wandte sich Christine Blessing Unterstützung suchend an die nahegelegene Schule, das Gymnasium am Romäusturm. Dieser Kontakt wurde zum Glückstreffer. Die Schule griff die Idee auf und machte daraus ein Projekt für Jugend forscht, den bekannten bundesweiten Schülerwettbewerb. Die beiden Gymnasiastinnen Norah Scott und Paulina Graf, damals noch in der zehnten Klasse, nahmen das Projekt in die Hand und waren mit Feuer und Flamme dabei.
Das Projekt Jugend forscht
Sie installierten einen Mini-Computer mit selbst entwickelter Software im Romäusturm, um die Vögel im Turm zu fotografieren und eine Bestandsaufnahme zu machen. Sie nahmen den Brutkastenbau in Angriff und sorgten dafür, dass die Kästen in Turm eingebaut wurden. Bei der Umsetzung wurden sie von Lehrern, aber auch von örtlichen Betrieben mit Material und dem Einbau der Nistkästen unterstützt.
Doch die gesamte Recherche, der Entwurf der Nistkästen, die Organisation und Dokumentation lag federführend bei den Schülerinnen. „Es hat unheimlich viel Spaß gemacht“, zieht Pauline Graf beim Gespräch mit dem SÜDKURIER begeistert Bilanz. „Wir haben viel dabei gelernt und Dinge getan, für die unser Herz gebrannt hat“, schwärmt auch Norah Scott von diesem Projekt.

Ihr Enthusiasmus wurde belohnt: Beim Wettbewerb „Jugend forscht“ haben die beiden mit ihrem Falken- und Dohlenprojekt auf Regionalebene einen zweiten Preis errungen. Der Schulleiter, Jochen von der Hardt, ist stolz auf diese Aktion und die Leistung der beiden Schülerinnen. „Ich fand die Arbeit sehr spannend und ein wunderbares Thema für ein Gymnasium“, betont er. Und wenn es nach ihm ging, dann würde diese Arbeit weiter fortgesetzt werden. Und zwar in der eigenen Schule.
Denn auch das über 100 Jahre alte Gebäude des Gymnasiums wird von einem Turm gekrönt. Tauben in Scharen haben von diesem Turm schon lange Besitz ergriffen. Darunter leidet die Bausubstanz. Vor zwei Jahren hat die Stadt unter dem Dach zentnerweise ätzenden Taubenmist aus Jahrzehnten entfernen lassen.
Fortsetzung im Turm des Gymnasiums erwünscht
Ein paar Falken und Dohlen gegen die Taubenplage können also nicht schaden. Schulleiter von der Hardt hofft daher, dass sich Schüler finden, die das Projekt von Norah Scott und Pauline Graf fortsetzen werden. Spätestens, wenn die Stadt wie bereits geplant, den baufälligen Schulturm in den kommenden Jahren erneuern wird, wäre für Jochen von der Hardt der Zeitpunkt gekommen, dort oben Nistkästen für Dohlen und Falken einzubauen, dokumentiert von einer Live-Kamera. Das wäre ein Gewinn für die Schulgemeinschaft, für den Unterricht, für die Gebäudeerhaltung.

„Die Gebäudeschäden durch Taubenmist sind immens“, bestätigt Christine Blessing vom städtischen Hochbauamt. Aufgrund ihrer eigenen Beobachtungen 2021 am Romäusturm hat sie festgestellt, dass die Anwesenheit der Falken und der Dohlen während der Brutzeit die Tauben auf Distanz gehalten oder diese verdrängt hat. Die ersten Erfahrungen scheinen daher erfolgversprechend.
40 weitere Nistkästen für V und S
Deshalb wird die Stadt das Projekt nun flächendeckend ausweiten. Das Hochbauamt hat über 40 Nistkästen bei den Technischen Diensten der Stadt (TTVS) in Auftrag gegeben, die bereits geliefert wurden. Sie werden nun in den nächsten Tagen auf dem Riettor, dem Oberen- und dem Bickentor sowie auf dem Kaiserturm eingebaut werden. Damit können Falken und Dohlen rechtzeitig zur Brutzeit ab Ende März dort ihre Eier legen und brüten.

Auch in Schwenningen werden Nistkästen installiert. Zum einen in der Gartenschule, zum anderen in der Stadtbibliothek. „Dort gibt es ein ganz großes Taubenproblem“, berichtet Christine Blessing. Ziel ist es, mit der Ansiedlung der Greifvögel und der Dohlen zu verhindern, dass sich der Taubenbestand ungebremst vergrößert.
30 Vogelpaten begleiten das Projekt
Um den Erfolg der Maßnahme zu überprüfen, hat das Hochbauamt Vogelpaten gesucht und inzwischen 30 freiwillige Helfer gefunden. Diese sollen beobachten, ob die gewünschte Ansiedlung der Vögel tatsächlich funktioniert, ob und wie sich Dohlen und Falken in den Gemäuern vermehren und wie sich dies auf die Taubenpopulation auswirkt.

Christine Blessing ist zuversichtlich, dass der Plan aufgeht. „Im Romäusturm waren die Nistkästen in kürzester Zeit belegt.“