35 Jahre lang war er Stadtrat, 30 Jahre Mitglied im Kreistag. Rund 20 Jahre lang übernahm er in beiden Gremien die Verantwortung als Frontmann der SPD-Fraktion. „Fraktionsvorsitzender ist der, der immer schafft“, erklärt Edgar Schurr den Unterschied zum einfachen Mandatsträger. Diese Arbeit hat er aber nie gescheut. Doch jetzt, nach sieben Wahlperioden, hängt der bald 70-Jährige die Politik an den berühmten Nagel.

1989 trat Schurr in die SPD ein. Politisiert hat ihn, der einer eher unpolitischen Arbeiterfamilie aus Villingen entsprang, drei Jahre zuvor die schwere Erkrankung seines fünfjährigen Erstgeborenen. Die Krankheit, so mutmaßten die Ärzte, war wohl eine Folge der radioaktiven Bestrahlung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Der Vorfall gab dem Polizeibeamten Schurr einen Ruck, sich politisch zu engagieren.

Auf Anhieb in den Rat gewählt

Dann ging alles ziemlich schnell. Obwohl er keinen sozialdemokratischen Stallgeruch hatte, setzte die SPD den 35-jährigen jungen Mann auf einen guten vorderen Listenplatz. Prompt werde er 1989 in den Gemeinderat gewählt. Schurr avancierte zum ersten Pressesprecher der SPD-Ratsfraktion und als sich sein politischer Ziehvater Dietrich Distel Anfang der 2000er Jahre als Fraktionsvorsitzender zurückzog, wurde Edgar Schurr sein Nachfolger.

Die Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur verleiht Edgar Schurr im Januar 2024 die Willy-Brandt-Medaille samt Urkunde als ...
Die Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur verleiht Edgar Schurr im Januar 2024 die Willy-Brandt-Medaille samt Urkunde als Ankerkennung seiner großen Verdienst um die SPD. | Bild: Ina Klietz

Damit war er auf Ortsebene im innersten Machtzirkel angekommen, organisierte die Meinungsbildung der SPD-Fraktion, stand in ständigem Austausch mit den Fraktionsführern der anderen Parteien und dem Oberbürgermeister, war das Aushängeschild und Gesicht der Ratsfraktion. Rund 20 Jahre blieb er einer der maßgeblichen politischen Strippenzieher der Stadt.

Streiten – aber mit fairen Mitteln

Schurr hat die Aufgabe mit Offenheit, Neugierde und Optimismus angenommen – ein politischer Gentleman, ausgestattet mit der Neigung zur ausschweifenden Rede. Den Kompromiss suchen, die anderen Meinungen und Kräfte respektieren, auf Augenhöhe und offen diskutieren wurde zum Markenzeichen des Fraktionsführers. Andere Ansichten und Interessenlagen kennenzulernen, „das fand ich immer spannend“, sagt er. „Man muss sich im Klaren sein: Politik ist Streit. Aber man sollte Streit mit fairen Mitteln austragen“, lautet sein Credo. Damit ist er über Jahrzehnte erfolgreich unterwegs gewesen.

Enttäuschungen blieben natürlich auch nicht aus. Politisch überworfen hat sich Schurr beispielsweise mit dem damaligen Oberbürgermeister Rupert Kubon, seinem langjährigen Verbündeten, gegen Ende von dessen zweiter Amtszeit. Die SPD-Fraktion verweigerte dem Parteifreund die Gefolgschaft, als dieser den Bau des Jugendkulturzentrums am Klosterhof aushebeln wollte. Das Projekt wurde mit Stimmen der SPD-Fraktion beschlossen. Und Kubon wandte sich in der Folge noch mehr als zuvor den Grünen zu.

Edgar Schurr bei einer Gemeinderatssitzung 2019 im Münsterzentrum. 35 Jahre lang war er Mitglied im Rat, wurde sieben Mal von den ...
Edgar Schurr bei einer Gemeinderatssitzung 2019 im Münsterzentrum. 35 Jahre lang war er Mitglied im Rat, wurde sieben Mal von den Bürgern gewählt. | Bild: Hans-Juergen Goetz

Auf der anderen Seite sieht Schurr die Ära Kubon geprägt durch zwei große Erfolge. „Die Landesgartenschau 2010 würde ich jederzeit wieder machen. Sie war ein Riesengewinn für den Stadtbezirk Schwenningen“, resümiert er. Schurr hat sie kräftig unterstützt. Ebenso die Klinikfusion, aus seiner Sicht das zweite Großprojekt, das die Stadt enorm vorangebracht hat. Im Kreistag und im Umland habe es große Widerstände und Bedenken gegeben. „Heute aber sind die Leute froh, dass wir das Schwarzwald-Baar-Klinikum haben.“

Insgesamt, davon ist der scheidenden Kommunalpolitiker überzeugt, hat sich diese Stadt in den 35 Jahren positiv entwickelt. „Die Lebensqualität finde ich heute wirklich gut.“

Sorgen um den Wohnungsmarkt

Doch er räumt auch Schattenseiten ein. „Was mir Sorgen macht, ist die Qualität des Wohnens.“ Es fehle an bezahlbarem Wohnraum. Die Stadt habe es zugelassen, kritisiert er, dass zu viele Bauprojekte durch private Bauträger realisiert wurden. „Das hat die Mietpreise nach oben getrieben.“ Im Gemeinderat habe der neoliberale Zeitgeist dominiert: Private Unternehmen, hieß es, würden dies schon machen.

Vom siebten Stock seines Balkons im Hochhaus vor dem Hummelholz hat Edgar Schurr einen weiten Blick über Schwenningen.
Vom siebten Stock seines Balkons im Hochhaus vor dem Hummelholz hat Edgar Schurr einen weiten Blick über Schwenningen. | Bild: Stadler, Eberhard

Ein fataler Irrtum aus Sicht von Schurr: „Der Markt hat es nicht gerichtet.“ Das sei für die SPD absehbar gewesen: „Doch wir sind nicht gegen diese Mehrheit angekommen.“ Wichtig sei nun, dass der Gemeinderat sein Versprechen halte, im Quartier „Oberer Brühl“ in Villingen in großem Umfang bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Da stehen wir im Wort“, gibt Schurr seinen Nachfolgern mit auf den Weg.

Auch die Zuwanderung bringt für die Stadt große Herausforderungen. „Die Migration etwa in Schwenningen ist größer als in Berlin-Kreuzberg“, konstatiert Schurr. „Die Migrationsquote liegt bei 55 Prozent.“ Wenn, wie in der Gartenschule, von 25 Schüler 22 einen Migrationshintergrund haben, „dann müssen wir dem gerecht werden“.

Viele Defizite bei der Integration

Doch bei der Integration sieht er „noch viele Defizite“. Nach Überzeugung des Sozialdemokraten können die Probleme nur durch eine nachhaltige Sozialraumpolitik erfolgreich gelöst werden. Das Konzept sei bereits auf dem Weg. Nötig sei aber eine ausreichende Unterstützung der politischen Gremien, „damit die Leute die Chance bekommen, die sie brauchen, um ein wertvoller Bestandteil dieser Gesellschaft zu werden“. Denn ohne Zuwanderer, davon ist er überzeugt, können die sozialen Systeme nicht weiterlaufen.

Nicola Schurr, der jüngste Sohn von Edgar Schurr, ist inzwischen selbst Gemeinderat und hat vor einem Jahr den Fraktionsvorsitz der SPD ...
Nicola Schurr, der jüngste Sohn von Edgar Schurr, ist inzwischen selbst Gemeinderat und hat vor einem Jahr den Fraktionsvorsitz der SPD von seinem Vater übernommen. | Bild: SPD BW

Schurr geht und ist mit sich im Reinen: Die Politik, sagt er, habe ihm immer viel Spaß gemacht und sei sinnstiftend gewesen. Dass die Bürger diesen ehrenamtlichen Einsatz sieben Mal mit guten Wahlergebnissen honoriert haben, „das macht mich zufrieden“. Mit Stolz sieht er, dass sein jüngster Sohn Nico mit riesigem Elan in seine Fußstapfen getreten ist. Vor einem Jahr ging der SPD-Fraktionssitz vom Vater Schurr auf den Sohn über.

Mit 70 Jahren sieht er die Zeit gekommen, loszulassen. Zumal er in den vergangenen Jahren mit gravierenden gesundheitliche Probleme zu kämpfen hatte. Schurr hat sie glücklich überwunden. Jetzt freut er sich auf ein Leben ohne Termindruck. Das Kapitel Kommunalpolitik will er altersweise abschließen. „Jede Zeit hat ihre Leute, und ich hatte meine Zeit“, sagt er.