Mit einem Beratungsbus in der Villinger Fußgängerzone hat Pro Familia vor 50 Jahren schon Reden von sich gemacht, indem sie mitten in der Stadt Kondome verteilt hat. Genauso lange besteht die Beratungsstelle, die sich anfangs in der Kirnacherstraße 21 befand und mittlerweile am Klosterring 11 beheimatet ist. 2025 ist somit Jubiläum. Was hat sich seit damals verändert?

Als Modellberatungsstelle war die Pro Familia in Villingen 1975 gestartet, erzählt der Leiter der Beratungsstelle, Sebastian Schoch. Damals stand sie noch unter der Trägerschaft der AWO, seit 1996 ist die Beratungsstelle eigenständig, angegliedert an den Kreisverband Pro Familia und berät Familien im gesamten Landkreis.

Beratung zu Schwangerschaftsabbrüchen

„Bei Pro Familia denkt man gleich an Schwangerschaftsabbrüche, das ist aber nur ein kleiner Teil unserer Arbeit“, sagt Schoch. „Rein politisch hat sich nicht so viel verändert, aber die Zahlen sind zurückgegangen“, ergänzt die stellvertretende Leiterin Christina Knöbel, mit Verweis auf den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, der Abtreibungen bis heute unter Strafe stellt.

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Viele Beratungen zum Elterngeld

Heutzutage kommen viele angehende Eltern, ob Akademiker oder Personen mit geringem Einkommen, zur kostenlosen Schwangerschaftsberatung bei Pro Familia, um sich etwa zum Thema Elterngeld beraten zu lassen. „Vielen Paaren muss ich sagen: Wenn ich zu schnell bin, dann bremsen Sie mich, ich erzähle das sechs- bis achtmal am Tag“, so Schoch.

Zahl „exorbitant hoch“

Seine Kollegin, Beraterin Katja Pissedu ergänzt: „Schwangerenberatung war früher nur ein geringer Teil unserer Arbeit.“ Jetzt sei der Anteil „exorbitant hoch“. Das belegen auch die Zahlen: in den 1980er-Jahren gab es 200 bis 300 Fälle zur Schwangerschaftsberatung, diese Zahl ist auf 631 Fälle im Jahr 2024 gestiegen.

Geld spielt große Rolle

„Geld und die Perspektive Arbeitsplatz sind hauptsächliche Themen in der Schwangerschaftsberatung“, so Piseddu weiter. Die finanzielle Absicherung sei wichtiger geworden. Das klassische Modell, bei dem der Mann arbeitet und die Frau mit den Kindern zu Hause bleibt, sei veraltet und für viele nicht mehr finanziell stemmbar.

Gemütlich, bunt und einladend sind die Räume der Beratungsstelle pro familia im Klosterring 11 in Villingen.
Gemütlich, bunt und einladend sind die Räume der Beratungsstelle pro familia im Klosterring 11 in Villingen. | Bild: Patricia Beyen

Freude gerät in den Hintergrund

Fragen danach, wann und wie viel die Eltern nach der Geburt des Kindes arbeiten können, nach einem Kitaplatz und nach Änderungen im Arbeitsvertrag stünden im Vordergrund. „Die Familiengründung birgt für viele ein finanziell-existenzielles Risiko“, sagt Piseddu. Schade sei, dass dabei die Freude über das Kind manchmal in den Hintergrund gerate.

Kein Geld – kein Kind

Manche Paare würden sich auch schon vor der Familiengründung in der Beratungsstelle einfinden und einige würden sich auch dafür entscheiden, das Kinderkriegen aus finanziellen Gründen auf später zu verschieben. „Auch das hat sich in den vergangenen Jahren verändert“, sagt Piseddu, „dass die Paare schon vor der Familienplanung kommen.“

Deutlich weniger Konfliktberatungen

Dahingegen habe die Konfliktberatung zu Schwangerschaftsabbrüchen deutlich abgenommen: Die sexuelle Revolution und die Aufklärung haben viel dazu beigetragen, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, so Schoch. Gab es in der Beratungsstelle in Villingen in den 1980ern jährlich noch 600 Schwangerschaftskonfliktberatungen, ist die Zahl im Jahr 2024 auf 240 gesunken.

„Everyone is welcome here“, jeder ist in der Beratungsstelle von pro familia in Villingen willkommen.
„Everyone is welcome here“, jeder ist in der Beratungsstelle von pro familia in Villingen willkommen. | Bild: Patricia Beyen

Rat bei auffälligem Befund

Auch zu medizinischen Fragen in der Schwangerschaft berät Pro Familia, klärt auf über Untersuchungen. „Ärzte sind sogar verpflichtet, bei einem auffälligen Befund auf das Beratungsangebot hinzuweisen“, sagt Knöbel, die sowohl Hebamme als auch Sozialpädagogin ist. In solchen Fällen ginge es darum, die Schwangere emotional zu stabilisieren, zu besprechen, wie es weitergehe, ob die Schwangerschaft fortgeführt wird. Aber auch perspektivische, praktische Fragen würden angegangen: etwa wo ein beeinträchtigtes Kind in den Kindergarten gehen könne. Ein weiteres Beratungsfeld Knöbels: das Gespräch nach einer traumatischen Geburt.

Ein Team aus fünf Personen

Wo die Berater selbst nicht weiterwissen, holen sie sich Hilfe. „Wir sind sehr gut vernetzt. Unser Motto: Keine Frage bleibt unbeantwortet“, sagt Knöbel. Drei Sozialpädagoginnen und ein Sozialpädagoge sowie eine Bürokraft bilden das Team der Beratungsstelle. Daneben sind mehrere Honorarkräfte angestellt, welche die Berater etwa bei Terminen an Schulen unterstützen. Auch das ist Teil des Aufgabenspektrums der Berater: die sexuelle Aufklärung an Schulen und Kitas.

Das Beratungsspektrum von pro familia hat sich kontinuierlich erweitert.
Das Beratungsspektrum von pro familia hat sich kontinuierlich erweitert. | Bild: Patricia Beyen

Missbrauchsprävention an Schulen

„Wenn ich als Kind kein Wort habe für mein Geschlechtsteil, kann ich auch nicht erzählen, wenn mich jemand dort angefasst hat“, erklärt Schoch. Die Aufklärung sei Teil der Missbrauchsprävention von Kindern. Auch über gute und schlechte Geheimnisse sprechen die Berater mit den Kindern. Etwa wo die Mama die Kinder anfassen dürfe und wo die Erzieherin. Schließlich sollen die Kinder Regeln und Grenzen erkennen können. Auch wenn die Berater dafür manchmal schief angeschaut werden und erklären müssen, wieso die Aufklärung und das Reden über Sexualität schon bei Kindern wichtig sei.

Was ihre Arbeit gefährdet

Zwar habe sich das Bild von Familien und die Haltung zu Sexualität in den vergangenen Jahren gewandelt, dennoch stießen die Berater von Pro Familia auch auf konservative Haltungen, die etwa das Thema Vielfalt infrage stellen. Wenn solche Haltungen auch in die Gesetzgebung einfließen, sei die Arbeit und die finanzielle Förderung der Beratungsstelle gefährdet, so Piseddu. Denn zu 80 Prozent wird die Beratungsstelle von der öffentlichen Hand gefördert. 20 Prozent der Finanzierung komme über Workshops in Schulen oder die Paar- und Sexualberatungen zustande.

Schwangerschafts- und Paarberatung, beides bietet pro familia seit Jahren an.
Schwangerschafts- und Paarberatung, beides bietet pro familia seit Jahren an. | Bild: Patricia Beyen

Die Sexualberatung

Denn auch Erwachsen haben zum Thema Sexualität Redebedarf: Die Sexual- und Paarberatung ist ein Alleinstellungsmerkmal von Pro Familia in der Beratungsszene und der einzige Sektor, für den die Berater ein Honorar verlangen. Männer mit medizinisch unbegründeter Impotenz finden dabei genauso ihren Weg zu Pro Familia wie Personen mit einem Fetisch oder Menschen mit Behinderung, die Tipps dazu suchen, wie sie miteinander schlafen können.

Kampf für sexuelle Selbstbestimmung

Einen kleinen Teil ihrer Arbeit machen auch die Themen Trennung, Scheidung und Umgangsrechte aus. So unterstützen die Berater im Scheidungsfall die einzelnen Parteien dabei, eine Lösung zu finden, für den Umgang mit den Kindern.

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Das Beratungsspektrum des Verbands hat sich in den 50 Jahren deutlich gewandelt. Geblieben ist jedoch der Einsatz für die Menschen und ihre Vielfältigkeit, ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dazu gehört etwa auch der Kampf gegen Paragraf 218 im Strafgesetzbuch und die Stigmatisierung der Abtreibung.