Jedes Jahr im Herbst suchen sich Autofahrer ihre Parkplätze und Abstellmöglichkeiten ganz genau aus. Keiner möchte nach Feierabend sein geliebtes Fahrzeug erst von einem Blättermantel befreien müssen. Besonders hartnäckig sammelt sich das Laub dann im Schlitz zwischen Frontscheibe und Motorhaube. Bei Wind drohen zudem Äste oder Früchte auf das Auto zu krachen. Auch das will keiner. Daher meiden viele Autofahrer diese Parkplätze, trotz begrenztem Angebot.

Kastanien-Schaden

Aber was ist, wenn man den Naturgesetzen auch in weiser Voraussicht nicht aus dem Weg gehen kann? So ist das Ende Oktober Heinz Widmann aus Villingen geschehen. Er fuhr zur Mittagszeit auf der Villinger Waldstraße in Richtung Kreuzung Richthofenstraße. Dort schaltete die Ampelanlage auf rot. Widmann hielt an, genau unter dem großen Kastanienbaum, der auf dem zur Straße angrenzenden Grünstreifen steht, also auf städtischem Gelände. „Durch herunterfallende, steingroße Kastanien wurde mein Auto, ein Renault Megane, beschädigt“, schreibt Widmann in seiner Schadensmeldung an die Stadtverwaltung.

Kinder sammeln sie gerne und basteln damit. Die hübschen Kastanien können aber auch Schäden verursachen.
Kinder sammeln sie gerne und basteln damit. Die hübschen Kastanien können aber auch Schäden verursachen. | Bild: Heinz Widmann

Er schätzt den Schaden auf rund 1000 Euro. Die genaue Summe stehe nicht fest. „Es sind mehrere Dellen auf dem Autodach. Der Kastanienhagel dauerte etwa 15 Sekunden“, erzählt er. Wären Kastanien auch auf die Fensterscheibe gefallen, wäre diese zertrümmert worden, da ist er sich sicher.

Schadensregulierung

Das beschädigte Auto hat er mittlerweile bei einem Autohaus in Zahlung gegeben. Dieser Schritt sowie ein Auto-Neukauf standen schon vor dem Kastanienregen fest. Der Dachschaden hatte Auswirkungen auf den veranschlagten Restwert, zum Nachteil von Widmann. Er forderte daher die Stadtverwaltung auf, den Schaden zu begleichen. Ohne Erfolg: Nach Prüfung des Sachverhalts im Rechtsamt sowie nach Prüfung durch den Haftpflichtversicherer der Stadt, wurde Widmanns Forderung abgelehnt. Die Begründung lautete, dass das Herabfallen von Kastanien ein naturbedingtes Ereignis darstelle, was nicht verhindert werden könne. „Das Recht des Schadenersatzes folgt dem Verschuldensprinzip. Nur wenn die Stadt durch Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht ein Verschulden trifft, kann ein hierdurch verursachter Schaden gegenüber der Stadt geltend gemacht werden“, heißt es im Antwortschreiben der Verwaltung, das dem SÜDKURIER vorliegt.

Verkehrsgefährdung

„Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, lautet die Reaktion von Widmann auf den negativen Bescheid, der nun versucht, den Schaden bei seiner privaten Versicherung geltend zu machen. An der besagten Stelle seien beinahe im Sekundentakt Kastanien heruntergefallen. Das hätte auch ein anderer Autofahrer mitbekommen, der hinter ihm an der Ampel stand. Die Baumfrüchte seien überall auf der Straße und auch auf dem Gehweg gelegen. „Es sah beidseitig aus wie auf einem Schlachtfeld“, erinnert er sich. Seiner Ansicht nach bestehe hier eine Verkehrsgefährdung, was die Stadtverwaltung billigend in Kauf nehme. Verkehrsunfälle, auch mit Personenschaden, seien hier möglich, gibt er zu bedenken. „Ich frage mich als Autofahrer, ob ich beim Befahren der Waldstraße zukünftig, zusätzlich zum Straßenverkehr, auch jeden Baum und den Himmel prüfen muss?“

Auch auf dem Boden liegend, vermischt mit Laub, können Kastanien auch für für Radfahrer und Fußgänger gefährlich werden.
Auch auf dem Boden liegend, vermischt mit Laub, können Kastanien auch für für Radfahrer und Fußgänger gefährlich werden. | Bild: Heinz Widmann

Kulanz

Mit der Veröffentlichung seiner Erlebnisse wolle er daher alle anderen Verkehrsteilnehmer vor solchen Situationen warnen. Sein Wunsch, dass die Verwaltung den Schaden eventuell aus Kulanz übernimmt, wird vermutlich unerfüllt bleiben. „So ein Schaden ist ärgerlich, ohne Zweifel. Aber der Stadt ist es leider nicht möglich, solche Forderungen aus Kulanz zu übernehmen“, teilt Verwaltungssprecherin Madlen Falke auf SÜDKURIER-Anfrage mit.

Einschätzungen zur Rechtslage

An der Entscheidung der Verwaltung lässt sich vermutlich auch kaum rütteln. Eine Sprecherin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft teilt mit, dass die Stadt nur dann haftbar sei, wenn zum Beispiel die Baumpflege sichtbar vernachlässigt worden wäre und dadurch etwa ein morscher Ast auf ein Auto krachen würde. „Kastanien, die im Herbst zu Boden fallen, sind ein natürlicher Vorgang“, so die Sprecherin. Schäden dadurch seien als Lebensrisiko anzusehen. Ähnlich sei das auch bei Äpfeln und anderen Früchten, die von Bäumen fallen. Eine etwas andere Sicht teilt Rechtsanwalt Martin Diebold von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) dem SÜDKURIER mit. Klar sei, dass nicht jeder Schaden verhindert werden könne, etwa durch Laub auf Straßen, oder eben durch Kastanien. „Allerdings hat die Stadt hat eine Verkehrssicherungspflicht“, so der Anwalt. Wo Verkehr stattfinde, müsse in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, ob eine Verkehrsgefährdung durch Bäume vorliege. Sei dies der Fall, egal ob durch morsche Äste oder Kastanien, müsse die Verwaltung dann zum Beispiel durch entsprechenden Baumschnitt die Sicherheit für Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger gewährleisten, erklärt er, ohne den Fall bis ins Detail zu kennen.

Zukunft

Wie es nun weitergeht, ist noch offen. „Ich habe diese Woche noch einen Termin mit meiner Versicherung“, teilt Widmann mit. Danach will er entscheiden, ob er noch weitere, rechtliche Schritte einleiten wird. Denn für ihn ist klar, dass die Stadt den Schaden mit einer fadenscheinigen Begründung auf ihn als Geschädigten abwälze. „Die Schadensursache ist ja nicht beseitigt und so kann es jedes Jahr andere Autofahrer treffen.“ Dass er mit einer möglichen Klage erfolgreich sein könnte, ist für Widmann nicht ausgeschlossen. Aber ob er sich diesen beschwerlichen Weg antun möchte, weiß er noch nicht. „Durch die Waldstraße fahre ich in dieser Zeit aber nicht mehr.“