Manche Jubiläen werden groß und laut gefeiert, andere gehen fast unbemerkt über die Bühne. Der 25. Oktober 2024 mit dem Duell zwischen dem SV Deggenhausertal III und dem TuS Immenstaad III ist so ein Tag für Clemens Müller. Das sportliche Niveau ist in der niedrigsten Fußballklasse naturgemäß überschaubar, TuS-Torhüter Müller fängt sich zu allem Übel in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 2:2-Endstand ein.

Und doch leuchten seine Augen, wenn er an jenen Freitagabend und die Partie unter Flutlicht zurückdenkt, die eine Klammer um sein Fußballerleben schließt. „Mein erstes Spiel habe ich im September 1974 gegen die Sportfreunde Deggenhausen bestritten. Jetzt, nach 50 Jahren, habe ich dort noch mal gespielt“, sagt Clemens Müller. Die Sportfreunde Deggenhausen gibt es längst nicht mehr, doch Müller, der im Januar seinen 68. Geburtstag feiert, steht noch immer für seinen TuS zwischen den Pfosten. Auch an einem dunklen Oktoberabend in der Kreisliga C.

Nichts tun, das kann er nicht

„Eigentlich bin ich Rentner“, sagt Müller und betont dabei das Wort Eigentlich. Rente, das impliziert Ruhestand. Doch einfach nichts tun, das kann Clemens Müller noch nicht. Weder im Sport noch im Privaten. 21 Jahre lang arbeitet er bei der Sparkasse, danach bei einer Bank.

Seit 2017 ist er als Vermögensberater selbstständig, unterstützt dabei zusätzlich auch in familiären Angelegenheiten und betreut in diesem Bereich unter anderem Fußballer wie Toni Schumacher oder Orel Mangala. „Neben der Vermögensverwaltung unterstütze ich auch als Mensch“, sagt Müller, der auf der halben Welt unterwegs war und ist. Was für ein Unruhestand.

Clemens Müller beim 90. Vereinsjubiläum des TuS Immenstaad 2009.
Clemens Müller beim 90. Vereinsjubiläum des TuS Immenstaad 2009. | Bild: Susann Ganzert

Als wäre das alles nicht genug, beginnt gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit ein ganz besonderer Nebenjob des Eigentlich-Rentners. „Seit 50 Jahren bin ich der Gemeinde-Nikolaus“, erklärt Clemens Müller.

Mit Rauschebart und goldenem Mantel geht der gläubige Christ, der 40 Jahre lang in der Kirche aktiv war, auf den Weihnachtsmarkt, ins Altersheim und in die Schule. „Lange Zeit war ich auch im Kindergarten und habe früher Hausbesuche gemacht“, sagt er und fügt hinzu: „Ich sollte ein bisschen kürzertreten.“ Dann lacht der 67-Jährige. Er weiß ganz genau, dass er das nicht kann.

Clemens Müller als Immenstaader Nikolaus (links) mit Knecht Ruprecht.
Clemens Müller als Immenstaader Nikolaus (links) mit Knecht Ruprecht. | Bild: Privat

Schon gar nicht im Fußball, dem Sport, der bis heute ein Fixpunkt in seinem bewegten Leben ist. Auch wenn Müller selbst von sich sagt, dass er alles, nur kein begnadeter Kicker ist: „Ich bin Torwart geworden, weil ich gerne Völkerball gespielt habe und den Ball gut fangen konnte. Außerdem war ich so bei meinen Freunden mit dabei. Fußball spielen konnte ich aber noch nie.“ Wenn er heute mal wieder bei einer der drei Aktiven-Mannschaften im TuS-Tor steht, dann wissen die Mitspieler ganz genau, „dass sie nur in Ausnahmefällen einen Rückpass spielen dürfen“.

Viel wichtiger als die Ballbehandlung mit dem Fuß sind für die Position ganz hinten die Reflexe und die Größe des 1,96-Meter-Manns, der nach eigener Aussage schon mit 16 Jahren stolze 1,86 Meter maß und dementsprechend begehrt war. „In der Jugend musste ich zum Teil dreimal am Wochenende – von der C- bis zur A-Jugend – spielen, weil die Torwart-Position immer ein Problem war“, sagt Müller, der sein Leben lang nur für den TuS Immenstaad aktiv war. Dabei hätte auch alles anders kommen können. Eigentlich.

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„Als ich bei der Bundeswehr war, habe ich ein halbes Jahr beim SSV Ulm mittrainiert. Das war ein absolutes Highlight“, schwärmt Müller noch heute. „Trainer Klaus Niemuth wollte mich sogar verpflichten, aber mein Patenonkel war damals Vorstand beim TuS Immenstaad und hat gesagt: Wir brauchen einen Torwart, du bleibst hier und lernst bei der Sparkasse.“ Gesagt getan.

Inzwischen ist Clemens Müller selbst seit 1998 der Vorstand seines Vereins, dessen Kassier er zuvor 14 Jahre lang gewesen war, und hat 1200 bis 1300 Spiele bestritten. So ganz genau weiß er das selbst nicht. „Im Altkreis Überlingen gibt es keinen Platz, wo ich noch nicht war“, sagt Müller, der bis auf eine Ausnahme immer bei den Aktiven eingesetzt wurde.

Clemens Müller (vorne, Zweiter von rechts) im TuS-Team des Jahres 1976.
Clemens Müller (vorne, Zweiter von rechts) im TuS-Team des Jahres 1976. | Bild: Archiv TuS Immenstaad

„Ich habe nur ein einziges Mal bei den Alten Herren gespielt, da war ich 37“, erinnert sich Müller an eine längst verdrängte Episode. „Sie sind in irgendein Endspiel eingezogen und haben einen Torwart gebraucht. Das müsste so 1994 gewesen sein.“ An Ruhestand oder Kürzertreten war damals noch längst nicht zu denken. „Ich bin erst mit 40 ins zweite Glied zurück, habe aber immer fünf, sechs Spiele pro Saison bestritten“, sagt Müller.

Im Training gehört er weiterhin zu den Stammgästen – auch mit knapp 70 Jahren. „Der Sport hält mich jung und macht nach wie vor Riesenspaß“, sagt Müller über sein Hobby, das er mit Männern teilt, die fast alle seine Enkel sein könnten, ihm aber auf Augenhöhe begegnen.

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„Ich bin voll integriert. Sie nehmen keine Rücksicht, nur weil ich älter bin. Das will ich auch nicht, entweder ich spiele oder ich spiele nicht“, sagt Müller. „Über den Winter werde ich wieder mehr Krafttraining machen. Bis Mitte 50 habe ich es nicht gemerkt. Jetzt muss ich was tun für meinen Körper“, erklärt der aktive Senior, der sich gesund ernährt und von schweren Blessuren weitgehend verschont geblieben ist.

„Ich habe mir mal das Nasenbein gebrochen und hatte eine Meniskus-OP, aber die Verletzung habe ich mir zu Hause zugezogen, als ich meine Tochter hochheben wollte“, sagt er und lacht.

Mit knapp 70 in der Bezirksliga?

Wie lange soll das noch so weitergehen nach mehr als einem halben Jahrhundert auf den Sportplätzen? Einfache Antwort: „So lange, wie die Jungen mich akzeptieren. Wenn ich nicht mehr mithalten kann, muss ich halt aufhören“, sagt Müller, der sich viel lieber mit der näheren Zukunft beschäftigt.

„Einige Torhüter sind angeschlagen oder verletzt. Ich denke mal, dass ich im Frühjahr weiterhin in der zweiten oder dritten Mannschaft spielen werde“, sagt er. Und wenn die Erste vorzeitig den Klassenerhalt gesichert haben sollte, „dann spiele ich noch mal ein paar Minuten in der Bezirksliga“.

Mit etwas Glück schaffen sie es vielleicht ja bis zum fünftletzten Spieltag. Am 18. Mai 2025 spielt der TuS Immenstaad beim SV Deggenhausertal. Da wo vor 50 Jahren alles anfing – als ein 17-Jähriger sein erstes Spiel bestritt, der gar nicht kicken konnte. Eigentlich.