Wenn am Samstag um 14.30 Uhr das Derby gegen den VfR Stockach beginnt, wird Heinz dabei sein. Heinz Schmitt, so heißt er richtig. Aber unter Fußballern sind Nachnamen nebensächlich. Heinz sitzt im Rollstuhl, trägt stets Jacke und Schal seines Vereins. „Ich bin ein FC‘ler“, sagt er. „Durch und durch.“

Und das seit 75 Jahren! Im Frühjahr wurde er bei einer Podiumsdiskussion des FC 03 Radolfzell geehrt. Jochen Saier vom Kooperationsclub SC Freiburg sprach damals über die Profis des Fußball-Bundesligisten und die Nachwuchsförderung, der emotionale Höhepunkt des Abends war aber der Moment, als FC-Präsident Stefan Salzborn das Wort an die 84-jährige Clublegende richtete, alle im Saal aufstanden und minutenlang applaudierten.

Im Frühjahr wurde Heinz Schmitt bei einer Podiumsdiskussion für sagenhafte 75 Jahre Vereinsmitgliedschaft ausgezeichnet. Links im Bild ...
Im Frühjahr wurde Heinz Schmitt bei einer Podiumsdiskussion für sagenhafte 75 Jahre Vereinsmitgliedschaft ausgezeichnet. Links im Bild der FC-Vorsitzende Stefan Salzborn, rechts Jochen Saier vom SC Freiburg. | Bild: Salzmann, Dirk

Es war die Würdigung einer Lebensleistung, verbunden mit einem Wunsch an die damals anwesende Bürgermeisterin Monika Laule: „Wenn das neue Pflegeheim beim Sportplatz eröffnet wird, hätte unser Heinz dort gerne ein Zimmer“, sagte Salzborn. Und ergänzte: „Er möchte keinen Seeblick. Lieber ein Zimmer mit Blick zum Sportplatz.“ Lachen im Saal, dabei war das weder ein Witz noch geflunkert.

Heinz sagte nichts an diesem Abend. Der große Trubel um seine Person war ihm wohl auch etwas zu viel. Und gesundheitlich ist er auch nicht mehr ganz auf der Höhe. „Aber den Heinz, den hörst Du nie klagen“, sagt Oliver Preiser, Vorgänger von Salzborn als Club-Präsident. „Der hat vielmehr ein Herz für seine Mitmenschen.“ Das Brückenfest hat er initiiert, damals, als die alte Radolfzeller Brücke bei der Mettnau neugebaut wurde. Jedes Jahr wird seither am Mittwoch vor dem Hausherrenfest die Straße gesperrt, wird gefeiert und gesungen, die Erlöse gehen zur Hälfte an die Jugendabteilung seines Club, die andere wird für wohltätige Zwecke in und um Radolfzell verwendet.

Einige Monate später. Noch ist nicht alles fertig rund um das neue Pflegeheim, aber die Bewohner sind Ende September eingezogen. Heinz hat sein Wunschzimmer bekommen. Dritter Stock, Fenster in Richtung Sportplatz, wenngleich einige Bäume den Blick teilweise verdecken. Nun, es ist Herbst, die Tage werden kürzer, die Blätter fallen, die Sicht wird hoffentlich bald freier.

Heinz Schmitt in seinem Zimmer. Im Hintergrund ist das Sportplatzareal zu erkennen, wo gerade ein neuer Kunstrasenplatz gebaut wird.
Heinz Schmitt in seinem Zimmer. Im Hintergrund ist das Sportplatzareal zu erkennen, wo gerade ein neuer Kunstrasenplatz gebaut wird. | Bild: Salzmann, Dirk

„Lokalderbys sind immer etwas Besonderes“, freut sich Heinz auf den Samstag. Seine Frau Regina holt ihn meist ab, manchmal auch Freunde oder einige seiner Jungs, die er einst in der A- oder B-Jugend trainierte. Inzwischen sind die meisten selbst jenseits der 50, die Heimspiele auf der Mettnau werden wie bei vielen Clubs in der Region immer auch ein Ehemaligen-Treffen.

In der Cafeteria findet sich täglich ein Stammtisch der Heimbewohner zusammen. Es gibt Wasser, Kaffee, Kekse, Kuchen. Die Gespräche drehen sich um das neue Heim, meist aber geht der Blick zurück in die Vergangenheit.

Kickschuhe aus Pappkarton

Heinz wurde am 27. Dezember 1939 in Konstanz geboren. Kriegswinter. In den Zeitungen wurde an jenem Tag von Weihnachten mit dem Führer berichtet. Der ganze Schrecken, der millionenfache Tod, er folgt in den Jahren darauf. Seinen Vater Georg sieht Heinz nur ein einziges Mal, er fällt an der Front, als der Sohn zuhause kaum laufen kann. Heinz wächst bei seinen Großeltern in Radolfzell auf, kickt mit Gleichaltrigen auf der Straße mit Konservendosen oder mit einem aus Lumpen zusammengeknoteten Ball, der kaum diese Bezeichnung verdient.

Heinz Schmitt in seinem Zimmer im Pflegeheim Video: Salzmann, Dirk

Der Fußball prägt den Halbwaisen, mit neun Jahren wird er Mitglied beim FC Radolfzell, kickt danach in dessen Jugendmannschaften. „Stürmer war ich“, sagt Heinz. Das Sprechen fällt ihm zwar zunehmend schwer, aber die Erinnerungen müssen einfach raus. „Mittelstürmer!“ Und zwar ein treffsicherer, der mit 18 Jahren in der Ersten Amateurliga spielte, damals die dritthöchste Spielklasse in Deutschland. Die ersten Kickschuhe seien aus einer Art Pappkarton gewesen, sodass jede Pfütze eine größere Bedrohung als der gegnerische Verteidiger war.

Später spielt der FC Radolfzell in der Schwarzwald-Bodensee-Liga. Mit 34 Jahren zieht es Heinz noch für ein Jahr nach Rielasingen, danach wird er Jugendtrainer. „Der Heinz war und ist ein besonderer Mensch. Der war für seine Jungs immer da, war Anlaufstelle für große und kleine Sorgen seiner Spieler“, weiß Salzborn. Schmitt, gelernter Sanitär, arbeitet zu dem Zeitpunkt bereits bei der Stadt, ist Bademeister im Seebad. Im Winter beschäftigt er sich mit den EDV-Anlagen der Verwaltung. „Nach den Spielen haben wir uns im Seebad getroffen, haben zusammen gesungen und gelacht. Das war eine tolle Gemeinschaft damals.“

Ein Comeback mit fast 50 Jahren

Kaum ein Amt, das er in den folgenden Jahren nicht inne hat beim FC Radolfzell. Und sogar die Kickschuhe, längst welche ohne Pappanteil, werden wieder aus dem Keller geholt, als die Radolfzeller eine vierte Mannschaft gründen. „Gschumpfe hab‘ ich ihn“, sagt Frau Regina. „Der war damals ja fast schon 50 Jahre alt.“ Heinz grinst, ergänzt dann: „Wir haben in der Saison 131 Tore geschossen und wurden Meister.“

Härter sei der Fußball seither geworden. „Zu meiner Zeit war die Technik wichtig“, findet Heinz, „so viel Kampf wie heute, das gab es damals nicht.“ Sein FC Radolfzell zählt nach schwachem Start inzwischen zur erweiterten Landesliga-Spitzengruppe, der Titelgewinn ist zwar unwahrscheinlich, „aber freuen würde ich mich schon, wenn wir Meister werden würden.“

Heinz Schmitt mit seiner Ehefrau Regina. Zusammen sind die beiden ein starkes Paar.
Heinz Schmitt mit seiner Ehefrau Regina. Zusammen sind die beiden ein starkes Paar. | Bild: Salzmann, Dirk

Heinz und Regina kennen sich vom Seebad, finden aber erst bei der Fasnacht 1984 zusammen, heiraten sechs Jahre später. Heinz arbeitete da schon als Vollstreckungsbeamter, war zudem Personalratsvorsitzender der Stadt, Regina im Vorstandssekretariat bei Schiesser, später beim Roten Kreuz. Der Altersunterschied – Regina ist 20 Jahre jünger – stört weder sie noch ihr Umfeld, „Heinz war sportlich, spielte Fußball und Tennis, und sah daher auch jünger aus“.

Inzwischen wird sie manchmal gefragt, ob er ihr Vater sei, denn in den vergangenen Jahren hat die Gesundheit nachgelassen. „ALS“, sagt Regina. Eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems. Und Heinz ergänzt, dass „das Laufen nicht mehr geht.“ Ein elektrischer Rollstuhl soll her, damit Heinz wieder etwas selbstständiger sein kann. Es wird schon werden. Ihr Mann bleibe eben ein Optimist, der nur „unleidig wird, wenn ihm sein SÜDKURIER am Montagmorgen nicht gebracht wird.“ Heinz nickt eifrig, als Regina ergänzt: „Der liest jeden Spielbericht, kennt jedes Ergebnis.“

Sie passen aufeinander auf, das wird auch so bleiben. „Das haben wir uns einst versprochen“, sagt Regina. Und Heinz erwidert, dass seine Regina sein größtes Glück sei. „Nichts Besseres als sie hätte mir passieren können.“

Sie ist täglich im Heim bei ihrem Mann, seitdem der vor anderthalb Jahren aus der gemeinsamen Wohnung ins Heim umgezogen ist, erst ins „Heilig Geist“ in der Stadt, jetzt in den Neubau auf der Mettnau. Ins Zimmer mit dem Blick auf den Sportplatz, wo am Samstag sein FC Radolfzell gegen den VfR Stockach spielen wird. Wie so oft in den vergangenen 75 Jahren.