Vorbei die Vorbereitung, der Ernst kommt. Und zwar erst mal als HC Elbflorenz Dresden. Am Samstag um 20.00 Uhr empfangen die Handballer der HSG Konstanz in der Allensbacher Riesenberghalle den Viertplatzierten der vergangenen Zweitligasaison zum DHB-Pokal-Spiel.
„Das ist ein Test, in dem wir direkt sehen können, was in der 2. Bundesliga auf uns zukommen wird“, sagt HSG-Geschäftsführer André Melchert. Vielleicht mal wieder zu viel? Die Frage geht an Vitor de Faria Baricelli, der als „Co“ von Cheftrainer Jörg Lützelberger Erfahrungen sammelte und nach dessen Abgang den Chefposten übernommen hat.
Der 28-jährige Brasilianer, gebürtig in Sao Paulo und seit 2021 am Bodensee, erschrickt nicht. „Wir sind gut besetzt, die Stimmung ist ausgezeichnet“, sagt Baricelli, „die Spieler sind heiß darauf, dass es losgeht.“ Die Zielsetzung lautet, klar für einen Aufsteiger: Klassenerhalt.
Der neue Coach stuft das als machbar ein, auch wenn seine Studien der neuen sportlichen Umgebung nirgendwo Leichtes erkennen ließen. „Ich habe als Co-Trainer von Jörg geschaut, was braucht es, um in dieser Liga mitzuspielen“, sagt Baricelli und muss zugeben, „so wie sich die Liga entwickelt hat und wie sie sich ständig weiterentwickelt, das macht die Aufgabe schwieriger.“
Schwierig heißt nicht unmöglich
Schwieriger heißt aber nicht unmöglich, zumal etliche von Baricellis Spieler die raue Luft der 2. Bundesliga ja schon kennengelernt haben – einige im HSG-Trikot und einige bei anderen Vereinen. Eins verspricht Vitor Baricelli, in guten wie in schlechten Zeiten: „Wir werden immer bei uns bleiben, immer an uns glauben und immer unser Bestes auf die Platte bringen.“
Dazu passt sein Lebensmotto: „Wir schaffen das.“ Der vormalige Chef ist optimistisch. „Vitor ist mehr als vorbereitet für diese Aufgabe. Er kennt die HSG, die Mannschaft und die Liga sehr gut“, sagt Jörg Lützelberger, „Vitor wird unermüdlich für die Weiterentwicklung des Teams und das große Ziel Klassenerhalt arbeiten.“
Mit drei Schritten nach Konstanz
Worte, die Vitor Baricelli sicher gerne hört. Weil sein Ehrgeiz der HSG Konstanz gehört, die ihm die Chance gegeben hat, in Deutschland Fuß zu fassen. Schritt eins: die Hilfe von Jessica Bregazzi, die der brasilianische Student Vitor Baricelli während seines einjährigen Auslandsemesters an der Sporthochschule in Köln kennenlernte.
Denn Bregazzi, später Athletiktrainerin und Trainerin der 2. Mannschaft der HSG, empfahl André Melchert vor ihrem Abgang bei der HSG Baricelli als möglichen Nachfolger. Schritt zwei: Ein Videocall
von Melchert mit Barricelli, an dessen Ende der HSG-Geschäftsführers fragte: „Willst Du kommen?“ Schritt drei: Zusage! Heute sagt Baricelli: „Ich lebe den Handball und liebe die HSG.“
Aus der Millionenmetropole Sao Paulo ins beschauliche Konstanz – wie geht das? Die Frage entlockt Vitor Baricelli ein Lachen. „Wenn du aus Brasilien kommst ist es nicht einfach, in Deutschland zu leben, weil die Kultur ganz anders ist“, sagt er.
Als Kritik will er das nicht verstanden wissen. „Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mir sehr geholfen haben“, sagt der 28-Jährige und meint damit: in Deutschland im Allgemeinen und in Konstanz im Besonderen. Die Stadt am Bodensee gefällt ihm, „sie ist sehr schön“, sagt er und schiebt nach, „im Sommer.“
Die Winterzeit ist hart für einen sonnenverwöhnten Menschen aus Südamerika, der mit Bergen und Skifahren wenig anfangen kann. „Ich habe schon eine Krankenakte“, erklärt ein erheiterter Baricelli.
Wenn das Herz schwer wird
Das Einzige, was dem Mann aus Brasilien am Bodensee sehr fehlt, ist die Familie. Bruder Bruno lebt zwar mit seiner Familie im südfranzösischen Montpellier. Aber Mama Amelia und Papa Antonio sind eben weit weg.
Videocalls helfen, die beiden aber nur selten in die Arme nehmen zu können, ist schwierig. „Manchmal ist mein Herz schwer“, sagt Vitor. Dass deshalb seine Urlaube in die ferne Heimat führen, versteht sich von selbst. „Die Besuche in Brasilien brauche ich“, sagt Vitor Baricelli.
Bliebe die Frage, wieso ein 28-Jähriger nicht Spieler ist, sondern Trainer. „Ich habe früh erkannt, dass ich als Spieler nicht das höchste Niveau erreichen kann, als Trainer aber schon“, erzählt Baricelli.
Seit er 17 war, beschäftigt sich der HSG-Trainer mit Spielanalysen, Trainingsformen und allem, was dazu gehört, ein Team zu leiten. „Ich wollte Trainer werden“, sagt Baricelli – und er ist es geworden.
Für ihn und die HSG Konstanz beginnt am Samstag der neue Ernst des Lebens. An der Seite wird man einen engagierten Brasilianer das Team dirigieren sehen – einen Mann, der vier Sprachen spricht. Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Deutsch – und sinnbildlich noch eine fünfte: Handball!