Robin Weiler ist alles, nur nicht Durchschnitt. Wenn der Singener in der Öffentlichkeit unterwegs ist, dann fällt er auf. In der Fußgängerzone schauen viele auf ihn herab, weil er nun mal anders ist mit seinen 130 Zentimetern Körperlänge. Im Stadion hingegen schauen sie zu dem 22-Jährigen auf, wenn er den Diskusring betritt und die ein Kilogramm schwere Scheibe mehr als 20 Meter weit durch die Lüfte schickt.
„Ich habe relativ schnell gemerkt, dass man solche Leute ignorieren muss“, sagt Robin Weiler über die Gaffer mit ihren „durchbohrenden Blicken“, in deren eingeschränktes Weltbild keine Menschen außerhalb der Norm passen und die sogar „blöde Kommentare“ abgeben, wie der Singener es immer wieder erlebt.
Viel wichtiger sind diejenigen, aus deren Applaus der Athlet Robin Weiler seine Energie zieht, die ihn über sich hinauswachsen lässt – wie Ende Juni, als er bei den Deutschen Meisterschaften der Para Leichtathletik in seiner Heimatstadt den Titel im Speerwurf holte und mit dem Diskus Zweiter wurde. Oder jüngst bei den World Dwarf Games in Köln, wo der Medizintechnik-Student gleich vier Medaillen gewann: Gold im Volleyball, Fußball und mit dem Diskus, Silber im Speerwurf.
Anderssein, keine Behinderung
Robin Weiler ist kleinwüchsig. Er selbst nennt es „eine Laune der Natur“, die dafür verantwortlich ist, dass er schon bei der Geburt kleiner ist als die anderen Babys, später kleiner ist als seine Mitschüler und Kommilitonen, immer kleiner sein wird als seine normalwüchsigen Eltern. Es ist ein Anderssein, keine Behinderung, darauf legt der 22-Jährige großen Wert. „Behindert bist du nur da, wo dich etwas behindert“, sagt Weiler und meint beispielhaft die Situation, wenn er etwa im Supermarkt vor einem hohen Regal steht.
Abseits der vielen Hürden des Alltags, die Weiler überwinden muss, hilft ihm der Sport schon immer dabei, seine wahre Größe zu entfalten. „Seitdem ich laufen kann, spiele ich Fußball, im Winter gehe ich auch gerne Skifahren“, sagt der Borussia-Dortmund-Fan, der bei der DJK Singen kickt, in der Leichtathletik für den StTV Singen startet und auf der Anlage des TV Radolfzell trainiert.
In Kindertagen spielt er in den Jugendteams gemeinsam mit den normalwüchsigen Fußballern. Während die anderen regelmäßig in die nächsthöhere Altersklasse aufsteigen, wird Robin Weiler zu den Schwächeren eingeteilt. „Da kam die Wende, und ich beschloss, Trainer zu werden“, sagt er. Gemäß seinem Motto „Nie aufgeben, immer an sich glauben – auch wenn es Scheißphasen gibt im Leben“ macht er das Beste aus der Situation.
Statt selbst dem Ball hinterherzurennen, hilft er, der 2017 mit 16 Jahren in Kanada erstmals Weltmeister der Kleinwüchsigen geworden war, nun als Coach den E-Jugendfußballern dabei, sich zu verbessern. „Die sind klein und quirlig“, sagt der C-Lizenz-Inhaber und lacht. Am Anfang jeder Saison gibt es regelmäßig im ersten Training eine Fragerunde, in der Weiler seinen Schützlingen schildert, warum er so ist, wie er ist. „Dann ist alles geklärt“, sagt er.
Der Sport ist Robin Weilers große Leidenschaft, im Training kennen sie den 22-Jährigen. Da schaut niemand komisch, keiner macht einen blöden Spruch. Der Sport war und ist aber auch ein gutes Ventil für schlechte Tage. Wenn es etwa an der Uni nicht so läuft wie gedacht, dann kommt das Training gerade recht, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Anfangs beim Fußball, seit Weiler in Singen von Oswald Ammon gefördert wurde, auch bei der Leichtathletik. Aktuell stehen eine bis zwei Krafteinheiten pro Woche auf dem Programm, zudem drei bis fünf Einheiten im Stadion.
Zum Trainingstermin kommt Robin Weiler mit einer Tasche, auf die die Olympischen Ringe, Team D und Germany gedruckt sind. „Es ist ein geiles Gefühl, mit dem Adler auf der Brust starten zu dürfen“, sagt der Singener. Das Problem dabei: Die gesamte Ausrüstung haben Teamkollegen entworfen, bestellt haben sie alles gemeinsam im Internet – auf eigene Kosten.
„Der deutsche Kleinwuchssport steht am Anfang, wir werden nahezu nicht gefördert“, sagt der 22-Jährige diplomatisch. „Natürlich würde ich mich über mehr Unterstützung freuen.“ Seine einzigen Sponsoren seien die Eltern, die ihm die Reisen finanzieren, wie zu den Weltspielen 2017 nach Kanada oder 2023 nach Köln. Deutlicher wird bei diesem Thema Georg Baur, Robin Weilers Trainer. „Es kann nicht sein, dass ein Athlet, der Deutschland vertritt, nicht unterstützt wird“, erklärt der 68-Jährige. „Man grenzt die Kleinwüchsigen aus der Gesellschaft aus. Es geht hier ja nicht um das große Geld“, fährt er fort.
Im Alltag fällt Robin Weiler immer wieder auf, im Sport fühlt er sich trotz aller Erfolge bisweilen übersehen, was fast noch schlimmer ist.
Traum von den Paralympics
Auf der Sportanlage neben der Radolfzeller Unterseehalle läuft Robin Weiler einmal den Fußballplatz hoch und wieder runter, dabei wirft er den Diskus locker vor sich her. Nach dem Aufwärmen geht es in den Ring. Gemeinsam mit Georg Baur feilt der junge Hegauer an seiner Technik. An der Drehung, der richtigen Fußstellung, am korrekten Abwurfwinkel.
Diskus-Bestleistung: 23,66 Meter
Der Diskus ist die Paradedisziplin des Singeners. Mit seiner Bestleistung von 23,66 Metern ist der Deutsche Hallenmeister an Position zwei der Weltrangliste, vier Meter fehlen bis zum Weltrekord. Auf der ganz großen Bühne darf der junge Hohentwieler sein Können trotzdem nicht demonstrieren. Bei den Paralympics treten kleinwüchsige Frauen im Diskuswurf und Kugelstoßen an, die Männer im Speerwurf und im Kugelstoßen, nicht aber mit dem Diskus. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, schimpft Georg Baur, der 16 Jahre lang in Karlsruhe Speerwurf-Bundestrainer war und nun in der alten Heimat Robin Weiler coacht und für ihn kämpft. „Ich will eine Begründung für diesen Ausschluss und habe national und international angefragt“, sagt Baur weiter.
Seinen Schützling mit der wilden Mähne und den beiden Ohrringen, für den es keine Sonderbehandlung im Vergleich zu anderen, normalwüchsigen Athleten in der Trainingsgruppe gebe, beschreibt Baur wie folgt: „Robin ist kein Kind von Traurigkeit und trotz aller Widrigkeiten immer positiv eingestellt. Er bringt Spaß in die Truppe.“ Weiler sei „konsequent, zielgerichtet und erfolgsorientiert“, fährt der 68-Jährige fort.
Eigenschaften, die seinen Schützling als Athlet auszeichnen – und manchmal auch als Trainerkollege, wie eine Episode bei den World Dwarf Games in Köln zeigt. Im Trainingslager vor den Wettkämpfen gab der Singener einigen jüngeren Athleten Tipps in den Wurfdisziplinen. „Bei der Abschlussfeier“, erinnert er sich, „kamen sie dann zu mir und haben erzählt, dass sie Gold geholt haben. Das hat mich schon stolz gemacht.“
Unter den Kleinwüchsigen mag Robin Weiler mit seinen 130 Zentimetern ausnahmsweise wirklich Durchschnitt sein, als Sportler, Trainer und manchmal auch Tippgeber ist der Singener überragend.