Eigentlich ist es ein Wunder, dass Fabian Bader noch Fußball spielt. In der Landesliga, nicht in irgendeiner Feierabendbierrunde wohlgemerkt. Seine Partnerin würde wahrscheinlich eher das Wort „Wahnsinn“ gebrauchen, denn nach zwei Kreuzbandrissen und einem Herzinfarkt gehören die Kickschuhe doch an den berühmten Nagel gehängt. Aber einfach so aufhören? Nein, das geht nicht. Das würde auch nicht zu dieser Lebensgeschichte passen, zu diesem Auf und Ab der Schicksalswendungen.
Der Teenager will nur chillen
Fabian Bader ist 31 Jahre alt. Geboren wurde er in Konstanz, nach der Trennung der Eltern wuchs er im beschaulichen Hoppetenzell bei Stockach auf, wo seine Mutter ihre Wurzeln hat. Am Wochenende ist er meist bei Papa Ralph, die Tage sind immer ein kurzer Urlaub. Unter der Woche nimmt Mamas neuer Partner Beat die Vaterrolle an. „Der tollste Stiefpapa, den man sich nur wünschen kann“, erzählt Fabian an diesem Abend in einer Radolfzeller Gaststätte, während „Spaghetti aglio e olio“ aufgetischt werden.

Ein schwieriger Teenager sei er dennoch gewesen. Ein trotziger Junge, der sich mit seiner Faulheit selbst im Weg stand und gerade so den Realschulabschluss schaffte. Einer, der sich schwer tut, Orientierung im Leben zu finden. „Ich wollte nicht mehr zur Schule, wollte nicht arbeiten. Ich wollte nur chillen“, erinnert er sich. Die Eltern reagieren, der Papa meldet den Junior für ein Soziales Jahr beim Pflegedienst im Krankenhaus Stockach an. Eigentlich müsste es Freiwilliges Soziales Jahr heißen, aber das wäre in Baders Fall wirklich nicht korrekt.
Als Teenager auf der Pflegestation
„Meine Eltern dachten, dass ich keine Woche durchhalte“, weiß er heute. Stattdessen finden irgendwelche Hirnwindungen zusammen, er fühlt sich gebraucht, sogar gemocht und respektiert. „Das war eine Wendung in meinem Leben“, ist sich Bader sicher. Er kümmert sich um Senioren, leert Bettflaschen, hilft bei der Körperhygiene und wäscht Verstorbene. „War nicht immer einfach für einen 16-Jährigen“, sagt er. Aber eben auch eine Schule fürs Leben. Aufgeben, dann wenn es hart wird? Niemals!
Bader beeindruckt mit seinem Einsatz den Krankenhauschef, der daraufhin den Schulleiter beim Berufsbildungszentrum Stockach anruft. Er bekommt so einen Platz im technischen Berufskolleg vermittelt, holt sein Fachabitur nach und entscheidet sich dann für ein Studium im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik in Konstanz. Während dem Studium arbeitet er nebenbei in einem Bekleidungsgeschäft. Seine Oma hilft jederzeit und greift ihm unter die Arme. „Da bin ich ihr ewig dankbar, dass sie mir das ermöglicht hat.“
Ein guter Fußballer ist er schon damals. Die ersten Tore schießt er unter der Anleitung des Stiefpapas in Zoznegg, danach kickt er in der Jugend für den FC Radolfzell und den VfR Stockach, ehe die Mama ihm einen Wechsel nach Zizenhausen nahelegt, weil dort Opa Adolf Zanner lebt, der sein erstes Enkelkind doch spielen sehen will. Opa, Papa und Stiefpapa sind fortan bei jedem Spiel dabei. Mit dem Trio nach dem Abpfiff noch zu reden und etwas zu trinken, das gehört zu den schönsten Erinnerungen Baders an seine ersten Jahre bei den Aktiven.
Der Krebs tötet Opa Zanner schließlich. Zumindest bekommt er den Bachelor-Abschluss des Enkels noch mit. Ein halbes Jahr nach der Beerdigung braucht Fabian einen Tapetenwechsel, wechselt zu Nordstern Radolfzell. Dort bleibt er drei Jahre, der Transfer zu Independiente wird anschließend zu einem Kurzzeitintermezzo, weil die Corona-Epidemie zum frühen Saisonabbruch führt.
Der erste Kreuzbandriss
Beim Türkischen SV Singen beginnen dann Fußballerjahre, bei denen man sich im Rückblick fragen muss, ob er nun besonders viel Glück oder Pech gehabt hat. Den ersten Kreuzbandriss zieht er sich bei einem Heimspiel gegen den SV Deggenhausertal zu. „Ich war Stammspieler in der Bezirksligamannschaft“, erinnert sich Bader. Bei einem Zweikampf verdreht er sich den Fuß, fasst sich ans Knie, hat dann brutale Schmerzen, wie er sich erinnert. „Ich ließ mich auswechseln, lief zur Bank, setzte mich hin, stand dann noch mal auf, um einen meiner Schienbeinschoner aufzuheben.“
Dann ein Knall im Knie, ihm wird schwarz vor Augen. Papa Ralph fährt ihn ins Krankenhaus, das MRT zeigt den ganzen Schaden. Das Kreuzband im linken Knie ist weg, dazu ein Knorpel- und doppelter Meniskusschaden. Ein Dreivierteljahr Pause, so lautet die Prognose.
Der zweite Kreuzbandriss
Pustekuchen. Nach drei Monaten ist Bader bereits wieder am Joggen. „Das ging brutal schnell“, erinnert er sich. Er meldet sich beim Türkischen SV zurück, macht die Rückrunden-Vorbereitung mit, steht auch beim letzten Training vor dem ersten Spiel nach der Winterpause auf dem Platz.
Noch ein Laufduell steht vor dem Duschen an. Was folgt, ist gemein. Eine unglückliche Bewegung, ein Geräusch, „als würde mich einer abknallen“. Wieder das Kreuzband, diesmal im rechten Knie. „Ich wusste sofort, was los ist. Und ich habe es gehasst. Ich war innerlich gebrochen.“
Immerhin, der Arbeitgeber in der Schweiz unterstützt ihn. Der Chef ist selbst ein Fußballfan – vom AC Mailand, aber auch von diesem ehrgeizigen Deutschen. Es ist aber auch eine Zeit der Zweifel. Noch mal ein Comeback? Oder doch aufhören, wie es die Freundin empfiehlt? Die Stimmung zu Hause ist oft mehr als nur angespannt.
Die Liebe zum Fußball triumphiert. Und sollte ihn fast das Leben kosten. Er wird bei den ersten beiden Spielen der Rückrunde eingewechselt.
Dann ein Dienstag, der anders ist als die Tage zuvor. „Ich fühlte mich nicht gut, war schlapp, hatte Druck auf der Brust, meine Füße fühlten sich taub an“, erinnert sich Bader. Ins Training geht er trotzdem, ignoriert die Beschwerden, glaubt, dass es an den neuen Kickschuhen liegen müsse, oder am ersten Training auf Rasen, auf jeden Fall am Stress im Büro. „Ich dachte doch nicht, dass was mit meinem Herz nicht stimmen könnte.“
Der Herzinfarkt
Wieder passiert es beim Abschlusssprint. „Ich will einatmen. Und dann – als ob man ein Messer in die Brust gerammt bekommt. Game over.“ Er bekommt kaum Luft bis der Notarzt da ist, versucht die Panik niederzukämpfen.
Nach vielen Untersuchungen dann die Diagnose im Krankenhaus: Herzinfarkt. Bader hat Glück, er trägt keine Schäden davon, muss aber Medikamente nehmen und soll jede Belastung wegen einer folgenden Herzmuskelentzündung vermeiden. Das Nichtstun fällt im schwer.
Und der trotzige Junge meldet sich zurück. Der, der es besser zu wissen glaubt, der seinen Körper belastet, statt ihm Erholung zu gönnen, weil der Kopf nicht für die Einsamkeit eines Wohnzimmers taugt. Drei Kisten Rapp-Sprudel konnte er früher in den dritten Stock aufs Mal tragen, jetzt glaubt er mit einem bei Stufe zwei zu krepieren. „Ich konnte noch nicht mal einen Katzenstreusack rauftragen, ohne dass ich ein Sauerstoffzelt gebraucht hätte.“
Doch sein Zustand wird besser, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Viele unterstützen ihn, vor allem natürlich die Eltern. Seine Mama nennt er heute seine beste Freundin. Mit dem Papa bildet er ein Duo, wie er es sich besser nicht vorstellen kann. „Ich bin beiden unendlich dankbar für alles, was sie für mich getan haben“, sagt Fabian. „Ich war sicher kein einfacher Sohn, aber sie haben immer zu mir gehalten.“
Am letzten Landesliga-Spieltag darf er gegen den SV Denkingen die letzten zehn Minuten aufs Feld. Das perfekte Ende einer Karriere? Nein! Mit 31 und trotz einer Krankenakte, die es mit dem Telefonbuch von Tokio hätte aufnehmen können, will er noch nicht aufhören. „Fabian ist eine Frohnatur, immer positiv, den haut so schnell nichts um. Ich habe ihm damals schon gesagt, dass wenn einer nach zwei Kreuzbandrissen und einem Herzinfarkt zurückkommt, er das ist“, sagt Toni Fiore Tapia, der ihn einst bei den Nordsternen trainierte – und jetzt beim FC Öhningen-Gaienhofen, der vergangene Saison in der Bezirksliga die Meisterschaft und den Landesliga-Aufstieg feierte. Und der nahe am Spielfeldrand einen Defibrillator hat. Man weiß ja nie.
Tor, Tor, Tor! Aber kein Happy End!
Und was nun folgt, ist fast schon zu kitschig um wahr zu sein. Im Verbandspokal erzielt Bader bereits einen Treffer beim 7:1 gegen den FC Furtwangen.

In der Liga absolviert er das erste Spiel, sitzt beim zweiten auf der Bank – und erzielt dann kurz vor Schluss am vergangenen Wochenende den Siegtreffer gegen die Spielvereinigung F.A.L. – sein erstes Tor nach drei Jahren in der Liga, das dem Aufsteiger den ersten Sieg beschert. „Das war so toll, wie die Freude mit mir geteilt wurde, das war unglaublich. Alle sind auf mich zugerannt, jeder wusste, was gerade passiert war.“
Es geht weiter. Immer weiter!
Die Spaghetti sind längst weggeputzt, eigentlich müsste die ganze Wirtschaft gleich mitjubeln bei der Erinnerung, die wenigen Gäste sind aber mit sich selbst beschäftigt. „Das war echt krass emotional. So eine Gänsehaut hatte ich noch nie. Darum spielt man Fußball.“
Das nächste Kapitel seines Comebacks steht ausgerechnet am Freitag um 18.15 Uhr an, wenn der FC Öhningen-Gaienhofen zum Derby beim FC Radolfzell antreten wird. „Für den hat der Papa einst viele Tore geschossen und mein Opa Horst Bader war dort viele Jahre Geschäftsführer und 2. Vorsitzender“, weiß Fabian. Er will natürlich trotzdem gewinnen, mit dem Papa und den Kumpels danach ein oder zwei Bierchen auf einen Sieg trinken.
Und einfach genießen, hier sein zu dürfen, was eigentlich ein wahnsinniges Wunder ist.