Es sind manchmal die komischen Zufälle, die den Weg des Lebens bestimmen. „Wäre seinerzeit der zuständige Sachbearbeiter am Oberschulamt in Freiburg nicht im Urlaub gewesen, wäre ich nie und nimmer im Hotzenwald gelandet“, lacht Hermann Burger, heute – 52 Jahre nach der für ihn damals fatalen Versetzung – über das Schicksal, das ihn im Sommer 1968 ins verschlafene Dörfchen Hogschür geführt hat.

Kaum in der Region angekommen und den ersten Kulturschock verdaut, machte sich der 23-Jährige umgehend Gedanken, wie er schnell zurück in die Heimat kommt: „Ich hatte eine Zusage für eine Lehrerstelle in Freiamt in der Tasche, als mir in Freiburg gesagt wurde, dass ich in den Schulbezirk Waldshut muss“, erinnert sich Burger: „Ich habe immer gesagt, dass ich das Autokennzeichen EM behalte – denn lang wollte ich hier mein Dasein nicht fristen.“
Wäre also der gute Mann nicht im Urlaub gewesen, wäre Hermann Burger wohl nie nach Rickenbach gekommen, hätte nie eine junge Frau namens Dorothea Grunfelder aus Segeten kennen und lieben gelernt, hätte nie mit im „Frieden“ gesessen, als im Januar 1977 der FC Bergalingen aus der Taufe gehoben wurde – und er wäre nie 41 Jahre lang Jugendleiter des Vereins gewesen.
Über vier Jahrzehnte die Geschicke einer Nachwuchsabteilung zu leiten, das hätte sich Hermann Burger an jenem Abend nicht träumen lassen, als Bruno Müller, damals Vorsitzender des jungen Vereins, bei den Burgers auf der Matte stand: „Bruno hat nur gesagt, dass er dem Südbadischen Fußballverband in Freiburg einen Namen melden muss“, blickt Burger lachend auf die Anfänge einer Ära auf dem Hotzenwald.
Hermann Burger im Portrtait
Der gewiefte Bruno Müller wusste allerdings genau, was er tat. Hermann Burger hatte in der Rickenbacher Schule als Sportlehrer für Begeisterung unter den Buben gesorgt – allein, weil er eine Schulmannschaft ins Leben rief. Mangels Vereinsspielbetrieb schlossen sich die Jungs aus den Dörfern gern dieser bunten Truppe an: „Wir traten sogar bei Grümpelturnieren an“, erinnert sich Burger: „Wir hatten keine Trikots. Also bat ich – mit Erfolg – den damaligen Bürgermeister Fridolin Thoma um Unterstützung.“

„Diese Schulmannschaft wurde zur Basis des FC Bergalingen“, betonte Vereinspräsident Manfred Eckert bei der Hauptversammlung, als Hermann Burger verabschiedet wurde: „Hermann war ein Glücksfall für den Verein. Den Kulturschock bei der Ankunft auf dem Hotzenwald konnte er dank des Fußballs bald überwinden.“
So wuchs Burger ins Amt: „Es war ja fast logisch, dass ich beim FC Bergalingen aktiv werde. Meine Buben haben ja auch Fußball gespielt“, blickt er auf die ersten Jahre zurück. Stetig wuchs die Nachwuchsabteilung. Burger war fortan nicht nur Organisator, sondern auch Trainer. Seinen Sohn Marc begleitete er durch alle Jugendmannschaften. Er scheute auch keinen interfamiliären Disput, wenn der FC Bergalingen mal wichtiger als alles Andere war: „Ich erinnere mich noch gut an jene Sommerferien, in denen unser Urlaub ins Wasser fiel, weil Hermann nahezu täglich potenzielle Jugendtrainer abklapperte – und sich eine Absage nach der anderen einhandelte“, lacht Dorle Burger: „Der Familienurlaub fiel ins Wasser. Zum Saisonbeginn hat Hermann die Mannschaft dann eben selbst trainiert.“
Hermann Burger: „Es gibt keine bessere Möglichkeit zur Integration als den Fußball“
„Ja, sollte ich die Buben wieder heimschicken“, interveniert der „Gescholtene“ mit Augenzwinkern: „Mir war natürlich der Erfolg wichtig, mehr aber noch, dass alle Rickenbacher Kinder eine Möglichkeit bekamen, bei uns Fußball zu spielen.“ Diese Chance konnte und wollte Burger niemandem verwehren. Ob Buben oder Mädchen – wer Lust auf Fußball hatte, war bei ihm stets an der richtigen Adresse: „Auch die Kinder mit Migrationshintergrund haben sich immer bei uns wohl gefühlt. Es gibt keine bessere Möglichkeit zur Integration als den Fußball.“ Umso mehr schmerzt ihn derzeit, dass die Kinder wegen der Corona-Auflagen nicht kicken dürfen: „Wenigstens Training hätte die Politik den Kleinen erlauben sollen.“

Unter Burgers Pflege wuchs und gedieh das zarte Pflänzchen. Die Abteilung entwickelte sich derart prächtig, dass 1998 sogar der Deutsche Fußballbund auf den kleinen Hotzenwälder Sportverein aufmerksam wurde. Am Bezirksjugendtag in Ühlingen freute sich Hermann Burger für den FC Bergalingen über den „Sepp-Herberger-Preis“, den Jugendabteilungen, die sämtliche Altersklassen mit eigenen Mannschaften besetzen und zusätzlich über die Saison hinaus gänzlich ohne Strafen bleiben, erhalten können.
Eine Auszeichnung, die Hermann Burger gern an seine Trainerriege weiterreichte: „Wir fanden immer sehr gute Leute für den Nachwuchs.“ Burger hatte ebenfalls viel Anteil: „Er hat seine Arbeit stets akribisch und penibel erledigt, dem Verein so manche Mark und manchen Euro an unnötigen Strafen erspart“, lobt die Ehefrau – und bekommt prompt die Antwort: „Ohne Dorle wäre vieles nicht möglich gewesen. Sie war meine inoffizielle 2. Jugendleiterin über all‘ die Jahre“, lächelt Burger seine Ehefrau an: „Dorle war immer mit Rat und Tat dabei. War Ansprechpartnerin der Kinder, wenn ein Wehwechen plagte, half mit Weitsicht und Erfahrung bei Jugendturnieren. Ihre Unterstützung war mir als Ehemann wichtig und für mich als Jugendleiter unheimlich wertvoll.“

Nach 41 Jahren mit ungezählten Kindern und Jugendlichen, deren sportliche Ausbildung Hermann Burger als Organisator oder Trainer ermöglicht hat, genießt er jetzt die freie Zeit, auch wenn er auf Heimspiele des SC Freiburg vorerst verzichten muss: „Wenigstens wurden mir Karten fürs Spiel gegen den VfL Wolfsburg zugelost. Also bin ich einer der Wenigen, die 2020 den SC Freiburg live sehen durften.“
Überzeugt von seinen Nachfolgern
Beim FC Bergalingen hat er ein bestelltes Feld hinterlassen: „Ich bin überzeugt, dass meine Nachfolger ihre Sache gut machen“, stärkt Burger dem Trio Ralf Kohlbrenner, Markus Schmid und Markus Meier den Rücken: „Sie werden ihren Weg finden. Niemand erwartet eine Kopie meiner Arbeit.“ Überhaupt falle der Abschied nicht schwer: „Die Kommunikation wird immer digitaler. Die alte Schule mit Postversand und persönlichem Vorsprechen hat ausgedient. Diesem Wandel habe ich mich nicht ungern entzogen“, gibt Burger zu, dass ihm der Generationswechsel ein Anliegen war: „Im Wort Jugendleiter steckt ja Jugend drin. Dann darfst du mit 75 auch ohne Wehmut abtreten.“
Mit Stolz blickt der langjährige Funktionär zurück, auf Fußballer, die unter seinen Fittichen heran wuchsen, später als Aktive viele Tore, Siege und Meisterschaften einfuhren. „Unsere D-Junioren holten 1986 die erste Meisterschaft für den FC Bergalingen überhaupt. Das war damals eine große Sache“, zählt Burger viele weitere Titel, Aufstiege und Pokale auf: Insgesamt 22 Meistertitel und 33 Vizemeisterschaften summieren sich während der Burger-Jahre.
So macht es Hermann Burger glücklich, wenn er auf dem Sportplatz steht und ein freundliches Hallo hört: „Das sind für mich die schönsten Momente, wenn mich Fußballer, meine Jugendspieler von früher, grüßen – mehr Anerkennung braucht es doch gar nicht.“