
Fußball: – Das Bild ist reichlich ungewöhnlich, das sich Zaungästen bietet. „Wieso rennt da ein Mädchen dem Schiedsrichter hinterher?“, wundert sich der Spaziergänger, der zufällig des Weges kommt, und schüttelt irritiert den Kopf. Was es heutzutage nicht alles gibt, auf dem Fußballplatz, scheint der gute Mann zu denken und geht weiter seines Weges.
Ja, es ist in der Tat nicht alltäglich, was sich da auf dem Kunstrasen in Warmbach abspielt. Auf Schritt und Tritt verfolgen – im Wechsel – Samira Imeri und ihre Freundin Aila Ljaci den Unparteiischen bei seiner Aufgabe, das Testspiel der B-Junioren des FSV Rheinfelden gegen die Altersgenossen des JFV Region Laufenburg zu leiten.

Samira und Aila hatten sich kürzlich bei Ramon Leisinger gemeldet, weil sie sich fürs Schiedsrichter-Praktikum interessiert haben. Der Obmann der Hochrhein-Schiedsrichter freute sich nicht nur übers Interesse der beiden Fußballerinnen des FSV Rheinfelden, sondern auch über die Tatsache, dass es zwei Mädchen sind, die sich für das Hobby „Schiedsrichter“ befasst haben.
Weiblicher Nachwuchs besonders willkommen
Bei den rund 200 Unparteiischen im Bezirk ist jeder Interessent jeden Alters willkommen. Aber gerade beim weiblichen Nachwuchs ist noch viel Luft nach oben: „Dabei haben die Mädchen bei entsprechender Leistung als Unparteiische beste Karrierechancen bei den Frauen“, weiß Andreas Holub, der als Schiedsrichter in der Landesliga aktiv ist.

Die Premiere, da ist sich der Unparteiische aus Weil am Rhein absolut sicher, war rundum gelungen: „Von der ersten Minute war zu erkennen, dass Samira und Aila großes Interesse an der Sache haben“, war es für Holub mehr als nur eine Pflichtaufgabe, den beiden B-Juniorinnen zu zeigen, was vor, während und nach einem Fußballspiel wichtig ist.
Das geht beim Check der Trikotfarbe „Schwarz ist immer dem Schiedsrichter vorbehalten“ und des Handwerkszeugs – Uhr, Pfeife, Spielnotizkarte sowie natürlich die Karten in Gelb und Rot – weiter. Danach wird per Handy die Aufstellung der beiden Mannschaften kontrolliert. Die wärmen sich bereits intensiv fürs Spiel auf, als Andreas Holub mit den beiden Mädchen zur Platzkontrolle von Tor zu Tor geht.

Gemeinsam prüft Holub mit seinen Praktikantinnen, ob alle vier Eckfahnen stehen und die beiden Tornetze in einem ordnungsgemäßen Zustand sind. Waren sie nicht, denn prompt entdeckt Samira ein Loch im Netz, ist aber beruhigt, als Andreas Holub ihr Entwarnung gibt: „Da passt kein Ball durch, das kann man so lassen.“
Vor dem Anpfiff steigt die Nervosität
Dann geht‘s endlich los. Die Nervosität ist mittlerweile etwas angestiegen. Samira Imeri läuft neben Andreas Holub mit den beiden Mannschaften ein. Sie begleitet die Begrüßung und die Platzwahl und versucht nach dem Anpfiff, dem erfahrenen Schiedsrichter über die Schultern zu schauen – was sich angesichts der unterschiedlichen Körpergrößen als eher schwieriges Unterfangen entpuppt.
Aber Holub achtet nicht nur aufs durchaus anspruchsvolle Spielgeschehen, sondern auch auf seine „Schatten“, die ihn auf dem Platz begleiten. Sogar während des Spiels dürfen die 14-Jährigen immer wieder nachfragen, wenn es für sie Unklarheiten gibt.
Die 22 B-Junioren spielen einen flotten Ball, also ist viel Laufarbeit für den Schiri und die Mädchen angesagt. Holub rechnet mit knapp zehn Kilometern, die ein Unparteiischer in einem Spiel zurücklegt. Als Samira nach einer guten Viertelstunde den Platz räumt und von Aila abgelöst wird, muss sie doch erst einmal tief durchatmen: „Ich war in der vergangenen Woche krank – deshalb“, lächelt sie Anstrengung weg und fügt grinsend an: „Der Andreas hat halt auch so lange Beine. Wenn er zwei Schritte macht, muss ich vier machen.“

Aber, davon zeigt sich die Teenagerin überzeugt: „Wenn ich selbst bei den B-Juniorinnen spiele, laufe ich sicher mehr.“ Samira weiß, wovon sie spricht. Sie stammt aus einer waschechten Rheinfelder Fußballfamilie. Der Papa spielt aktuell bei den Alten Herren. Die Mama jagte einst beim VfR Rheinfelden unter Trainerin Brigitte Wassmer dem Ball nach und ist heute die Trainerin von Samira und Aila. Dass die zwei kleineren Brüder auch kicken – Ehrensache.

Für Samira Imeri ist Fußball mittlerweile die Nummer 1 geworden. Schließlich spielte sie bis vor einem guten Dreivierteljahr auch noch Handball. Dort sei übrigens ihr Interesse am Schiedsrichterwesen geweckt worden: „Ich saß bei den Spielen oft mit am Zeitnehmer-Tisch und hatte Verantwortung.“

Pfeifen – oder nicht pfeifen? Das ist hier die Frage
Aila Ljaci versucht indessen, auf Ballhöhe mit Andreas Holub zu bleiben. Sie spielt bei ihrer Mannschaft im Tor und ist beeindruckt, ein Spiel einmal aus einer völlig neuen Perspektive zu erleben. Gebannt beobachtet sie Andreas Holub. Der ist aufs Spielgeschehen fokussiert, muss eine Elfmeterszene abwägen, pfeift zur Enttäuschung der Gastgeber nicht. Sekunden später – jetzt auf der gegenüberliegenden Seite – ertönt sein Pfiff dann doch. Kurz und prägnant erklärt der erfahrene Unparteiische seiner Begleiterin, weshalb er sich hier so und dort anders entschieden hat.
Für die Mädchen sind die 80 Minuten auf dem Rheinfelder Kunstrasenplatz schnell vorbei. In der Pause haben sie mit Andreas Holub eine Zwischenbilanz gezogen. Hier war mehr Zeit für Detailfragen. Und die hatten die beiden Praktikantinnen durchaus.

Andreas Holub bleibt ihnen keine Antwort schuldig. Geduldig erklärt er, erzählt aus seinem Erfahrungsschatz, gibt erste Tipps und deutet auch an, dass ein Unparteiischer – allen Regeln zum Trotz – schon auch mal das berühmte Fingerspitzengefühl anwenden kann und soll: „Da sagt man dem Spieler im Vorbeigehen einfach, dass er dieses tun und jenes unterlassen soll.“
Voller neuer Eindrücke sitzen Schiri und Praktikantinnen nach dem Schlusspfiff zusammen. Das Ergebnis – mit 4:3 gewannen die Jungs aus Laufenburg – und die Torschützen haben sie bereits zusammen eingegeben. Nun gilt es, ein erstes Fazit über den Nachmittag zu ziehen. Und es überrascht nicht, dass Andreas Holub von Samira und Aila schnell nach dem nächsten Schritt gefragt wird: „Wir könnten uns das sehr gut vorstellen, Schiedsrichterinnen zu werden. Wie geht‘s denn jetzt weiter?“
Andreas Holub schmunzelt, denn er hat schon während des Spiels gespürt, dass ihm hier vielleicht bald zwei neue Kameradinnen zur Seite stehen könnten: „Das wäre natürlich super, wenn sie den Kurs belegen und vielleicht eines Tages bei mir an der Linie als Assistentinnen bei einem Spiel dabei sind.“

Schiris gehen neue Wege
Der Feldversuch „Schiedsrichter-Praktikum“ scheint also schon beim ersten Anlauf Früchte zu tragen, was Obmann Ramon Leisinger freuen dürfte: „Wir wollen neue Wege gehen und glauben, dass es sinnvoll ist, wenn die Interessenten auf diese Weise erst einmal reinschnuppern, ehe sie in den Kurs gehen. Vielleicht findet so mancher Skeptiker durchaus Gefallen an der Schiedsrichterei.“
Bei Samira Imeri und Aila Ljaci sieht es gut aus. Die Fußballerinnen hatten riesigen Spaß und wollen alsbald in den Online-Kurs starten. Und dann – wer weiß – lassen die beiden Rheinfelderinnen schon in absehbarer Zeit die Jungs nach ihrer Pfeife tanzen.