Fußball: Die Reise bei der Europameisterschaft war für die deutsche Nationalmannschaft bereits im Achtelfinale zu Ende. Abgesehen vom starken Auftritt gegen Portugal blieb die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw bei dem Turnier vieles schuldig. Und so kommentieren die Fußballtrainer im Schwarzwald das frühe EM-Aus der Deutschen:

Alexander Fischinger (FC Schonach): „Ich finde es schade, dass die Ära Löw so enden musste. Ich hätte ihm einen besseren Abschied gewünscht. Die deutsche Mannschaft wurde ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht und ist verdient ausgeschieden. Wir haben zu viele satte, überbezahlte Spieler. Vor allem die Stars haben mich enttäuscht. Ihnen fehlt das Herz, der Wille, die Leidenschaft und die Begeisterung, die beispielsweise die dänische Mannschaft so mitreißend verkörpert. Andere Nationen haben in der Ausbildung junger Spieler neue Wege eingeschlagen und uns längst überholt. Der neue Bundestrainer Hansi Flick muss wieder von ganz unten anfangen.“

Patrick Fleig (FV Marbach): „Die Mannschaft ist glücklich durch die Vorrunde geschlichen und gegen England etwas unglücklich ausgeschieden. Wir haben während des Turniers fast alle Tore über die Außenbahn bekommen. Da muss man schon mal nach dem Sinn einer Dreierkette fragen. Joachim Löw hat während seiner Zeit als Bundestrainer nicht alles falsch gemacht, dafür steht der WM-Titel 2014. Aber jetzt wird es höchste Zeit, dass ein neuer Mann frischen Schwung in die Nationalmannschaft bringt und den Verjüngungsprozess fortsetzt.“

Hat den rechtzeitigen Absprung verpasst: Bundestrainer Joachim Löw.
Hat den rechtzeitigen Absprung verpasst: Bundestrainer Joachim Löw. | Bild: FEDERICO GAMBARINI

Marcel Yahyaijan (FC 08 Villingen): „Deutschland hat die EM schon vor der EM verloren. Erst sortiert der Bundestrainer Spieler wie Thomas Müller und Mats Hummels aus, um sie im letzten Augenblick wieder zurückzuholen und zu den wichtigsten Spielern zu erklären. Das war ein Riesenfehler. Außerdem hätte er Joshua Kimmich als Sechser bringen müssen. Auf dieser Position hat Kimmich beim FC Bayern eine Weltklasse-Saison gespielt. Der Sieg für England war verdient. Unserer Mannschaft fehlt ein echter Torjäger, Kampfgeist und Leidenschaft. Unter Hansi Flick wird alles besser. Er wird ein anderes System spielen lassen und wahrscheinlich wieder eine echte Bayern-Achse installieren.“

Stefan Pröhl, Trainer des SV Geisingen, bezeichnet die vier Auftritt der Deutschen bei der EM als ernüchternd. „Das Spiel gegen Portugal war ein kleiner Lichtblick, doch dann ging es auch schnell wieder in die andere Richtung. Da hat die Elf gespielt wie in den Partien der WM-Qualifikation. Richtig erschrocken war ich über die Einstellung einzelner Spieler. Da fehlte mir in erster Linie die Laufbereitschaft.“ Was Pröhl Sorge für die Zukunft bereitet, ist die Tatsache, „dass uns ein echter Mittelstürmer fehlt, der die zwei Innenverteidiger bindet. Zudem sollte man bei den Spielern wieder mehr Lust sehen, wenn sie für Deutschland spielen“. Pröhl wirft Löw zudem vor, die Elf mehr nach den Namen und nicht nach den Leistungen aufgestellt zu haben.“ Pröhl: „Ich hätte gerne mal einen Christian Günter mit seinem Engagement gesehen.“

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Zu wenig Durchschlagskraft in der Offensive und eine viel zu hohe Zahl an Gegentreffern sind für Patrick Anders, Trainer des FC Pfaffenweiler, nur zwei Gründe, warum die deutsche Elf einmal mehr enttäuschte. „Ich habe seit der WM 2018 keine Weiterentwicklung gesehen. Es war richtig, Müller und Hummels zurückzuholen, aber viele junge Spieler haben keinen Schritt nach vorne gemacht. Zudem stellt sich mir die Frage, warum Kroos und Gündogan in ihren Vereinen die Anführer sind und in der Nationalmannschaft nicht. Ich weiß auch nicht, ob wir das richtige Spielsystem hatten.“ In der Weltklasse sei die Elf aktuell nicht mehr vertreten, auch wenn einzelne Akteure das Potenzial dazu hätten, es aber in der Auswahl nicht zeigten. „Löw hat über 15 Jahre weitgehend gute Arbeit geleistet. Es ist völlig richtig, dass jetzt ein neuer Trainer frischen Wind reinbringen wird“, hofft Anders auf bessere Zeiten.

Für Patrick Fossé, Trainer des FC Königsfeld, war Bundestrainer Löw in einigen Handlungen „zu dickköpfig“. Fossé: „Ich denke da an die Position von Kimmich, aber auch an die Dreier-Abwehrkette. Selbst die Spieler hatten eine Vierer-Kette favorisiert. In unserer Mannschaft steckt viel mehr Potenzial, was aber nicht abgerufen wurde.“ Fossé glaubt nicht, dass sich die Deutschen nach den jüngsten zwei Misserfolgen bei den großen Turnieren jetzt wieder hinten anstellen müssen. „Das Potenzial für ein besseres Abschneiden ist da. Mit einem neuen Trainer kommen neue Ideen und frischer Wind in die Elf. Ich sehe da nicht so schwarz, wenn wir die Schwachstellen beseitigen.“

Nicht überraschend kam das Aus der Deutschen für Axel Schweizer, Trainer des SV Aasen. „Das hat sich bereits bei den Spielen im Vorfeld der EM abgezeichnet. England war am Dienstag in einem schwachen Spiel auch nicht besser, zeigte aber mehr Willen.“ Nicht gefallen hat Schweizer, dass die deutsche Elf immer in ihrem System blieb. „Das Spielsystem muss flexibler sein. Nur positionsgetreu zu wechseln, macht uns nicht besser. Außerdem wird von der Abwehr bis zum Angriff zu fehlerhaft und zu langsam gespielt wird.“ Schweizer glaubt, dass die Jugendförderung in Deutschland weiterhin gut ist und der neue Trainer mit neuen Spielern rechnen kann. Dennoch: „Seit dem WM-Aus 2018 wurde zu viel Zeit vergeudet. Es gab keinen Fortschritt und wir hatten auch keine eingespielte Elf.“

Als „eher unglücklich“ bezeichnet Michael Henseleit, Trainer des Kreisligisten FC Brigachtal, das Aus der Deutschen. „England hatte drei Chancen, wir hatten drei Chancen. Es war ein Spiel auf Augenhöhe. Ich dachte wirklich, dass wir weiterkommen, aber Tore entscheiden.“ Für Henseleit hat bisher keine Nation komplett überzeugt. Aufgefallen ist ihm, „dass wir keinen echten Strafraumspieler mehr haben. Wenn wir da nicht Abhilfe schaffen, wird es auf Dauer schwer, unter den Top-Nationen mitzumischen“. Die größte Baustelle sieht Henseleit in die Abwehr: „Wir haben solide Bundesliga-Abwehrspieler, aber keinen von Weltklasse. Auch da haben wir großen Nachholbedarf.“

Vier EM-Spiele mit schwankenden deutschen Leistungen sah Franz Ratz, Trainer der SG Vöhrenbach/Hammereisenbach. „Wir sind oftmals viel zu mutlos aufgetreten. Da hätte ich mir mehr Zielstrebigkeit in den Aktionen gewünscht. Wir waren mehrfach zu pomadig und haben ohne Tempo gespielt. Da sind uns andere Nationen voraus.“ Ratz macht den Misserfolg nicht an Trainer Löw fest. „Er hatte nach dem WM-Aus vor drei Jahren wieder viel Ehrgeiz gezeigt. Er klebte keinesfalls, wie oft berichtet, an seinem Sessel.“ Ratz hofft, dass zukünftig einige Spieler aus der U21 berufen werden, die in ihrer Altersklasse Europameister wurden. „Unter Hansi Flick sollte es wieder bessere Ergebnisse geben. Wir müssen uns aber wieder auf unsere Tugenden besinnen.“

Die besten Auftritte der deutschen Elf sah Zeljko Cosic, Trainer der SG Riedböhringen/Fützen, wenn die Elf mit einer Vierer-Abwehrkette agierte. „Löw wollte dominant mit einer Dreier-Kette und einem Fünfer-Mittelfeld spielen. Der Schuss ging nach hinten los. Wenn du in einem Turnier etwas erreichen willst, musst du mit Herz, Mut und Engagement aufspielen. Das habe ich bei der Löw-Elf nicht gesehen, zumal sich schon im Gruppenspiel gegen Ungarn gezeigt hat, dass dieses taktische Ballgeschiebe keinen Erfolg verspricht.“ Zudem habe Löw mit den personellen Wechseln viel zu spät reagiert. „Was bringt das vier, fünf Minuten vor dem Abpfiff.“ Cosic sieht in Deutschland ein „schier unerschöpfliches Personal“ für einen gelungenen Neustart. „Mit mehr Pressing, mehr Offensivkraft und den Vorstellungen eines neuen Trainers kann es ganz schnell wieder bessere Ergebnisse geben.“

Schwer enttäuscht vom deutschen Abschneiden und dem Auftritt der Elf äußert sich Thomas Wolf, Trainer der SG Unadingen/Dittishausen. „Mir hat bei unseren Auftritten alles gefehlt, an erster Stelle der Wille und die Leidenschaft. Wir sind verdient ausgeschieden.“ Für Wolf kam das frühe Aus nicht überraschend, hatte es sich doch schon in den Testspielen und bei der Heimniederlage gegen Nordmazedonien angekündigt. „Dennoch wurde die Elf öffentlich immer gelobt und von Ex-Nationalspielern als Titelkandidat bezeichnet. Der Knackpunkt ist für mich, dass wir im Angriff zu schwach sind. Wir verlieren immer wieder zu viele Bälle oder machen das Spiel langsam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in zwei, drei Jahren wieder um Titel mitspielen. Das wird auch Flick nicht schaffen.“

Fehler beim Trainer, aber auch bei den Spielern, sind für SV Öfingens Coach Jörg Kienast die Gründe für das Aus der Löw-Elf. „Ich bin enttäuscht, von dem was ich zu sehen bekam. Eine Viertelstunde super Fußball gegen England ist viel zu wenig. Mir hat die Einstellung der Spieler nicht gefallen. Offenbar steckte nach 70 Minuten gegen England in den Köpfen, wir regeln das über die Verlängerung und das Elfmeterschießen. Da müssen sich einige Profis mal hinterfragen. So sind wir jedenfalls verdient raus.“ Kienast hat in den vergangenen drei Jahren, nach dem Aus bei der WM 2018, keine Fortschritte erkannt. „Löw wollte einen Neuaufbau, doch er hat mit Gosens und Kimmich nur zwei neue Akteure gebracht. Jetzt sollten wir für die WM 2022 keine allzu großen Erwartungen haben. So schnell lässt sich das Dilemma nicht lösen. Vielleicht sind wir 2024 bei der nächsten EM wieder ein Titelkandidat.“ Vermisst hat Kienast zudem das Feuer in der Elf. Von den begeisternden Auftritten der Schweiz und Dänemark könne Deutschland viel lernen.