Ein Asylverfahren in 24 Stunden, kann das gelingen? Die Schweiz hat das in ihrem Zürcher Bundesasylzentrum getestet und möchte das Modell nun auch auf andere Standorte ausweiten. Die Bezeichnung täuscht allerdings: Ein komplettes Verfahren an nur einem Tag, das gelingt nicht.

Ziel der sogenannten 24h-Verfahren sei es, „dass alle wesentlichen Verfahrensschritte innerhalb der ersten 24 Stunden durchgeführt werden können“, heißt es dazu vom Staatssekretariat für Migration (SEM) in Bern. Das bedeutet vor allem: Innerhalb dieser 24 Stunden ersucht die Schweiz andere Dublin-Mitgliedstaaten um die Rücknahme der Asylsuchenden – ausgehend davon, dass sie alle über ein Land eingereist sein müssen, das eigentlich für deren Registrierung verantwortlich ist.

Zwölf statt 50 Tage

Das dauert bisweilen. „In der Pilotphase konnten die Asylverfahren im Durchschnitt innerhalb von zwölf Tagen entschieden werden“, schreibt das SEM auf Anfrage. In den anderen Asylregionen dauerten die Verfahren im Mittel 50 Tage. Zum Vergleich: In Deutschland dauerten die Verfahren im vergangenen Jahr durchschnittlich fast sieben Monate.

Die beschleunigten Verfahren in der Schweiz gelten allerdings nicht für alle Asylsuchenden. Sie richten sich ausschließlich an Flüchtlinge aus dem Maghreb, also den Ländern Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien. Deren Anträge werden nur sehr selten angenommen.

Diese Gruppe steht laut Schweizer Medienberichten im Verdacht, vor allem im Zürcher Asylzentrum nur eine Schlafgelegenheit fürs Wochenende zu suchen. Sie kämen am Freitag an und müssten dann lediglich ein Personalblatt ausfüllen, um ein Zimmer zu bekommen – und reisten vor Verfahrensbeginn am Montag wieder ab. Laut SEM sei der Andrang an Wochenenden mit verkaufsoffenen Sonntagen oder beim Züri-Fäscht besonders groß.

Das SEM ist jedenfalls zufrieden mit dem Pilotprojekt. Die schnelleren Verfahren hätten zu einer Entlastung bei der Unterbringung geführt, die Zahl der Personen aus dem Maghreb habe im Testzeitraum um über 50 Prozent gesenkt werden können. Ob der festgestellte Rückgang auf das 24h-Verfahren zurückzuführen sei, könne weder bewiesen noch ausgeschlossen werden, so ein Sprecher des SEM.

Kein Modell für alle Fälle

Der neue Justizminister Beat Jans möchte das Modell nun bis Ende April auch auf die anderen Bundesasylzentren im Land ausweiten. Laut SEM allerdings nicht auf Asylsuchende aus anderen Herkunftsländern: Verfahren von Personen aus Ländern mit einer höheren Schutzquote seien anspruchsvoller und zeitaufwendiger, etwa weil zahlreiche Beweismittel zu prüfen und zu würdigen seien.

Diese Unterscheidung nach Herkunft ist nicht unproblematisch. Asylansprüche müssen individuell geprüft werden; nur weil viele Anträge von Menschen aus bestimmten Regionen abgelehnt werden, begründet das rein rechtlich keinen Rückschluss auf Einzelne. Beispiel Julian Assange: Der inhaftierte Wikileaks-Gründer stammt aus Australien, ganz gewiss ein sicheres Land. Trotzdem sehen einige ein Asyl für ihn begründet, weil sie seine Strafverfolgung für politisch motiviert halten.

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Fehlentscheidungen als Gefahr?

Und so gibt es auch Kritik an den Schnellverfahren. Die Rechtsprofessorin Cesla Amarelle von der Universität Neuenburg in der französischsprachigen Schweiz warnt im Gespräch mit dem SÜDKURIER vor Schwierigkeiten etwa für homosexuelle Menschen. Vulnerable Personen sind zwar von den 24h-Verfahren ausgenommen – sie zugleich zu erkennen, sei aber nicht immer leicht, so die Juristin.

Gerade aus Marokko kämen viele Homosexuelle mit berechtigten Schutzansprüchen, die aber oftmals einige Zeit bräuchten, um Vertrauen in die Behörden zu entwickeln, erklärt Amarelle. „Für sie könnte das Verfahren zu schnell sein.“

Grundsätzlicher formuliert es die Schweizer Flüchtlingshilfe: „Mit einer weiteren Beschleunigung besteht die Gefahr, dass die Asylgesuche und die Fluchtgründe nicht gründlich abgeklärt werden und es zu Fehlentscheiden kommt.“ Das könne für Geflüchtete schwerwiegende Konsequenzen haben.

Auch eine Option für Deutschland?

Das SEM hebt hingegen die Vorteile hervor. Die Gesprächsbereitschaft der Betroffenen sei zu Beginn des Asylverfahrens meist größer, was den Prozess erleichtere. Außerdem reduziere sich die Zeit der Unsicherheit. Dem hält Amarelle entgegen, dass das nur ein Teil der Wahrheit sei: „Auch in der Schweiz dauern manche Asylverfahren weit über ein Jahr“, sagt sie.

Und in Deutschland? Ist die Skepsis groß. Ende 2015 hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unter anderem in Heidelberg Schnellverfahren getestet. In dieser Zeit mit besonders vielen Asylanträgen versuchte die Behörde einiges, um der eigenen Überforderung entgegenzuwirken. In 48 Stunden sollten damals Asylverfahren abgeschlossen werden. Das Projekt wurde nicht fortgeführt – auch, weil der Rechtsschutz der Flüchtlinge nicht ausreichend gewährleistet werden konnte.

Aktuell lässt sich die Behörde nicht auf solche Beschleunigungen ein. Ziel sei es, die neuen Anträge von Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten innerhalb von drei Wochen zu entscheiden. „Grundsätzlich stellt jedoch jedes Asylverfahren einen Einzelfall dar, der individuell geprüft und entschieden wird“, schreibt ein Sprecher des Bamf auf SÜDKURIER-Nachfrage.