Einst, da wohnten sie unter einem Dach. Das aber klappte so schlecht, dass der monatelang schwelende Streit zwischen einer damals 35-jährigen Frau und ihrem damals 34-jährigen Nachbarn nun schon zum zweiten Mal Gegenstand einer Verhandlung vor dem Rheinfelder Bezirksgericht war.

Ort des Geschehens: ein Mehrfamilienhaus in einem idyllischen kleinen Fricktaler Dorf. Von Anfang an habe es zwischen ihnen Probleme gegeben, sagte der Mann, als er sich im Herbst 2021 wegen mehrfacher Drohung, Beschimpfung, sexueller Belästigung sowie geringfügigem Diebstahls vor dem Gericht verantworten musste. Und zumindest teilweise schuldig gesprochen wurde.

Die Emotionen schaukelten sich dabei über Monate hoch, bis die Situation im Spätsommer 2020 eskalierte. In der Anklageschrift im ersten Prozess war die Rede einem fliegenden Katzenfutternapf, gestohlenen Sandalen – und von mehreren verbalen Auseinandersetzungen, bei denen er seine Nachbarin unter anderem als „polnische Hure“ beschimpfte.

Sie nahm den Streit auf – wusste er davon?

Einer dieser Streits war nun Gegenstand der Verhandlung am Dienstag. Der Angeklagte von damals trat diesmal als Strafkläger auf. Er hatte die Frau angezeigt, weil diese einen Streit mit dem Smartphone aufgenommen hat. Für das unbefugte Aufnehmen von Gesprächen kassierte sie eine Busse in Höhe von 300 Franken sowie eine bedingte Geldstrafe – focht diesen Strafbefehl allerdings an.

Das Gericht befasste sich nun gar nicht mit der Frage, ob sich die Frau mit der Aufnahme tatsächlich strafbar gemacht hat. Vielmehr ging es darum, ob der Mann die Anzeige nicht viel zu spät eingereicht hat. Zur Stellung des Strafantrages bleiben drei Monate Zeit, und zwar ab dem Tag, da die Täterschaft bekannt ist – in diesem Fall also ab dem Tag des Streits im September 2020. Anzeige erstattete der Mann allerdings erst über ein Jahr später.

Er habe nicht gewusst, dass seine Nachbarin eine Aufnahme gemacht habe, argumentierte er nun vor Gericht. „Die Gewissheit, dass sie das wirklich gemacht hat, erhielt ich erst in der Gerichtsverhandlung gegen mich im Herbst 2021.“ Sie widersprach: „Ich habe ihm schon beim Streit gesagt, dass ich alles aufgenommen habe.“ Sie habe sich von ihrem Nachbarn bedroht gefühlt und deshalb viele Auseinandersetzungen mit ihm aufgenommen.

Er änderte seine Version der Geschichte

Ihre Verteidigerin fügte außerdem die Vermutung an, der Strafkläger wolle ihrer Mandantin lediglich eins auswischen. „Sie hat zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie das Gespräch aufgenommen hat. Er hingegen hat seine Geschichte so verändert, dass es ihm passt.“ So habe er in Befragungen und während der ersten Verhandlung mehrmals ausgesagt, gewusst zu haben, dass sie die Streitereien aufnimmt – und das auch im Fall vom September 2020 zumindest vermutet zu haben. „Die Aussage, dass er bis zur Verhandlung nichts davon gewusst habe, ist schlicht nicht glaubwürdig.“

Das Gericht folgte dieser Argumentation und beschloss, das Verfahren gegen die Frau einzustellen. Sie wird allerdings verpflichtet, die Aufnahmen zu löschen – und musste sich einige mahnende Worte der Gerichtspräsidentin anhören, die verdeutlichte, dass „solche Aufnahmen aus Datenschutzgründen immer sehr heikel“ seien.

So endet der Nachbarschaftsstreit straffrei – zumindest fast. Der Mann seinerseits hatte das Urteil vom Herbst 2021 nämlich an das Obergericht weitergezogen. Dieses sprach ihn vor einigen Monaten in fast allen Punkten frei. Einzig für die sexuelle Belästigung kassierte er eine Busse.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.