Dass in der Schweiz die Uhren anders ticken, ist eine geprüfte Redensart. Das Frauenwahlrecht beispielsweise wurde erst weit nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, und das wiederum mit starken Unterschieden zwischen den einzelnen Kantonen. Die Appenzeller waren die letzten. 1971 war es endlich soweit – damals durften die Bürgerinnen erstmals ihr Kreuz auf Listen machen, auf denen fast nur Männer standen.

Der 50. Jahrestag dieser späten Emanzipation wurden von vielen Frauen in der Schweiz gefeiert, trotz Corona. Die originellste Idee hatte damals ein Kulturzentrum in der Zürcher Altstadt: Es benannte sich kurzerhand um. Statt „Karl der Grosse“ stand damals „Karla die Grosse“ über der schweren Tür, die zu den acht Räumen mit Gastronomie und Veranstaltungsräumen führt.

Der Frauenstreiktag ist eine Schweizer Spezialität

Fabienne Schellenberg leitet die stadtbekannte Einrichtung, und sie muss bis heute schmunzeln, wenn sie an die Aktion denkt, die dem Kaiser Karl da untergeschoben wurde. Der ehrwürdige „Karl der Grosse“ sollte eigentlich nur zeitweilig der „Karla“ weichen. Anlass war der neben dem Wahlrecht der Frauenstreik 2019. Tausende von Eidgenössinnen zogen damals auf die Straße und blockierten vielbefahrene Kreuzungen.

„Es geht um die Sichtbarkeit der Frauen“: Fabienne Schellenberg, Leiterin von „Karla die Grosse“
„Es geht um die Sichtbarkeit der Frauen“: Fabienne Schellenberg, Leiterin von „Karla die Grosse“ | Bild: Fricker, Ulrich

Auch in Zürich mit seiner starken linken Szene waren Schweizerinnen beteiligt. Da lag es nahe, dass man den alten Kaiser, nach dem das Lokal benannt ist, symbolisch besetzte und den Namen einem Genderprogramm unterwirft. Schellenberg war damals dabei, als der ehrwürdige Schriftzug überklebt und aus dem alten Karl die gute Karla wurde. „Wir haben das aus Solidarität mit den Frauen gemacht“, erinnert sich die Chefin des Kulturzentrums.

Jetzt haben sich die Angestellten an den markanten Gag erneut erinnert. Pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März wurden die alten Buchstaben ausgepackt und der alte Kaiser Karl zur Frau gemacht. „Es geht um die Sichtbarkeit der Frauen“, sagt Schellenberg.

Einen kulturellen Kampf um Gendern wollen Schellenberg und ihre Mitarbeiter aber nicht entfachen. Denn offiziell heißt das angesagte Szenelokal weiterhin „Karl der Grosse“ (mit Schweizer Doppel-s). Auch auf der Homepage wird der gut bekannte Namen wie selbstverständlich weitergeführt.

Die Reaktionen auf die Umbenennung sind überwiegend positiv: Zwar rümpfte die lokale Presse stellenweise die Nase – doch bei den Kundinnen und Kunden komme die Aktion sehr gut an, so Schellenberg.

Kaiser Karl hat viel für Zürich getan

Karl der Große lebte vor mehr als 1200 Jahren (gestorben 814). In der Finanzmetropole ist er nach wie vor ein klingender Name. Eine Legende bringt ihn mit den frühen Tagen von Zürich in Verbindung, er soll in der Nähe der Stadt gejagt haben und dabei die Gräber der Märtyrer Felix und Regula entdeckt habe. So gehört er zu den mythischen Gründern der Stadt an der Limmat.

In Sichtweite des Kulturzentrums, das seinen Namen trägt, steht das reformierte Großmünster. An dessen Turmflanke thront seit Jahrhunderten eine Steinfigur, die den Herrscher mit Bart und Krone zeigt. Das Kulturzentrum pflegt diese nun einmal historische Persönlichkeit mit seinem Echtnamen, also ohne feminines „a“. Das ist wohl ein weiser Umgang mit der Forderung nach gerechter Sprache. Heute Geschnetzeltes, morgen Gendern.

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Die Geschichte des alten Hauses im ältesten Teil der Stadt gibt diesem behutsamen Umgang recht. Das Gebäude hieß früher einmal „das Karli“ oder „s‘Karli“ – also sächlich und wie ein Kind. Damit konnten noch vor 100 Jahren alle leben. Der Name blieb durch die Zeiten erhalten, und die häufig wechselnden Besitzer haben sich stets an den großen Kaiser erinnert – der selbst übrigens kein Deutsch sprach, sondern Fränkisch.

Heute gehört das Anwesen der Stadt. Anfangs wurde der „Karl“ als Kantine geführt, später kamen immer mehr kulturelle Veranstaltungen dazu. Fabienne Schellenberg sieht den Betrieb heute als „offenes Debattierhaus“, wie sie sagt. Hier sei Raum für viele Meinungen. Die Kulturwissenschaftlerin will eine ordentliche Gastronomie mit bunter Kultur zusammenbringen. Auch die Küche ist vielstimmig. Auf der Mittagskarte steht heute zum Beispiel eine „Bowl mit gerettetem Gemüse“.