Strom gibt es immer. An 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden pro Tag. Daran ist man in der Schweiz gewöhnt – doch nun erwächst dort eine „Jahrhundertkrise“, wie Betroffene sagen. Die Stromversorgung ist akut gefährdet, sodass es zu Schritten kommt, die in der wirtschaftsliberalen Schweiz extrem selten sind.

Mit Milliardengarantien rettet der Bund den zweitgrößten Stromversorger des Landes, Axpo, der unter anderem das Kernkraftwerk Beznau betriebt und auch am KKW Leibstadt beteiligt ist. Der Versorger muss an internationalen Märkten Strom einkaufen, die dortigen extrem hohen Preise bedrohen Zahlungsfähigkeit der Axpo – und das wiederum die Stromversorgung der Schweiz. Von Axpo-Chef Christoph Brand stammt auch das Zitat der „Jahrhundertkrise“.

Denn die Eidgenossenschaft ist nur in den Sommermonaten weitgehend autark, was die Stromversorgung angeht: Der Großteil des Stroms kommt aus Wasserkraftwerken, gefolgt von Atomenergie. Allerdings sorgt die Trockenheit dafür, dass viele Wasserkraftwerke nur Bruchteile ihrer Leistung bringen können – und Stromimport nötig wird.

Schweiz holt sich viel Strom aus Deutschland

Was das bedeutet, wird schon jetzt deutlich: Daten der deutschen Bundesnetzagentur zeigen, dass im Sommer normalerweise deutlich mehr Strom aus der Schweiz nach Deutschland fließt als umgekehrt. Im Juni, Juli und August 2022 war das Gegenteil der Fall: Die Schweiz nahm massiv Strom aus Deutschland ab.

Den Bedarf im Winter kann die Schweiz in der Regel ohnehin nicht eigenständig decken. Bis zu 40 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms kommen dann aus dem Ausland, hauptsächlich aus Deutschland und Frankreich. Mit der Energiekrise wird genau das zum Problem. Denn ob die beiden Länder selbst genug Strom produzieren, ist ungewiss. In Frankreich laufen wegen Reparaturen und Wartungen derzeit nur die Hälfte der 56 Atomreaktoren, in Deutschland hängen immer noch zehn Prozent der Stromerzeugung vom Gas ab, das knapp ist.

Gas als Notlösung

Auch die Schweiz selbst will mit Not-Gaskraftwerken ihre Stromnot bekämpfen. Nach Angaben des Bundesamts für Energie (BFE) sollen Verträge mit Firmen geschlossen werden, die kurzfristig Strom erzeugen können. Das Problem: Die Schweiz selbst hat gar keine Gasspeicher, ist auch hier von Nachbarländern abhängig, hauptsächlich mit Deutschland.

Schon seit Monaten wird über ein Solidaritätsabkommen mit der Bundesrepublik verhandelt, die Gespräche stocken jedoch. Grund sind Uneinigkeiten, die auch schon das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz gestoppt haben – die Schweiz will im Streitfall eine Klärung durch EU-Instanzen nicht akzeptieren.

Gas liefern müsste Deutschland im absoluten Notfall auch ohne Vertrag, wie der SÜDKURIER berichtete. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte auf Anfrage damals, dass dafür aber weder die technischen noch finanziellen Details geklärt seien. Die Not-Kraftwerke der Schweiz sollen deswegen auch mit Öl betrieben werden können, hier hält das Land Reserven vor.

Wasserkraftwerke keine sichere Bank mehr

Die Energieversorgung der Schweiz wird aber noch durch ein ganz anderes Problem gefährdet: Eigentlich kann die Schweiz einen Großteil ihres Energiebedarfs (61 Prozent) über die 1300 Wasserkraftzentralen decken. Doch in diesem Jahr machen Trockenheit der Stromproduktion zu schaffen.

Dabei setzt der Notfallplan des Bundesrats auch darauf, dass die Wasserkraftwerke Wasser in den Stauseen vorhalten, um im Notfall zusätzlichen Strom produzieren zu können. Doch schon jetzt ist klar, dass die Stauseen bis im Winter weniger Wasser haben werden als sonst.

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Der Blick nach Deutschland wird deshalb dringlicher, doch auch dort ist unklar, welche Mengen Strom im Winter exportiert werden können. Eine Anfrage an das Bundesministerium für Energie beantwortete eine Sprecherin nur ausweichend. Als Teil des europäischen Verbundnetzes sei die Schweiz „von Entwicklungen im europäischen Strommarkt betroffen“.

Im Klartext: Anders als beim Gas hat Deutschland keine Verpflichtungen, die Schweiz mit Strom zu versorgen. Die Schweiz steht im direkten Austausch mit den Handelspartnern an der Börse, muss im Zweifel also teureren Strom von anderswo her einkaufen – genau diese Preise werden der Axpo nun zum Verhängnis.