Nicht alles ist in der Schweiz teurer als in Deutschland – beim Strom stellt sich die Lage sogar genau umgekehrt dar. Zwar ist der Schweizer Strommarkt anders als in Deutschland für Endverbraucher nicht liberalisiert – die Kommunen und Kantone sind meist selbst die Stromversorger. Wahlfreiheit haben die Eidgenossen bei der Auswahl ihres Energieversorgers damit nicht.

Dafür genießen die Eidgenossen niedrige Preise. Zwischen 15 und 25 Rappen (zwischen 15 und 24 Cent) kostet die Kilowattstunde. Zum Vergleich: In Deutschland kostete der Strom im vergangenen Jahr durchschnittlich 32,19 Cent. Doch mit den günstigen Preisen könnte es auch in der Schweiz bald vorbei sein – und es drohen noch ganz andere Probleme.

Auch in der Schweiz wird der Strom teurer

„Wenn in Deutschland die Preise für Gas und Strom steigen, wird das auch in der Schweiz so sein“, sagt Nils Epprecht, Geschäftsleiter der Schweizerischen Energie-Stiftung. Denn der Einkauf des Stroms erfolgt hauptsächlich an der deutschen Börse, damit wirken sich Preissteigerungen auch auf den Schweizer Strommarkt aus.

Dabei ist die Schweiz ist so etwas wie die europäische Drehscheibe für Strom. Allein aus Deutschland strömen jährlich 19,3 Terawattstunden (eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden) in die Schweiz, 21,6 fließen von dort nach Italien. Auch mit Frankreich und Österreich ist die Alpenrepublik vernetzt. 41 Verbindungspunkte zu ausländischen Stromnetzen hat die Schweiz, so viele wie kein anderes Land der Welt.

Der Strom, der jährlich durch das Schweizer Netz fließt, übersteigt den Jahresverbrauch der Eidgenossen bei Weitem. Trotzdem sorgt sich die Schweiz um ihre Energieversorgung. Denn vom europäischen Strommarkt ist sie mangels Abkommen mit der EU ausgeschlossen. Das könnte bald zum Problem werden.

Kein Zugang zum europäischen Strommarkt

Den Zugang dazu sollte die Schweiz nach Abschluss des Rahmenabkommens mit der EU bekommen, mit dem bestehende und künftige Verträge unter einem Dachvertrag gebündelt und dynamisch mit neuen Verordnungen aus Brüssel entwickeln. Die Verhandlungen dazu aber hatte Bern aufgekündigt. Damit rückte auch das für die Schweiz attraktive Stromabkommen in weite Ferne. „Ohne Stromabkommen ist die Stabilität des Stromnetzes gefährdet“, warnt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) schon heute.

Wasserkraft muss regelmäßig herhalten, um die Netzschwankungen auszugleichen. Insbesondere im Winter kann das zu Versorgungsengpässen führen, mahnt der Verband. Schon heute kommt der meiste Strom aus Wasserkraftanlagen (61,5 Prozent). Auf Platz zwei rangiert allerdings die Kernkraft mit 28,9 Prozent.

Das könnte Sie auch interessieren

Weitere 9,6 Prozent des erzeugten Stroms stammen aus nicht erneuerbaren Energiequellen (Zahlen von 2021). Trotzdem muss die Schweiz zusätzliche Energie importieren. Der Importüberschuss belief sich 2021 auf 2,4 Milliarden Kilowattstunden.

Mit den steigenden CO2-Preisen für Kraftwerke und den Klimazielen, die den Ausbau erneuerbarer Energien in den Nachbarländern der Schweiz nötig macht, fürchtet die Schweiz ohnehin steigende Energiepreise. Mit dem Ukrainekrieg und der Drohkulisse eines Embargos von russischem Gas könnten die Strompreise explodieren. „Es könnte im schlimmsten Fall zu einem Flächenbrand kommen, der auch die Schweiz erfasst und unsere Stromversorgung gefährden könnte“, sagt Energieministern Simonetta Sommaruga in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung.

Energieministerin Simonetta Sommaruga will einen Rettungsschirm für Stromkonzerne bereitstellen, um im Notfall deren Liquidität zu sichern.
Energieministerin Simonetta Sommaruga will einen Rettungsschirm für Stromkonzerne bereitstellen, um im Notfall deren Liquidität zu sichern. | Bild: FABRICE COFFRINI

Rettungsschirm für Stromerzeuger geplant

In Deutschland hat die Bundesregierung bereits eine Bundesgarantie auf Kredite der KfW in Höhe von 100 Milliarden Euro gesichert, um systemrelevante Stromerzeuger zu schützen. Einen solchen Rettungsschirm für Strom will nun auch der Schweizer Bundesrat auf den Weg bringen. Zehn Milliarden Franken sollen dafür vorgehalten werden. Noch muss der Nationalrat aber zustimmen.

In den kommenden Jahren muss sich die Schweiz aber noch auf ein weiteres Problem einstellen. Ab 2026 müssen Deutschland und alle anderen EU-Länder mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Strom-Kapazitäten für den Handel mit anderen EU-Mitgliedsstaaten reservieren – zu denen die Schweiz bekanntlich nicht gehört, sie ist von diesem Kontingent also ausgeschlossen.

Der Verband Schweizer Energieunternehmen, aber auch der Bundesrat selbst fürchten schon jetzt, dass die Schweiz dann einseitig limitiert werden könnte. „Ab dann werden die Importkapazitäten begrenzt sein“, mahnt auch Epprecht von der Energie-Stiftung. Das ließe sich wohl nur verhindern, wenn es gelingt, bis dahin ein neues Rahmenabkommen zu schließen, das dann auch den Zugang der Schweiz zum Strommarkt erlaubt. Der Bundesrat hat im Februar angekündigt, neue Verhandlungen aufnehmen zu wollen.

Atomausstieg der Schweiz und CO2-Neutralität

Hinzu kommt: Der stufenweise Atomausstieg steht der Schweiz erst noch bevor, damit fiele noch einmal ein Viertel der bisherigen Stromversorgung weg. Mittelfristig will die Schweiz deshalb die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien ausbauen – bis 2035 soll ihr Anteil weiter wachsen, bis 2050 will die Schweiz klimaneutral sein. Doch der VSE moniert das schleppende Tempo. „Im heutigen Tempo bräuchten wir 100 Jahre, bis wir die erneuerbaren Energien für die Dekarbonisierung so weit haben“, so Sprecherin Claudia Egli.

Das könnte Sie auch interessieren

Dabei hat die Schweiz viel Potenzial: Gerade in den Alpenlagen, wo die Solarstrahlung stärker ist, könnten Stromernten eingefahren werden, die vergleichbar mit den Erträgen von Südspanien sind, erklärt Epprecht von der Energie-Stiftung. „Alleine die geeigneten Dächer mit Photovoltaikanlagen auszustatten, würde reichen, um den gesamten Strombedarf der Schweiz abzudecken“, ergänzt er. Tatsächlich habe die Schweiz in diesem Bereich aber noch großen Aufholbedarf.

Kaum Photovoltaik in der Schweiz

Ursächlich dafür sind langwierige Bewilligungsverfahren und fehlenden Investitionsanreize haben den Anteil der Photovoltaikanlagen kaum steigen lassen. Hinzu kommt der Widerwille der Eidgenossen, die Landschaft mit Windrädern und Solarparks zu verbauen: Volksinitiativen gegen Windräder, Solarparks und sonstige Energievorhaben könnten „den Ausbau der Erneuerbaren Energien komplett zum Stillstand“, bringen, fürchtet der VSE. Dabei wird die Frage nach der Versorgungssicherheit in der Schweiz immer dringlicher.