Wartezeit mindestens zwei Stunden: Der Gotthardtunnel kann den Auftakt zum Urlaub im Süden ganz schon vermiesen. Die beliebteste und normalerweise auch müheloseste Auto-Route durch die Schweiz hat ihre Tücken, wie die exklusive SÜDKURIER-Auswertung von Verkehrsdaten zeigt. Und der San Bernardino, inzwischen ebenfalls ziemlich stauträchtig, ist als wichtigste Alternative zurzeit auch nur einspurig befahrbar.
Wie also möglichst stressfrei über die Alpen? Wir stellen Ihnen fünf Routen ohne lange Tunnels vor, auf denen die Fahrt in den Süden noch ein echtes Erlebnis ist.
So haben wir die Strecken gemessen und bewertet
Oft lohnen sich längere Strecken
Wer aus dem Schwarzwald oder vom nördlichen Bodenseeufer kommt, wird eher über Friedrichshafen fahren, Urlauber vom Hochrhein tendieren zur Route durch die Schweiz über Baden und Zürich. Auch in diesen Fällen können sich die Pass-Strecken nicht wegen des Erlebnisses, sondern auch zeitlich lohnen. Denn oftmals beträgt der Mehraufwand nur etwa ein Stunde – und die ist im Gotthard-Stau schnell verloren.
Achtung: Alle vorgestellten Routen sind für Gespanne mit Wohnwagen verboten oder absolut nicht empfehlenswert. Die meisten der vorgestellten Pässe haben überdies eine Wintersperre, oft von November bis April. Auf allen Routen ist Rücksicht auf Radfahrer und Motorradfahrer geboten. Linienbusse haben auf Passstraßen bisweilen Vorfahrt.
Der Unbekannte: Lukmanierpass (1.916 Meter)
Der Pass: Der Lukmanierpass verbindet das Vorderrheintal mit der Leventina, die vom Gotthardpass herunterkommt. Er ist vergleichsweise niedrig, wird seit Jahrtausenden benutzt, führt durch eine tolle Bergwelt und geriet erst durch den Ausbau von Gotthard und San Bernardino in den Verkehrsschatten.
Die Route: Auf der Autobahn geht es vom Bodensee auf der Bernardino-Route bis kurz hinter Chur. Dann folgen aussichtsreiche Kilometer auf gut bis sehr gut ausgebauten Landstraßen, durch die schöne Bezirksstadt Disentis, über den weiten Lukmanierpass und schließlich in weiten Kurven ins steile, erkennbar südliche Val Blenio hinab. Zurück auf der Autobahn ist man in Biasca kurz vor Bellinzona im Tessin. Von dort fährt man auf der Gotthard-Route weiter.

Zeitaufwand bei normalem Verkehr: 5:24 Stunden, etwa eine Stunde mehr als durch den Gotthard; Strecke: 377 Kilometer; fahrtechnisch leicht. Höhepunkte: Bergwelt an der Lukmanier-Passhöhe, Abfahrt ins Val Blenio.
Der Geschichtsträchtige: Splügenpass (2.114 Meter)
Der Pass: Der Splügen war lange Zeit einer der bedeutendsten Alpen-Übergänge überhaupt. Kein Wunder, stellt er doch die kürzeste Verbindung zwischen den Schifffahrtsgewässern Bodensee und Comer See dar. Alle Pläne für einen Bahntunnel, einen massiven Ausbau der Straße und sogar einen Kanal sind gescheitert, was dem Splügen seinen abenteuerlichen Charakter erhalten hat. Die Strecke hat sage und schreibe 75 Spitzkehren! Zwei Drittel davon sind auf der steileren und weniger gut ausgebauten Südseite.
Die Route: Vom Bodensee auf der Bernardino-Route via Autobahn bis hinter Chur, dann auf der Schnellstraße bis zum Dorf Splügen. Von dort in Kehren zur Passhöhe und italienischen Grenze. Nun beginnt der spektakuläre Südteil, der fast 2.000 Höhenmeter nach Chiavenna hinabführt, mit schmalen Abschnitten und sehr vielen engen Kehren. Weiter auf guter Straße zum Comer See und dann, je nach Ziel, vorzugsweise auf der gut ausgebauten Schnellstraße am Ostufer über Lecco in Richtung Mailand oder Bergamo.
Zeitaufwand bei normalem Verkehr: 5:25 Stunden, etwa eine Stunde mehr als durch den Gotthard; fahrtechnisch sehr anspruchsvoll, insbesondere bei Nässe, Nebel, Dunkelheit; Höhepunkte: Abenteuerliche Kehren vor allem auf der Südseite, der schnellste Weg in italienisches Flair.
Die Mondänen: Julierpass (2.284 Meter) und Malojapass (1.816 Meter)
Die Pässe: Hier geht es durch das noble Oberengadin, in der Nähe von St. Moritz, und vorbei an den Viertausendern der Bernina-Gruppe. Das Bergell – das Tal, das sich vom Malojapass hinabzieht -, ist längst auch ein Urlaubsziel für kulturinteressierte Gutsituierte geworden. Die Strecke führt durch eine wilde, steile Bergwelt.
Die Route: Vom Bodensee auf der Autobahn über die Bernardino-Route bis Thusis und weiter auf sehr gut ausgebauter Landstraße über den Julierpass nach Silvaplana. Von dort durch das Hochtal des Oberengadins zum Malojapass. Dann auf der Südwestseite in vielen Kurven, aber flüssig hinab nach Chiavenna. Von dort ans Nordende des Comer Sees und weiter in Richtung Mailand oder östlicher nach Bergamo.

Zeitaufwand bei normalem Verkehr: 5:42 Stunden, rund eineinhalb Stunden mehr als Gotthard/Bernardino; Strecke 399 Kilometer; fahrtechnisch recht unkompliziert; Höhepunkte: Prächtige Bergkulisse an beiden Pässen; Oberengadin mit seinen Seen, das tief eingeschnittene Tal des Bergell.
Die Klassiker: Arlbergpass (1.793 Meter) und Reschenpass (1.507 Meter)
Die Pässe: Auf dem Weg nach Südtirol, an den Gardasee oder die nördliche Adria ist die fast durchgängig als Autobahn ausgebaute Route durch den Arlbergtunnel und über den Brennerpass die bequemste Wahl — so lange der Verkehr läuft. Die alte Arlberg-Passstraße führt an eine Wiege des Wintersports, und der Reschenpass leitet durch das Vinschgau-Tal ins Südtiroler Tiefland.
Die Route: Vom Bodensee durch die Schweiz oder am Nordufer entlang. Dann geht es via österreichische Autobahn über Feldkirch nach Bludenz und weiter auf der Arlberg-Schnellstraße. Bei Langen auf die Pass-Route abzweigen, das spart die Tunnel-Sondermaut. Durch das weltberühmte Skigebiet nach St. Anton und dann wieder auf die Schnellstraße. Landeck wird durch flotte Tunnels umfahren, dann auf gut ausgebauter Landstraße auf den Reschenpass, über die Grenze, vorbei am Reschensee und Haidersee mit Blick auf den Ortler durchs Vinschgau nach Meran und auf der Schnellstraße nach Bozen zur Brenner-Autobahn.
Zeitaufwand bei normalem Verkehr: 5:41 Stunden, etwa eine halbe Stunde mehr als über die recht teuren Sondermaut-Strecken Arlbergtunnel und Brenner; Strecke 390 Kilometer; fahrtechnisch einfach; Höhepunkte: Kirchturm des ertränkten Dorfs Graun im Reschensee (siehe den Bestseller „Wir bleiben hier“ von Marco Balzano), Kontrast zwischen lieblichem Tal und schroffer Bergwelt im Vinschgau.
Achtung: Da der Arlbergtunnel bis 22. November noch wegen Sanierungsarbeiten gesperrt ist, ist auf der Passroute derzeit mit mehr Verkehr und längeren Fahrtzeiten zu rechnen.
Die Alpinen: Flüelapass (2.383 Meter) und Ofenpass (2.149 Meter)
Die Pässe: Flüela- und Ofenpass gehören zu den wenigen Pässen, die nicht direkt in Süd-West-Richtung die Alpen überqueren. Deshalb braucht es vom Bodensee nach Italien auch zwei Übergänge, die unterschiedlich und doch beide sehr schön sind. Der Ofenpass hat seinen Namen von Erz-Schmelzöfen, die hier im Mittelalter betrieben wurden.
Die Route: Vom Bodensee auf der San-Bernardino-Route ins Rheintal, die Schweizer Autobahn bei Landquart verlassen. Dann auf der ausgebauten Schnellstraße über Klosters bis an den Ortsrand von Davos und hinauf auf den Flüelapass. Abermals mit einigen Kehren geht es hinab ins Engadin und das Tal hinauf nach Zernez. Der Ofenpass kommt fast ohne Kehren aus und erreicht bei Mals die Grenze zu Südtirol, ab dort fährt man auf der Reschenpass-Route weiter nach Meran und Bozen zur Brenner-Autobahn.
Zeitaufwand bei normalem Verkehr: 5:34 Stunden, etwa eine halbe Stunde mehr als über Arlberg und Brenner; Strecke 388 Kilometer; fahrtechnisch mittel – man braucht etwas Geduld; Höhepunkte: Der Aufstieg zum Ofenpass führt mitten durch den Schweizer Nationalpark (Aussichtspunkte mit Chance, Steinböcke oder Murmeltiere zu sehen); Welterbe Kloster Müstair direkt am Weg.
Haben wir Ihre Neugier geweckt? Wollen Sie nun die Fahrt in den Urlaub gleich zum Erlebnis machen? Erzählen Sie uns davon und schicken Sie ein Selfie, das Sie auf einem der vorgestellten Pässe gemacht haben. Teilen Sie gerne auch Ihre Einschätzung, wie gut die Alternativ-Routen taugen. Oder schlagen Sie ihre persönliche Erlebnis-Route auf dem Weg nach Italien vor!