Die blaue Kapitäns-Uniform sitzt perfekt. Und Rahel Meier scheint sich in dieser auch sichtlich wohlzufühlen. Dafür hat sie einen guten Grund: Die 25-jährige Schweizerin aus dem Kanton Thurgau ist die erste Frau, die bei der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt AG (SBS) in Romanshorn in 160 Jahren Firmenhistorie eine Ausbildung zur Kapitänin absolviert.
Rahel Meier hat eigentlich an der pädagogischen Hochschule in Zürich studiert und als Oberstufenlehrerin gearbeitet. Wie ist sie also auf den Geschmack gekommen, Kapitänin werden zu wollen? „Das hat sich so ergeben“, sagt sie und lächelt.
Liebe zu „Titanic“ erweckt Liebe zum Beruf
Tatsächlich liegt der Ursprung ihrer Faszination für Schiffe in ihrer Kindheit. Mit zwölf Jahren hat sie den Filmklassiker Titanic im Kino gesehen – und war sofort verzaubert. Aber nicht etwa vom jungen Leonardo DiCaprio und seinem tragischen Tod, auch hat sie den Kinosaal nicht mit verweinten Augen oder gar einer handfesten Abneigung gegenüber Kreuzfahrten verlassen.
Das berühmteste Liebesdrama der Filmgeschichte hat bei Rahel Meier genau das Gegenteil ausgelöst. „Mich hat der Film so gepackt, dass ich dann alles über Schiffe nachgelesen habe“, sagt die 25-Jährige und schmunzelt.

Der Rest ihrer Karriere bei der SBS war somit vorprogrammiert: Als Leichtmatrosin, also als Arbeiterin auf dem Schiff, die etwa die Toiletten oder das Deck putzt, fing sie 2019 bei der SBS an. Dann wurde sie Kassenmitarbeiterin und intern zur Maschinistin ausgebildet. Zu Beginn dachte sie, dass das alles nur ein Nebenjob für sie sei.
Doch dann legte sie die Theorieprüfung zur Kapitänin in der Schweiz ab. Jetzt steht ihr noch die praktische Prüfung bevor – die kann sie nach mindestens sechzig Fahrtagen absolvieren. Etwa im April oder Mai soll das der Fall sein.
Bei den Bodenseeschiffsbetrieben steht die Premiere noch aus
Für die SBS ist derzeit noch eine weitere Kapitänin auf dem Bodensee unterwegs. Rahel Meier ist aber die erste Frau jemals, die auch dort ihre Ausbildung dazu macht. Auch auf deutscher Seite steht die Premiere noch aus: Bei den Bodenseeschiffsbetrieben (BSB) in Konstanz hat noch keine Frau die Prüfung zur Schiffsführerin abgelegt, sagt Pressesprecher Josef Siebler.

Schifffahrt ist männerlastig
Technische Berufsbilder wie die Schifffahrt seien grundsätzlich „männerlastiger“, sagt Siebler. Die körperliche Arbeit im Winter und die langen Abwesenheiten im Sommer seien nicht die besten Rahmenbedingungen für eine gleichwertige Familienaufteilung.
In der Schweiz kommt laut Silvan Paganini, dem Technischen Betriebsleiter und Vorgesetzten von Rahel Meier, bekannt geworden durch seine Säntis-Bergung, noch dazu, dass rund 60 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiten würden. Für den Job als Kapitän sei vor allem am Anfang der Ausbildung ein Vollzeit-Pensum nötig.
Voll fokussiert auf Kapitäns-Ausbildung
Rahel Meier hat für ihre Kapitäns-Ausbildung vorerst ihren Beruf als Oberstufenlehrerin an den Nagel gehängt, fokussiert sich nun vollständig auf ihre Karriere hinter dem Steuerrad. Darin sieht sie vor allem die Vorteile: „Man nimmt weniger Dinge mit nach Hause“, sagt sie. „Wenn ich abends das Schiff zuschließe, ist der Tag für mich beendet.“
Mit ihrer beruflichen Vergangenheit ist sie wohl die Ausnahme unter ihren Kollegen, viele haben einen handwerklichen Hintergrund. Vor allem bei der Ausbildung zur Maschinistin ist handwerkliches Geschick gefragt, „aber wenn man das richtige Interesse mitbringt, kann man alles lernen“, sagt Meier.
Tanja Held war einst die jüngste Kapitänin auf dem Bodensee
Auch bei der Internationalen Vereinigung der Bodenseekapitäne gibt es derzeit, nach ihren eigenen Aussagen, nur eine Frau: Tanja Held. Die mittlerweile 30-Jährige galt vor rund zehn Jahren als die jüngste Kapitänin auf dem Bodensee und verursachte damit einen echten Medienrummel. Der SWR drehte eine Doku über sie, das ZDF auch. Held wurde von ihrem Vater im eigenen Familienbetrieb in Überlingen ausgebildet, früher hat sie ihrem Opa immer auf den Schiffen ausgeholfen. Heute schmunzelt sie über den damaligen Medienrummel zu ihrer Person.
Mit ihrem Beruf als Kapitänin sei sie eine Frau unter vielen Männern und natürlich würde manchmal noch der ein oder andere blöde Spruch (“was, eine Frau am Steuer?“) kommen, doch erntet sie auch viel Zuspruch, sagt sie. Obwohl eigentlich jeder den Beruf machen solle, den er gerne hat, findet sie es trotzdem schade, dass ihr Geschlecht immer noch ein Thema sei. „Das merkt man schon noch“, sagt Held.
Das Herzblut merkt man ihr an
Rahel Meier stört das alles nicht – auch wenn manche Fahrgäste über die 25-Jährige am Steuerrad staunen. Mit welchem Herzblut sie bei der Sache ist, merkt man ihr an. Wenn sie über die Schiffe spricht, dringt Leidenschaft in ihre Worte, draußen auf dem Hafengelände gibt sie einem jungen Pärchen Auskunft, wann die nächste Fähre ablegt, obwohl sie eigentlich schon im Feierabend ist.
Außerdem schätzt sie den Bodensee als ihren Einsatzort: „Ich liebe diese Weite, die man da hat“, sagt sie und dass man bei den Routen eine Weile auf dem offenen Wasser unterwegs sei, ohne sofort am anderen Ufer zu sein.

Auch die Tatsache, dass sie mehrheitlich mit Männern zusammenarbeitet, stört sie nicht. Von ihren Kollegen fühlt sie sich „sehr wertgeschätzt“ und gut aufgehoben, sie ist sehr dankbar für die Chance, die sich ihr geboten hat.
Sie sieht keinen Grund, weshalb eine Frau für den Beruf als Kapitänin nicht genauso geeignet ist wie ein Mann und sie ist sich sicher: „Ich bin zwar die erste Frau, die bei der SBS eine Ausbildung zur Kapitänin absolviert – ich werde aber sicher nicht die letzte sein.“