Mit unseren Schweizer Nachbarn haben wir vieles gemeinsam: Eine starke Wirtschaft, schöne Natur, eine gemeinsame Sprache. Aber zumindest in einem Punkt hat uns die Schweiz deutlich etwas voraus: bei der Lebenserwartung.
Menschen in der Schweiz leben rund drei Jahre länger, so das Ergebnis einer neuen Studie vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und dem Max-Planck-Institut für demografische Forschung. Deutschland belegt in Westeuropa hingegen den letzten Platz bei der Lebenserwartung und fällt immer weiter zurück. Warum wird die Schweiz so alt und was können wir von den Schweizern lernen?
Deutschland ist auf dem letzten Platz
80,6 Jahren beträgt in Deutschland die Lebenserwartung bei Geburt im Jahr 2022. Seit 2000 hat sich der Abstand zu der durchschnittlichen Lebenserwartung im restlichen Westeuropa von 0,7 Jahren auf 1,7 Jahren weiter ausgedehnt. An deren Spitze steht unser Nachbar, die Schweiz: Hier werden die Menschen durchschnittlich 83,5 Jahre alt – also rund drei Jahre älter als wir.
Die Schweizer haben weniger Stress
Warum wird die Schweiz so alt? Das hat mehrere Gründe, erklärt Mathias Lerch, Leiter des Schweizer Labors für Städtische Demografie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Ein hohes Einkommen, eine geringe Arbeitslosigkeit und ein effektives Sozialhilfesystem sorgen für ein Gefühl der Sicherheit, so Lerch. Dadurch seien die Schweizer weniger gestresst.
Auch die Bildung spiele eine Rolle. „Die Bevölkerung ist im Durchschnitt sehr hoch ausgebildet“, so der Demograf. Dadurch seien die Menschen in der Schweiz gesundheitsbewusster und suchen bei Krankheitssymptomen eher einen Arzt auf.
Zudem leben viele Schweizer gesund: Mit viel Sport, gesunder Ernährung – auch wenn es hier laut Lerch noch Verbesserungspotenzial gebe – sowie einem abnehmenden Alkohol- und Tabakkonsum. Fettleibigkeit oder Bluthochdruck sind in der Schweiz deshalb weniger verbreitet als anderswo.
Was kann Deutschland von der Schweiz lernen?
Bei der Ernährung könnte sich Deutschland ein Beispiel an der Schweiz nehmen. Laut Sebastian Klüsener, Mitautor der BiB-Studie, ernähren sich die Schweizer etwas gesünder als die Deutschen. Auch beim Tabak- und Alkoholkonsum schneidet Deutschland im internationalen Vergleich eher schlecht ab.
Ein weiterer Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz liege im Gesundheitssystem. Dieses sei in der Schweiz sehr gut und werde auch vom Staat stark unterstützt, sagt Mathias Lerch. Im Vergleich zu Deutschland werde in der Schweiz die Gesundheitsvorsorge stärker gefördert.
Es gebe regelmäßige Kontrollen, frühe Diagnosen und Vorsorgeuntersuchungen. Das führe dazu, dass zum Beispiel Brustkrebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher erkannt werden und entsprechend früher behandelt werden können.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sorgen für geringere Lebenserwartung
In Deutschland hingegen sind laut der BiB-Studie Herz-Kreislauf-Erkrankungen im höheren Alter eine Hauptursache für die geringere Lebenserwartung. Das liege an vor allem an der schlechteren Prävention, nicht an der Betreuung im Ernstfall: „Deutschland gehört bei der Anzahl der Behandlungen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den Spitzenreitern“, so Klüsener.
Der Forscher vermutet, dass die schlechtere Prävention und Früherkennung sowohl durch das Verhalten der Bevölkerung als auch durch das Gesundheitssystem bedingt ist. So haben viele Menschen in Deutschland ein weniger ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein. Es sei wichtig, Risikofaktoren zu reduzieren und auf erste Krankheitssymptome zu achten.
In der Schweiz ist das medizinische System weniger stark ausgelastet
Auch die Auslastung des medizinischen Systems sei in Deutschland im Vergleich zur Schweiz problematischer. So sei das ambulante System in Deutschland teilweise stark belastet: „Das könnte Personen davon abschrecken, zur Vorsorge zu gehen“, vermutet Klüsener.
In der Schweiz sei das medizinische System hingegen etwas weniger stark ausgelastet und Hausärzte haben mehr Zeit für ihre Patienten. Das könne bei Diagnosen einen Unterschied machen: „Dann können die Ärzte sich den Patienten besser annehmen“, so Klüsener.
Ein weiterer Grund für die unterschiedliche Lebenserwartung in Deutschland und der Schweiz seien die Migrationsströme. Während in die Schweiz vor allem Menschen aus angrenzenden Ländern mit hoher Lebenserwartung einwandern, die als Muttersprache Deutsch, Französisch oder Italienisch sprechen, stammen in Deutschland viele Zugewanderte aus Ländern mit niedrigerer Lebenserwartung. Davon müssten viele die deutsche Sprache häufig erst lernen, wodurch Sprachbarrieren bei der ärztlichen Beratung auftreten können. Dies könne in dieser Gruppe die Prävention erschweren, so Klüsener.