Sie wohnen direkt nebeneinander, aber so ganz nahe stehen sie sich nicht immer: Konstanzer und Kreuzlinger. Mit der Veranstaltung „Schweizer:innen ticken anders – Deutsche auch“ wollten die sozialdemokratischen Parteien der Grenzstädte diese etwas näher beleuchten. Ziel des Abends sei, ein „besseres Verständnis füreinander zu erzeugen“, sagte Frank Ortolf, Vorsitzender der SPD Konstanz, einführend. Das Interesse war von beiden Seiten der Grenze her groß. Im Torggel Rosenegg in der Kreuzlinger Bärensstraße musste bei den Stühlen sogar noch nachgerüstet werden.
In einer Gesprächsrunde diskutierten die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl aus Konstanz, die Nationalrätin Nina Schläfli (SP, die Schweizer Sozialdemokraten) aus Kreuzlingen, der frühere Kreuzlinger Bürgermeister Josef Bieri (SP) sowie der ehemalige Konstanzer SPD-Stadtrat Herbert Weber. Auf die Frage von Moderator Patrick Eich, wer von den anwesenden Kreuzlingerinnen und Kreuzlingern Freunde in Deutschland habe und umgekehrt, schnellen viele Hände nach oben.
Dass zwischenmenschliche Kontakte über die Grenze hinweg bei vielen eng sind, kann Nina Schläfli bestätigen, die mit einem Deutschen verheiratet ist. Außerdem absolvierte sie ihr komplettes Geschichtsstudium an der Uni Konstanz. In ihrer Jugend nutzte sie vor allem die Ausgehmöglichkeiten des Konstanzer Nachtlebens, da es damals in Kreuzlingen schlicht kaum Angebote gab. Als Nationalrätin weiß sie zudem, dass ein Großteil der Themen, welche im Parlament in Bern behandelt werden, mit Nachbarschaftsbeziehungen zu den Grenznationen der Schweiz zu tun haben. „Wer gut zusammenarbeitet, ist klar im Vorteil“, so Schläfli.
Lina Seitzl arbeitete sechs Jahre in St. Gallen, „wo sie sehr gute Erfahrungen“ gemacht hat. Als Bundestagsabgeordnete fahre sie nun zwar leider nicht mehr die schöne Zugstrecke am See entlang, „dafür darf ich mich damit beschäftigen, was politisch zwischen Deutschland und der Schweiz passiert.“ Dazu gehören Themen wie Fluglärm oder Atomendlager, „alles Themen, die die Gemüter erhitzen“, kann Seitzl aus Berlin berichten. Lina Seitzl und Nina Schläfli kennen sich schon lange. Sie waren beide zur gleichen Zeit Ortsvorsitzende ihrer Parteien, jetzt machen sie jeweils auf nationaler Ebene Politik.
Das Einkommensgefälle ist groß
Was die beiden Grenzanwohner manchmal trennt, ist der Einkommensunterschied. Herbert Weber, der von 1977 bis 2019 für die SPD im Konstanzer Gemeinderat saß, war beispielsweise noch nie in der Schweiz im Urlaub, „zu teuer“, wie er sagt. Dafür hat er sehr positive Erinnerungen an die zwei Jahre, die er mal in Kreuzlingen arbeitete, was nicht alle Deutschen von sich sagen könnten, die in der Schweiz arbeiteten, denn: Der Lohn sei zwar höher, dafür gebe es weniger Ferien und längere Arbeitszeiten. „Ich trauere allerdings jeder Pflegefachkraft nach, die bei uns gelernt hat und in die Schweiz geht“, sagt Herbert Weber.
Josef Bieri studierte wie Nina Schläfli Geschichte in Konstanz, auch beim Vater des heutigen Konstanzer Oberbürgermeisters Uli Burchardt. Als Innerschweizer hatte Bieri vorher wenig Erfahrungen mit Grenzsituationen, pflegte dann aber ein sehr gutes Verhältnis zu seinem damaligen Konstanzer Kollegen, Oberbürgermeister Horst Frank.
Mit ihm zusammen durchtrennte er 2006 den Grenzzaun in Klein Venedig, wo ein Jahr später die Kunstgrenze mit Skulpturen des Künstlers Johannes Dörflinger erstellt wurde. Er betont, dass der Austausch unter den Kreuzlinger und Konstanzer Stadträten immer sehr gut und respektvoll gewesen sei, obwohl die Kreuzlingen wesentlich kleiner war und ist als Konstanz. Bieri ist mit einer Deutschen verheiratet.
Frank Ortolf betont, „dass es ganz wichtig ist, dass wir miteinander lachen können.“ Dafür sorgt an dem Abend das Team des TMBH Improtheaters aus Konstanz. In einer Szene wird übertriebene Schweizer Höflichkeit der deutschen direkten Forschheit gegenübergestellt, was wirklich zu vielen Lachern im Publikum führt. „Das sind Klischees“, sagt Lina Seitzl, „aber sie stimmen.“ Andere Verhaltensweisen und Kommunikationsarten führten immer wieder mal zu Irritationen.
Nina Schläfli will zwar generell keine Stereotypen bedienen, kann aber aus eigener Erfahrung bestätigen, dass Deutsche die Dinge oft direkter aussprächen, während Schweizer eher Zurückhaltung übten. „Beides hat Vor- und Nachteile. Die Intentionen sind dabei so unterschiedlich wie die Person, die spricht.“ Manchmal aber könne auch einfach mangelndes Verstehen der Schweizer Mundart zu Missverständnissen führen, sagt Josef Bieri. „Es geht aber darum, wie man miteinander umgeht. Wir sollten unsere Gesprächspartner erleben, bevor wir uns Vorurteile bilden“, so sein Appell.