Herr Stadtpräsident, wie oft gehen Sie eigentlich über die Grenze?

Relativ selten. Privat eigentlich sogar sehr selten, aber wenn wir mal Besuch haben, gehen wir mit dem natürlich nach Konstanz und schauen uns die Altstadt an, das ist immer sehr interessant. Aber meine Haupt-Besuche in Konstanz sind tatsächlich, wenn wir Sitzungen oder Veranstaltungen haben.

Also sind Sie meist dienstlich Grenzgänger?

Genau, das sind oft Termine mit der Stadt, aber auch mit dem Landkreis. Wobei… gerade letzten Freitag hatten wir Personalausflug von der Stadtverwaltung. 220 Leute haben mitgemacht, und da konnte man an Stadtführungen teilnehmen. Ich habe auch eine gemacht.

Empfinden, denken Sie an etwas Bestimmtes, wenn Sie die Grenze überqueren?

Für mich ist es immer etwas Besonderes. Ich bin nicht an einer Grenze aufgewachsen, ich komme ursprünglich aus St. Gallen, und schon darum ist mir die Grenze immer noch etwas Spezielles. Aber ich spüre auch, dass es für Alteingesessene eine Selbstverständlichkeit ist. Das hat man ja auch extrem gemerkt in der Corona-Zeit mit dem Zaun. Das hat mir die Augen geöffnet, wie nah die Konstanzer und die Kreuzlinger Bevölkerung zusammen sind.

Hier ist Treffpunkt: Beim SÜDKURIER-Stadtgespräch geht es dieses Mal um das Miteinander an der Grenze. Los geht es am Donnerstag, 5. ...
Hier ist Treffpunkt: Beim SÜDKURIER-Stadtgespräch geht es dieses Mal um das Miteinander an der Grenze. Los geht es am Donnerstag, 5. September, um 17 Uhr auf Klein Venedig. | Bild: Scherrer, Aurelia

Sie sagten eben, dass sie eher selten über die Grenze gehen. Wünschen Sie sich, das wäre öfter?

Für mich ist das okay so. Es hat einfach auch eine zeitliche Dimension. Ein Oberbürgermeister oder ein Stadtpräsident sind schon ziemlich eingespannt, das bringt das Amt mit sich.

Sie haben den Zaun erwähnt. Alle waren gottfroh, als er wieder weg war. Ist von dieser Erleichterung etwas geblieben, oder ist man am Ende doch einfach zum Status Quo zurückgekehrt?

(ohne zu zögern) Ich glaube schon, dass das etwas verändert hat, das auch nachhaltig ist. Und ich glaube auch, dass auf beiden Seiten uns noch bewusster geworden ist, wie wichtig die Zusammenarbeit ist. Es gibt ja den Gedanken der Ein-Stadt-Strategie, in der versuchen der Oberbürgermeister und ich zu denken. Das bedeutet, wir überlegen, was ist für beide Städte gut, wo können wir zusammenarbeiten? In jeder anderen Stadt ist es ganz selbstverständlich, dass man ans Ganze denkt. Durch unsere Stadt, wenn man so will, geht halt eine Staatsgrenze. Und die ist zwar offen, aber es gibt immer wieder Situationen, wo man feststellt, es gibt eben doch eine Grenze. Es gibt deutsches Recht, und es gibt Schweizer Recht. Manche Sachen gehen einfach nicht.

(Archivbild) Die Kunstgrenze war von 2006, als in einem offiziellen Akt der Grenzzaun durchschnitten wurde, bis März 2020 offen und ...
(Archivbild) Die Kunstgrenze war von 2006, als in einem offiziellen Akt der Grenzzaun durchschnitten wurde, bis März 2020 offen und durchlässig. Mit dem Corona-Lockdown wurde der Verlauf der EU-Außengrenze mit zwei Zäunen gesichert und war monatelang nicht passierbar. | Bild: Scherrer, Aurelia/SK-Archiv

Zum Beispiel? Und wo funktioniert es besonders gut mit der Ein-Stadt-Strategie?

Als negatives Beispiel kann man erwähnen, dass wir zum Beispiel beim Hauptzoll aufgrund der Zollbestimmungen keine gemeinsame Veloverleihstation aufbauen und betreiben können. Aber die positiven Beispiele überwiegen, wie zum Beispiel bei der Zusammenarbeit im Agglomerationsprojekt, bei der Gas- und Wasserversorgung, bei der Feuerwehr, bei der grenzüberschreitenden Freiraumgestaltung im Klein Venedig und so weiter.

Was mögen Sie an Konstanz?

Die Stadt, vor allem die Altstadt. So etwas vermissen wir Kreuzlinger ja ein bisschen, weil unsere Stadt einfach anders entstanden ist als Konstanz. Wenn man Ur-Kreuzlinger fragt, dann sagen die: Unser Stadtzentrum ist in Konstanz.

Was glauben Sie, dass die Konstanzer an Kreuzlingen mögen?

Die Lebensqualität bei uns – zum Beispiel den Seeburgpark mit dem riesigen Spielplatz. Ich glaube, die Konstanzer und die Kreuzlinger mögen sich auch als Menschen. Die ticken ähnlich und stehen sich schon sehr nahe.

Gibt es auch Themen, über die es schwierig ist zu sprechen, zum Beispiel auf der politischen Ebene?

Ich glaube, wir können über alles reden. Und wir handhaben das auch so. Der Oberbürgermeister und ich treffen uns regelmäßig, es gibt verschiedene Rahmen, in denen wir uns austauschen. Da gibt es keine Punkte, wo wir den Eindruck haben, das darf man nicht ansprechen. Wir sind da sehr, sehr offen.

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Es gab ja schon auch mal Reibungspunkte. Das Töbeli, von uns aus gesehen gleich hinter der Grenze, das Tägermoos…

Wir reden auch über die Dinge, in denen wir uns nicht einig sind. Und das Tägermoos sehe ich eher als Angelegenheit zwischen Konstanz und dem Kanton Thurgau, der da gewisse Interessen hat. Aber zwischen unseren beiden Städten? Da sehe ich eigentlich keine großen Konfliktpunkte.

Wir staunen immer wieder, wenn wir in die Schweiz schauen, wo so viele Dinge so gut funktionieren und so viele Probleme so schnell behoben werden. Was ist das geheime Rezept?

(presst den Mund zusammen und legt den Zeigefinder darauf, wie in der Käse-Werbung) Das wären jetzt die Appenzeller, oder? Nein, im Ernst: Wenn ich daran denke, wie der Umgang in einer Stadtverwaltung wie Kreuzlingen ist, und wie ich es in Deutschland erlebe, da denke ich, wir Schweizer denken weniger hierarchisch und eher lösungsorientiert. Bei uns duzt man sich schnell, wenn man zusammenarbeitet, da wundern wir uns, wenn Leute per Sie sind, die zehn oder fünfzehn Jahre zusammenschaffen. Und die politischen Wege bei uns scheinen mir manchmal lang, aber wenn ich dann noch Konstanz schaue, bin ich eigentlich wieder ganz froh. Aber um das wirklich herauszufinden, müsste ich wohl mal ein halbes Jahr in Konstanz arbeiten.

„In der Schweiz funktionieren so viele Dinge so gut, und so viele Probleme werden so schnell behoben. Was ist das geheime Rezept?“ Da ...
„In der Schweiz funktionieren so viele Dinge so gut, und so viele Probleme werden so schnell behoben. Was ist das geheime Rezept?“ Da wird Thomas Niederberger für einen Moment so schweigsam wie ein Appenzeller Senn. | Bild: Hanser, Oliver

Vielleicht ist es auch eine Mentalitätsfrage? Ich fand beeindruckend, wie die zerstörte San-Bernadino-Straße innerhalb von Tagen wieder instandgesetzt wurde. Das schien ganz pragmatisch, ohne großen Projektplan, Gutachten und Gremienbeschlüsse.

In solchen Punkten ist unser politisches System ein Pluspunkt. Wir müssen immer Kompromisse finden. Und zweitens haben wir in den Städten eine klare Trennung zwischen der Exekutive, die bei uns Stadtrat heißt, und der Legislative, unserem Gemeinderat, dem Parlament. In diesen Gremien geht es um Kooperation, da spielt die Parteienzugehörigkeit natürlich eine Rolle bei der Bewertung von Dingen, aber am Ende müssen wir immer eine gemeinsame Lösung hinbekommen. Den Kompromiss vertreten wir dann gemeinsam, und wir setzen ihn auch gemeinsam um.

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Das ist leicht, wenn genügend Geld da ist.

So einfach ist es nicht. Im Thurgau wollen wir eine Straße bauen von Arbon bis Bonau, die den ganzen überregionalen Verkehr aufnimmt, der jetzt am Ufer entlangfährt, die sogenannte Thurtal-Linie. Da ist man auch schon seit dreißig oder vierzig Jahren am Planen…

Andersherum – gibt es auch Momente, in denen Sie mal neidvoll nach Deutschland schauen?

(überlegt länger, dann fast entschuldigend) Nein, eigentlich nicht.

An welchem Ort in Kreuzlingen sollte jeder Konstanzer mal gewesen sein?

Den Seeburgpark habe ich schon erwähnt, das ist ein Aushängeschild. Da gibt es schöne lauschige Plätze und Biergärten. Ich finde aber auch den Seerücken sehr schön, oberhalb von Kreuzlingen. Zum Beispiel die Lengwiler Weiher an einem wunderschönen Ort im Wald.

Was in Konstanz sollten die Kreuzlinger schon einmal gesehen haben?

Der Hafen ist wunderschön, mit dem Konzil. Und ich bin ganz beeindruckt vom Hohen Haus und der ganzen Zollernstraße. Ich wusste gar nicht, dass das früher alles noch See war und Frachtschiffe bis ans Hohe Haus gefahren sind. Das habe ich erst am Freitag bei der Stadtführung gelernt. So viel Geschichte, das ist schon etwas Besonderes.

Mit welchem Missverständnis, mit welchem Vorurteil würden Sie jetzt gerne ein für allemal aufräumen?

Ein Vorurteil über Deutsche lautet: Sie sagen beim Bäcker: „Ich kriege ein Brot“, während wir Schweizer eher sagen würden „Dürfte ich bitte ein Brot haben“. Ein bisschen was ist da vielleicht dran. Aber ansonsten denke ich, dass unsere Bevölkerung sehr ähnlich tickt.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wie schätzen Sie die nachbarschaftlichen Beziehungen ein?

Acht. Ich finde, dass wir einen sehr guten Austausch haben, sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene. Wir arbeiten an vielen Projekten sehr gut zusammen, ein paar Beispiele habe ich erwähnt. Jetzt hoffen wir, dass Konstanz mithilft, wenn wir jetzt die Bodensee-Arena sanieren müssen. Aber, klar, in einer Beziehung kann man immer noch eine Verbesserung erreichen.

Also – was müsste konkret passieren, damit wir einen Punkt vorankommen?

Ich glaube, wir könnten noch grenzüberschreitender denken in raumplanerischen und gestalterischen Fragen. Klein Venedig ist der einzige grenzüberschreitende Freiraum, den wir gemeinsam haben. Wenn wir da eine gemeinsame Entwicklung erreichen könnten, dann wäre das sicher etwas sehr, sehr Gutes.