Matthew Wong war 27 Jahre alt, als er im Herbst 2011 nach dem Besuch der Ausstellungen von Julian Schnabel und Christopher Wool in Venedig ein Skizzenbuch, Kohle sowie Tusche kaufte und zu zeichnen begann. Bald darauf entstanden auch Kompositionen mit Acrylfarbe, Sprühdosen und Tipp-Ex. Der in Toronto (Kanada) als Sohn chinesischer Eltern geborene Wong, der in Honkong Fotografie studierte, beschritt damit Neuland. Seine Begegnung mit den neoexpressiven bzw. abstrakten Werken der amerikanischen Künstler Schnabel und Wool führte dazu, dass er sich nach seiner Graduierung 2012 als Zeichner und Maler verstand.

Das Malen war für ihn eine von vielen Suchbewegungen. Schon vor dem Fotografie-Studium hatte er einen Bachelor in Kulturanthropologie erworben und danach diverse Tätigkeiten ausgeübt, die er zumeist vorzeitig abbrach. Wong litt unter Depressionen, Ängsten und am Tourette-Syndrom. 2017 wurde bei ihm Autismus diagnostiziert. Sein ganzes Dasein stand im Schatten dieser Erkrankungen.

Dunkel, aber voller Licht: Wongs „Starry Night“ (“Sternennacht“), 2019.
Dunkel, aber voller Licht: Wongs „Starry Night“ (“Sternennacht“), 2019. | Bild: 2024, ProLitteris, Zurich

Er musste, wie er sagte, „tagtäglich mit dem Teufel leben“. Von der Kunst erhoffte er sich eine Struktur, ja eine klare Richtung. Daher entschied er sich „ganz ohne Können oder Erfahrung als letzte Zuflucht für die Malerei“ (Facebook-Nachricht an einen Freund). Kunst als Trost? Aber dieser Gedanke hielt Wong nicht vom Suizid ab. 2019 nahm er sich das Leben.

Ein Künstler in existenzieller Hast

„Letzte Zuflucht Malerei“, so titelt das Kunsthaus Zürich die Ausstellung mit Gemälden und Zeichnungen von Matthew Wong und Vincent van Gogh, seinem großen Vorbild. In den sieben Jahren, die er künstlerisch arbeitete, schuf Wong 1000 Werke.

Sofia Silva, die mit ihm in Kontakt stand, spricht im Interview mit Jost van der Hoeven (im Katalog) von „existenzieller Hast“. Zeitweise entstanden in seinem Atelier (zuletzt in Edmonton, Atlanta), mehrere Bilder an einem Tag. Wong veröffentlichte seine Werke auf Facebook und suchte den Kontakt mit Künstlern, Händlern, Kuratoren und Kritikern.

Schon 2015 veranstaltete das Hong Kong Visual Arts Center die erste Einzelausstellung von Gemälden des Außenseiters. Museen und Sammler in Nordamerika wurden auf ihn aufmerksam, wobei die ersehnte Anerkennung ihn eher verstörte. Das Kunsthaus Zürich zeigt mit 40 Arbeiten einen kleinen, aber Bild für Bild faszinierenden Ausschnitt seines gewaltigen Werks. Nach einer kurzen abstrakten Phase wandte sich Wong der gegenständlichen Malerei zu. Höhepunkte seiner Kunst und der Zürcher Ausstellung ist seine imaginäre, farbtrunkene (einsame) Landschaftsmalerei.

Matthew Wongs Bild „Coming of Age Landscape“ (“Heranwachsende Landschaft“) von 2018 erinnert an die Sonnenblumen von Vincent van Gogh.
Matthew Wongs Bild „Coming of Age Landscape“ (“Heranwachsende Landschaft“) von 2018 erinnert an die Sonnenblumen von Vincent van Gogh. | Bild: 2024, ProLitteris, Zurich

Die knallbunten Farben der Bilder sollten ihm offenkundig aus seiner andauernden Bedrücktheit herausführen. Vincent van Gogh hatte 130 Jahre zuvor eine ähnliche Strategie verfolgt. Wenn das niederländische Malergenie mit seinen gesundheitlichen Problemen haderte – von Absinth reduzierter Temporallappen-Epilepsie, Schizophrenie, interiktaler Persönlichkeitsstörung über eine bipolare Störung und zykloide Psychose reichen die Ferndiagnosen – munterte er sich mit leuchtenden Farben auf, machte sich damit Mut. Aber auch in seinem Fall brachte die Schönheit der Kunst nur temporär Trost. Van Gogh schoss sich am 29. Juli 1890 mit 37 Jahren in die Brust. Wenige Tage davor notierte er noch: „Die Traurigkeit wird ewig dauern.“

Auch Van Gogh war Autodidakt

Es ist in der Tat ein bewegendes Pas-de-Deux zwischen dem viel zu früh verstorbenen Wong und dem unübertroffenen Van Gogh, wie Ann Demeester, Direktorin des Kunsthauses Zürich anmerkt. Das Dutzend wunderbare Van Goghs allein, darunter „Der Sandmann“ (1888), „Die Straße von Tarascon“ (1888) und das „Porträt es Dr. Gachet“ (1890), lohnt den Besuch.

Zwischen den Künstlern gibt es biografische Parallelen – auch Van Gogh war Autodidakt, er begann mit 27 Jahren den Dienst an der Kunst, der Maler war unglaublich produktiv, schuf in zehn Jahren mehr als 900 Gemälde und noch mehr Skizzen und Zeichnungen. Van-Gogh war für Wong eine maßgebliche Inspirationsquelle. Er erkannte sich selbst in dem Idol und trauerte mit ihm über die „Unmöglichkeit, Teil dieser Welt zu sein“ (Wong).

Van Goghs „La Maison du Père Pilon“ entstand 1890.
Van Goghs „La Maison du Père Pilon“ entstand 1890. | Bild: Kunsthaus Zürich

Der Einfluss Van Goghs auf Wong ist im expressiven Einsatz leuchtender reiner Farben, am pastosen Farbauftrag und betonten Pinselduktus und selbst in der Wahl seiner Sujets zu beobachten. In seinem Triptychon „The Journey Home“ (2017) erinnern vor allem die Sonnen mit ihren dicken, strahlenförmigen Balken an Van Goghs Malweise in „Der Sämann vor untergehender Sonne“ (1888). Das Motiv der einsamen Figur in einem Boot verweist auf Werke des chinesischen Malers Shitao, aber auch auf Bilder des unglücklichen Niederländers („Die Seine-Brücken bei Anières“, 1887), der ebenfalls von der asiatischen Kunst profitierte.

Van Gogh war für Wong der wichtigste Künstler, aber er nährte sich auch von Malern der Moderne wie Henri Matisse, Gustav Klimt und Alex Katz – um am Ende ureigene Kreation zu schaffen. Er war, wie er sagte, „eine Art Allesfresser visueller Eindrücke.“ Wie tragisch, dass er uns so früh verließ.

Bis 26. Januar 2015. „Matthew Wong/Vincent van Gogh – Letzte Zuflucht Malerei“. Kunsthaus Zürich. Di/Mi/Fr/So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr. www.kunsthaus.ch