Siegmund Kopitzki, z.Zt. Salzburg

Bei den Salzburger Festspielen steht der delikateste Termin dieses Sommers noch an. Plácido Domingo ist für „Luisa Miller“ angekündigt. Es geht um Sex. Nicht in der Oper. Dem Sänger wird sexueller Missbrauch vorgeworfen. Von ungewollten Umarmungen, von nächtlichen Telefonanrufen ist die Rede. Wie in anderen #MeToo-Fällen ist dies Stoff für Empörung, Häme und vorschnelle Urteile. Domingo ist überall. Empörungslust und Vernichtungslust reichen sich die Hand, sie sind Teil unserer Alltagskultur, befeuert durch das Netz und seine mobilen digitalen 24-Stunden-Stammtische. An der schönen Sache Demokratie klebt mittlerweile das Label „Erregungsdemokratie“. Klingt nicht gut. Einerseits.

Andererseits gehört Empörung zur Grundausstattung einer intakten Gemeinschaft. Wir verdanken ihr Errungenschaften wie (eben) Demokratie, Menschenrechte, Klimaschutz, auch #MeToo. Die Frage ist nur, ob es dabei um Selbsterregung, den individuellen Entladungsrausch geht oder aber um Kritik, um Engagement, das der Komplexität und den Bedürfnissen einer Gesellschaft gerecht wird.

Der Rechtspopulismus im Visier

In dieses Wespennest sticht Theresia Walser mit ihrem Stück „Die Empörten“, das sie für die Festspiele geschrieben hat und das – in einer Kooperation mit dem Schauspielhaus Stuttgart, wo das Stück noch zu sehen sein wird – im Landestheater Salzburg uraufgeführt wurde. Regie führte der Stuttgart Intendant Burkhard C. Kosminski. Er macht das wie immer souverän.

Theresia Walser, deutsche Dramatikerin, hat für die Salzburger Festspiele eine finstere Komödie geschrieben.
Theresia Walser, deutsche Dramatikerin, hat für die Salzburger Festspiele eine finstere Komödie geschrieben. | Bild: Juergen Bauer

Es geht nicht um Sex in Walsers Stück mit dem dunklen Untertitel „finstere Komödie“. Die Dramatikerin arbeitet das Thema Empörungskultur grundsätzlich(er) ab. Sie nimmt die rechtspopulistische Bewegung ins Visier. Und die betrifft auch die „Guten“ oder zumindest diejenigen, die sich für solche halten. Das ist die mögliche Provokation in Walsers Komödie. Oder ist das nicht zum Verzweifeln, wenn ein älterer und gebildeter Herr wie Pilgrim, ein Guter also, in sich den kleinen Faschisten entdeckt: „Die ganze Welt steckt in mir drin“, jammert er auf einer Leiter sitzend, um ein Kreuz von der Wand zu nehmen, auf Anweisung seiner Chefin. Pilgrim spricht offen über eine Zerrissenheit, die viele kennen. Das Schwein in uns. Nichts hilft mehr. Weder Glaube, Liebe noch Hoffnung.

Der arme Knecht Pilgrim (André Jung gibt das Faktotum, er nuschelt, er mosert, er ist großartig) ist Redenschreiber von Corinna Schaad. Auch so eine Gute. Die Bürgermeisterin befindet sich im Wahlkampfmodus, ihre Gegnerin ist die Rechtspopulistin Elsa Lerchenberg.

Zwei Gegenspielerinnen: Bürgermeisterin Corinna Schaad (Caroline Peters) und die rechte Populistin Silke Bodenbender (Elsa Lerchenberg).
Zwei Gegenspielerinnen: Bürgermeisterin Corinna Schaad (Caroline Peters) und die rechte Populistin Silke Bodenbender (Elsa Lerchenberg). | Bild: Barbara Gindl/APA/dpa

Aber was heißt schon rechts? Elsa zitiert Hölderlin, ihr Großvater war im Widerstand gegen Hitler, die Eltern turtelten im linken Milieu, als Kind ritt sie auf dem Rücken von Rudi Dutschke. Tempi passati. Jetzt redet Elsa (etwas hölzern und zu sehr an Alice Weidel erinnernd: Silke Bodenbender) über die Hauptbedrohung Europas, die Islamisierung.

Ein Unfall, ein Selbstmord ein Attentat?

Für die Bürgermeisterin, die seit einiger Zeit Pakete mit Kot und anderen Bösartigkeiten geschickt bekommt, ist Elsa eine „völkische Zündelhexe“. Das mag ja so sein. Aber auch Corinna Schaadt hat ein Problem: Ihr Halbbruder, ein Pizzabote, ist mit seinem Auto in der Fußgängerzone in eine Menschenmenge gerast, bei dem nicht nur ein Muslim ums Leben gekommen ist, sondern auch der Fahrer. Angeblich habe er „Allahu Akbar“ gerufen.

Bürgermeisterin Corinna Schaad (Caroline Peters) hat ein Problem: Eine Leiche. Anton (Sven Prietz) hilft, sie wegzuschaffen.
Bürgermeisterin Corinna Schaad (Caroline Peters) hat ein Problem: Eine Leiche. Anton (Sven Prietz) hilft, sie wegzuschaffen. | Bild: Barbara Gindl/APA/dpa

War es ein Unfall, ein Selbstmord, ein Attentat? Der Druck der Straße wächst. Die Bürgermeisterin muss um ihre Wiederwahl fürchten, sollte herauskommen, wer der Täter war. In ihrer Not holt sie die Leiche aus der Pathologie und deponiert sie in einer Truhe im Büro (Bühne: Florian Etti). Und in Kürze findet die Trauerfeier für die Opfer im Rathaus statt, die Bürgermeisterin muss eine Rede halten. Aber welche? Pilgrim hat die gleiche Rede auch der Herausforderin zugesteckt.

Ein Entladungsrausch, der wehtut

Am Ende versammelt sich um die Kiste die kleine Gesellschaft, zu der noch Frau Achmedi stößt, die Frau des Opfers (Anke Schubert mit Kopftuch, selbstbewusste Frau und Schauspielerin). Achmedi, hier geboren, was alle wundert, soll eine Verdienstmedaille erhalten. Sie bezweifelt den Sinn dieser Geste und lässt auch sonst kein gutes Haar an der Bürgermeisterin, da diese sie in einer Aktion aus ihrem alten Wohnviertel vertrieben habe. Dann zieht sie ab: „Wissen Sie, mit wem wir jetzt Wand an Wand wohnen? Mit Balkandreck, Ostblockdreck, Kurdendreck, die ihre Spucke aus sich hinauskotzen, als ekelten sie sich vor sich selbst, wie tuberkulöse Vulkane mit Weibern, die unter ihren schwarzen Lappen Fettberge mit sich herumschleppen...“.

Ein Entladungsrausch, der weh tut. Auch sie, die Frau des Opfers, trägt einen kleinen Faschisten in ihrem Inneren. Walser spricht in ihrem sprachgewaltigen Stück niemanden frei, also auch uns nicht: Wir haben alle eine Leiche im Keller. Was für ein Lehrstück, das mit Caroline Peters als Bürgermeisterin großartig besetzt ist – sie toppt alle, sie sprüht vor Energie, auch der falschen. Das Salzburger Premierenpublikum applaudierte kräftig, es lachte, wenn es lachen sollte, aber es wirkte am Ende auch etwas geschockt. So muss Theater sein!

Die nächsten Vorstellungen: 20., 22. 23., 25. August. Die Stuttgarter Premiere ist am 19. Januar 2020. Weitere Infos: http://www.salzburgfestival.at