Was für ein Theater! Der Himmel schwarz, blueboxgesättigtes Unwetter, das die letzten Reste des Tageslichts einfach löscht, es folgt Regen, der ein lautes Trommeln entfacht, ein Orgeln schon, das an Krieg erinnert.

Unwetter am Bodensee

Nein, das ist kein schlechter Film, keine falsche Theaterkulisse, sondern ein Unwetter-Abend am Bodensee. Genauer: im Zirkuszelt „Salto Mortale“ auf dem ufernahen Gelände in Konstanz, das seine Einwohner in allerschönster Übertreibung Klein-Venedig nennen. Es ist der schmucklose Festplatz der Stadt. Im Herbst tobt hier das Oktoberfest.

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Auf Klein-Venedig gastiert der Familienzirkus Salto-Mortale. Monika Bürgler leitet ihn in achter Generation. In der Manege agieren ihre Kinder und Enkelkinder, allesamt Allround-Könner, die beim Auf und Ab mit Hand anlegen. Auch die Zirkustiere gehören zur Großfamilie. Dementsprechend werden sie behandelt. Außer den Pferden, Eseln, Kamelen, Lamas und Ziegen haben sechs Laufenten in der Manege ihren Auftritt. Das war vor dem großen Regen.

Erste Auftritte bei Familie Bürgler

Mit Christoph Nix, dem Intendanten des Konstanzer Theaters, verbindet die Familie Bürgler eine mehrjährige Freundschaft. Und öfter wurde über die Idee einer Kooperation zwischen Zirkus und Theater gesprochen. Nix hatte vor seiner juristischen Karriere als Strafverteidiger und Professor und erst recht vor der des Theatermachers „Clown gelernt“. In der Manege der Familie Bürgler hatte er seine ersten Auftritte. Nun endlich ist die Kooperation zustande gekommen. Auf Klein-Venedig.

Zirkusinhaberin Monika Bügler (Mitte) mit ihren Söhnen und Enkeln.
Zirkusinhaberin Monika Bügler (Mitte) mit ihren Söhnen und Enkeln. | Bild: Chris Danneffel

Neben den Shows von „Salto-Mortale“ präsentiert das Theater mehrere eigene Inszenierungen für Groß und Klein. Die erste Premiere – „Foottit und Chocolat“ fiel – siehe oben – im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Die Inszenierung des Dreiergespanns Mark Zurmühle, Christoph Nix, der das Drehbuch schrieb, und Olli Hauenstein, der neben Ramsès Aifa alias Chocolat auch die Hauptrolle spielte, musste nach der Pause abgebrochen werden.

Wahre Geschichte

Schade drum. Das Zirkusspiel „Foottit und Chocolat“, das nach einer Verfilmung („Monsieur Chocolat“, 2016) nun als Bühnenfassung vorliegt, basiert auf einer wahren Geschichte. Sie handelt von den Clowns Foottit und Chocolat. Beide stolperten zunächst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Manegen und über die Bühnen Frankreichs. Als autoritärer Weißclown und schwarzer Dummer August revolutionierten sie die Clownkunst. Der Brite Foottit hatte auf der Suche nach einem Partner den als Kind aus der kubanischen Sklaverei entflohenen Padilla entdeckt. Bis dahin konnten wir dem Spiel im Zelt folgen. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

Bild 2: „Foottit und Chocolat“ war ein vielversprechender Auftakt für Theater im Zirkuszelt: Doch dann sorgte der Gewittersturm für ein jähes Ende
Bild: Bjørn Jansen

Ihre gemeinsame Show wurde in Paris zum Publikumsmagneten. Der Lebensmittelkonzern Félix Potin warb auf Plakaten mit dem schwarz-weißen Duo, Henri Toulouse-Lautrec verewigte sie in einem Bild, die berühmten Brüder Lumière, Erfinder des Kinos, dokumentierten den Auftritt der Artisten. Die Geschichte nimmt dennoch kein gutes Ende. Die Ungleichheit zwischen Foottit und Padilla zeigte sich auch im Geldbeutel: der Weißclowm verdiente dreimal so viel wie der Dumme August. Padillas Traum war es, auch als Künstler ernstgenommen zu werden. Er liebte das klassische Theater, erntete aber in einer Shakespearerolle nur Spott. Er starb verarmt im Weltkriegsjahr 1917.

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„Der Schwarze will sein wie der Weiße. Für den Schwarzen gibt es nur ein Schicksal. Und es ist weiß“, wird der 1961 verstorbene Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon im Programmheft zitiert. Das ist vielleicht die eine bittere Erkenntnis, die aus dem Zirkusspiel gezogen werden muss. Es darf aber auch, niedriger gehängt, als Hommage an eine Generation von Clowns gesehen werden, die – wie Olli Hauenstein – zu Randfiguren des Showgeschäfts geworden sind. Ihm geht es immer auch um die Poesie. Das war spürbar, selbst beim tiefen Atemholen.

Hohe Kunst

Auch wenn wir nur bis zur Halbzeit dabei sein durften, ein finales Urteil sich verbietet, dürfen wie die Konstanzer Inszenierung, ihre Ambition, als hohe Kunst auffassen. Und das Publikum? Wunderbar. Es liebt sein Theater. Das Publikum tanzte. Und als der Intendant die Namensliste aller Mitwirkenden vortrug, brandete immer wieder Beifall auf. Die Eintrittskarten behalten ihre Gültigkeit.

Nächste Vorstellungen: 18., 19. und 22. Juni, jeweils 20 Uhr. Tickethotline 07531/900150, Email: http://Theaterkasse@konstanz.de