Der morgendliche Blick in den Spiegel ist ja nun nichts, was den Normalmenschen so ganz und gar erfreut. Nur die wenigsten werden sich ein Küsschen zuwerfen, und mitten in all der Hantiererei mit Föhn und Rasierapparat mag sich der eine oder die andere auch gerne mal die Zunge rausstrecken. Geräusch inklusive. "I hate mirrors" heißt ein Stück von Francesco Filidei, das die Musiker an einem Tisch aufreiht und Geräte, Stimme, Zunge, Metronome, Hämmerchen und vieles mehr zu einem rhythmisch und gestisch vertrackten Ganzen zusammenbringt. Es war der szenische Höhepunkt im Auftaktkonzert zur Avantgarde-Reihe "High Noon", die im Konstanzer Studio der Südwestdeutschen Philharmonie eine neue Heimat gefunden hat. Der Konstanzer Schlagzeuger, Komponist und Organisator Ralf Kleinehanding hatte zu diesem Anlass ein exquisites Ensemble zu Gast: Das Stuttgarter Septett Ascolta musiziert in rarer, man möchte fast sagen einzigartiger Besetzung, dabei stupend präzise, mit feiner Musikalität – und mit Hang zur theatralischen Einlage.
Im Einzelnen sind da zugange: Markus Schwind (Trompete), Andrew Digby (Posaune), Boris Müller (Schlagzeug), Julian Belli (Schlagzeug), Florian Hoelscher (Klavier), Erik Borgir (Cello) und Hubert Steiner (E-Gitarre). Das aus dieser Mischung entstehende Klangbild überrascht in jedem Stück neu, zumal man mit einer Detailverliebtheit ans Werk geht, die ahnen lässt, wieviel Arbeit in diesem Programm "Beschleunigt. Laut. Leise" stecken mag, mit dem die Musiker jetzt auf Tour gehen. So leise die Piani, so weit angelegt die Crescendi, so synchron das Zusammenspiel und immer wieder überraschend die Virtuosität der Einzelnen.
Sei es der Trompetenpart in „Nobody knows" von Sven-Ingo Koch, das musikalisch ungeheuer dicht daherkommt – atonal melodisch sozusagen – oder die "Straßenmusik" von Robin Hoffmann für Tenorposaune, die weniger an Fußgängerzonen-Romantik als an die Hintergrundkulisse von Autobahnraststätten erinnert. Dem Solisten verlangt sie viele Pferdestärken ab. Und das sind nur Beispiele für ein Programm, in dem jeder Beckenschlag sitzt und in dem alleine die Schlagzeuger mit einer Materialfülle agieren, die sich kaum beschreiben lässt.
Die wahre Kunst dieser sieben Männer ist aber vielleicht das atmosphärische Gespür, das dieses Konzert so kurzweilig macht – ein Kriterium, das in der Moderne nicht immer dominiert. Zum Anspruch gesellt sich eine feine Ironie, zum Ernst ein großartiger Sinn für Humor. Und dann dieses schauspielerische Talent: Das muss man erst einmal schaffen, mit einer solchen Andacht in ein leeres Weinglas hineinzuhören, wie Hubert Steiner das im abschließenden Stück "Fremdkörper" von Elena Mendoza macht. Und die faszinierenden Klänge, die er da hört, ja, um die zu erfahren, müsste man schon dabei gewesen sein. Denn das Ensemble Ascolta ist das beste Beispiel dafür, wie Neue Musik am meisten Vergnügen bereitet: im Konzertsaal.