Wer kennt sie nicht, die klassischen Märchen? Die schöne Prinzessin kann nur durch den Prinzen gerettet werden. Und wenn sie nicht gestorben sind... Barbara Müller, Lehrerin, Feministin, Friseurin, Mutter und Autorin, wagt sich hingegen mit Ihrem Kinderbuch „Flora und der Honigkuss“ auf ein neues Terrain der Kinderliteratur und stellt damit die Märchenwelt auf den Kopf.
Flora mag keine Frösche küssen
Zu Besuch bei Barbara Müller in Radolfzell. Ihre beiden Kinder – drei Jahre und 11 Monate alt – schlafen. Sie nutzt die Zeit, sitzt in ihrem Garten und schreibt an ihrem zweiten Buch. Auch das wird sich thematisch von den meisten Kinderbüchern abheben, verrät sie im Interview mit dem SÜDKURIER. So, wie ihr Erstlingswerk „Flora und der Honigkuss“, in dem es um die gleichgeschlechtliche Liebe geht. Die Geschichte ist schnell erzählt: Flora, eine junge, kesse Prinzessin, trifft sich mit ihren Freundinnen an einem Teich. Als die Mädchen heranwachsen, fangen sie an, die Frösche zu küssen, in der Hoffnung, dass sich diese in Prinzen verwandeln. Nur Flora nicht, sie mag keine Frösche küssen.
Ihre Eltern sind verzweifelt und reisen mit ihr bis nach Panama und Brasilien, um ihr andere Froscharten vorzustellen. Erst als sie Prinzessin Mila trifft, fühlt sich Flora angekommen und Milas Kuss schmeckt so süß wie Honig. Auf die Frage, wie es zu der Idee zum Buch kam, lächelt Barbara Müller, zuckt die Schulter und es ist schnell klar, dass eine längere Geschichte hinter dieser Idee steckt. Dazu muss man die Vita der 40-Jährigen kennen.
Ein Lebenslauf im Zickzackkurs
Barbara Müller, 1979 in Konstanz geboren und in Radolfzell Markelfingen aufgewachsen, zog es nach dem Realschulabschluss in die Großstadt. Sie ging nach Hamburg, machte eine Friseurausbildung und Weiterbildungen zur Kosmetikerin und Make-Up Artistin. Anschließend zog sie nach Berlin. Sie liebte das bunte Leben in der Subkultur von Berlin Kreuzberg, bewegte sich in der Punkszene, besetzte Häuser, saß nächtelang mit Freunden zusammen, philosophierte über politische und soziologische Themen. Eine Zeitlang arbeitete sie als Piercerin, verdiente sich Geld als Bedienung in Kneipen und stylte Models für Foto-Shootings. Dennoch war da auch die Neugier auf Wissen und Bildung.
Ein lesbisches Paar gab den Ausschlag
Sie holte an einer basisdemokratischen Schule ihr Abitur nach und studierte in Osnabrück Germanistik und Kosmetologie. Ihr Referendariat absolvierte sie an einem Berufskolleg in Köln. In rheinländischer Freundeskreis war bunt gemischt, bestand aus Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten und Lebensentwürfen. Unter ihnen war ein lesbisches Pärchen, das eine gemeinsame Tochter hatte. Barbara Müller erinnert sich: „Wir saßen abends zusammen und meine Freundin sagte zu mir: Ich lese unserer Tochter viel vor. Es gibt viele Geschichten mit Liebe. Doch wird immer nur die heterosexuelle Liebe erzählt. Homosexuelle Paare haben kaum die Möglichkeit, anhand von Bilderbüchern, Märchen oder Kindergeschichten, ihren Kindern ihre Form von Liebe bildhaft darzustellen.“
Barbara Müller dachte nach. Spontan fiel ihr die Geschichte vom Froschkönig ein, der sie schon als Kind mit „gemischten Gefühlen“ begegnet war. Sie erklärt: „Irgendwie fand ich den Frosch anmaßend und ekelig, sein Verhalten geradezu übergriffig. Für eine geringe Leistung, nämlich dafür, dass er der Prinzessin die goldene Kugel aus dem Brunnen holt, fordert er, dass er von ihrem Teller essen und in ihrem Bett schlafen darf.“
Ein Beitrag zur Akzeptanz Homosexueller
Für Barbara Müller, die sich selbst als Feministin bezeichnet, ein Unding. Sie wusste, dass sie die Geschichte des Froschkönigs als Vorlage für ein Buch nehmen wollte, ein Kinderbuch über die gleichgeschlechtliche Liebe zu schreiben. „Ich wollte auf meine Weise meinen Beitrag leisten und habe spontan zu meiner Freundin gesagt: Du, ich mach das, ich schreibe ein solches Buch!“
Bilderbücher leben von den Illustrationen, sie sind in der Regel das erste Medium, durch das Kinder mit Lektüre in Berührung kommen, die Werte, Normen und gesellschaftliche Regeln vermittelt. Über ihren Lebensgefährten Konstantin lernte die Autorin die selbständige Grafik-Designerin Ann-Kathrin Nikolov kennen und war auf Anhieb begeistert von ihren Arbeiten. „Ann-Kathrin hat einen unvergleichlichen Stil, eine Mischung aus Street-Art und Aquarell, verspielt, aber nicht kitschig. Genau das wollte ich und konnte es kaum fassen, sie wirklich für mein Buchprojekt gewinnen zu können“, erzählt sie.
Zusage landete beinahe im Spam
Bis zur Veröffentlichung war es dennoch ein steiniger Weg. Über 30 Verlagen hatte sie ein Exposé geschickt. Die Rückmeldung des Hamburger Independent Verlags „Marta Press“, der sein Interesse am Buch bekundete, war als Mail in Ihrem Spam-Ordner gelandet und wäre fast untergegangen. „Ich weiß noch, als ich die Mail gerade in den Papierkorb verschieben wollte und dann instinktiv doch anklickte und las“, erzählt Barbara Müller lachend. „So kurz vor dem Ziel wäre die Veröffentlichung fast noch schief gegangen.“

Entstanden ist ein wunderbares, unaufgeregtes Bilderbuch, das auf kindgerechte Weise die Zuneigung zwischen zwei weiblichen Charakteren thematisiert – ohne die Männer dabei abzuwerten. Wohl nur die Erwachsenen werden die leise Kritik an den vorherrschenden Beziehungsformen wahrnehmen. Man darf auf das nächste Buch von Barbara Müller gespannt sein. Es geht um das Thema „Menschen mit Handycap“, sagt sie und möchte vorerst noch nicht mehr verraten.
Zur Person
Barbara Müller, geb. 1979 in Konstanz und aufgewachsen in Radolfzell-Markelfingen, ist Lehrerin, Feministin, Friseurin, Autorin und Mutter. Nach beruflichen und privaten Stationen in Hamburg, Berlin und Köln, lebt sie seit dem Jahr 2016 wieder mit ihrem Lebensgefährten und den beiden Kindern in Radolfzell-Markelfingen. Sie ist als Lehrerin an der Berufsschule Konstanz tätig, jedoch momentan in Elternzeit. Ihr Buch „Flora und der Honigkuss“ bezeichnet sie als „ein Bilderbuch für alle Kinder ab 4 Jahre und alle Eltern, Lesben und Menschen mit Humor und Weitsicht.“ Das Buch ist für 14,90 Euro online und im Buchhandel erhältlich. (nic)