Wir könnten Helden sein, steht da auf Englisch in Großbuchstaben. Ausgerechnet hier, in einer Unterführung. Müll liegt herum, Graffiti-Geschmiere verunstaltet die Wand. Nicht gerade ein Wohlfühlort. Aber ja, wir könnten sicherlich Helden sein, wenn... ja, wenn was? Wenn wir den Müll wegräumen würden?

„Neue Helden braucht das Land“ titelte auch vor einigen Jahren die Band Erste Allgemeine Verunsicherung. Das war vor allem ironisch gemeint und auf Fernsehformate wie Dschungelcamp oder Deutschland sucht den Superstar gemünzt, die mit der Peinlichkeit anderer Quote machen. Damals konnte man sich noch über so etwas aufregen. Inzwischen hat man das längst aufgegeben.
Welche Helden also brauchen wir heute? Klimaschützer wie die Schüler und Schülerinnen von „Fridays of Future“? Oder eine Flüchtlingsretterin wie Carola Rackete? Im Kino jedenfalls haben Superhelden, die mal eben die Welt retten, Hochkonjunktur. Der Bedarf an Helden ist offenbar gegeben.
Helden und Gutmenschen
Das hat auch die französische Regisseurin Mariame Clément erkannt. Sie hat für die Bregenzer Festspiele Jules Massenets selten gespielte, 1910 uraufgeführte Oper „Don Quichotte“ inszeniert und sich mit der Idee des Helden auseinandergesetzt. Nun ist der Don Quijote aus Miguel de Cervantes‘ Roman eher ein Antiheld. Ein gutmütiger Spinner, der nach der Lektüre vieler Ritterromane glaubt, selbst ein Ritter zu sein. In Massenets Oper ist er das, was man heute eher abfällig als „Gutmenschen“ bezeichnen würde – eine lächerliche Version des Helden.

Doch die Grenzen sind fließend zwischen dem Helden und dem unbelehrbaren Spinner. Muss nicht jeder, der sich mit Haut und Haar einer Idee verschreibt, ein bisschen verrückt sein? Ist nicht auch der Kampf gegen den Klimawandel so aussichtslos wie der Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen? Eine spannende Idee also, aus „Don Quichotte“ unterschiedliche Helden-Typen herauszuarbeiten.
Mit der Klobürste gegen die Lüftung
Mariame Clément erzählt dafür die fünf Akte als je eigenständige Geschichte. Im ersten Akt ist Don Quichotte ähnlich wie im Original der selbst ernannte Ritter zu Cervantes‘ Zeit, der unter dem Balkon seiner Angebeteten Dulcinée ein Ständchen singt. Der zweite Akt verlegt den berühmten Windmühlenkampf ins Badezimmer. Don Quichotte kämpft nun, bewaffnet mit Klodeckel und Klobürste, gegen die Lüftungsanlage seines Badezimmers, die er plötzlich für einen Riesen hält.
Im dritten Akt taucht Don Quichotte als Möchtegern-Spiderman in einer Unterführung auf, wo er einer Jugendbande in die Arme läuft. Im vierten Akt ist er ein verklemmter Büroangestellter, dessen Heldentat darin besteht, seiner attraktiven Kollegin einen aussichtslosen Heiratsantrag zu machen. Im letzten Akt stirbt er in einer Bilderbuch-Kulisse.

Aus eins mach fünf – Clément ist mit Massenets „Don Quichotte“ auch deswegen so verfahren, weil sie mit dem Libretto hadert und damit, dass es mit Cervantes‘ Original so wenig zu tun hat. Und es stimmt ja auch. Die Opernhandlung ist nicht sehr komplex und lässt sich, wie Clément es tut, in einem Satz zusammenfassen: „Dulicenée gibt Don Quichotte den Auftrag, ihre Halskette zurückzuholen. Er bringt sie zurück und bittet um ihre Hand, sie lehnt ab, er stirbt.“
Doch das Konzept, das Stück handlungsmäßig anzureichern, geht nicht auf. Es zerfällt nun vollends, weil die fünf Episoden eben doch keine in sich geschlossenen Einakter sind, sondern sich – auch musikalisch – aufeinander beziehen. Die langen Bühnenumbauten zwischen den Akten (Ausstattung: Julia Hansen) sorgen zusätzlich für Längen. Auch die Helden-Bilder, die Clément entwirft, sind – bis auf Spiderman – wenig erhellend. So wirkt das Konzept doch arg bemüht.
Bunte, exotische Klangwelt
Wer hier sein Glück sucht, sollte sich an Massenets Musik halten. Auch sie zeichnet sich zwar durch eine gewisse Weitschweifigkeit aus, ist insgesamt aber wegen der Anleihen an eine exotische, vermeintlich spanische Klangwelt bunt, abwechslungsreich und begleitet Don Quichotte mit spöttischem Witz (Die Wiener Symphoniker unter Leitung von Daniel Cohen). Die Partie der Titelfigur ist dabei eine seltene Paraderolle für jeden Bass – und Gábor Bretz nutzt diese Gelegenheit mit Gewinn. Anna Goryachova ist eine unnahbare Ducinée mit verführerischem Mezzosopran. David Stout gibt einen Sancho Pansa mit vielen Facetten. Alles in allem: Eine Heldentat ist dieser Opernabend nicht geworden. Aber er war, ganz im Sinne Don Quijotes, gut gemeint.
Weitere Termine: 21. Juli, 11 Uhr; 29. Juli, 19.30 Uhr. http://www.bregenzerfestspiele.com