Wer reist, lernt unsere Region zwar kennen, aber noch lange nicht verstehen. Warum im Schwarzwald so viele Fichten stehen, wozu den Überlingern einmal das Handelshaus Greth diente und seit wann in Tiengen die Eisenbahn hält: Das alles lässt sich statt in der Realität besser in der Kunst nachvollziehen.

Historische Ansichten

Die städtischen Museen Freiburg zeigen jetzt in einer Doppelausstellung historische Ansichten von Orten wie Meersburg, Waldshut und Bernau. Die Ölgemälde, Gouachen und Aquarelle stammen größtenteils aus dem 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der fotografische Abbildungen unserer Region noch eine Rarität waren. In den Gemälden spiegeln sich künstlerische Überzeugungen und Interessen: Mal liegt der Fokus auf überlieferten Traditionen, mal auf Anzeichen der Moderne.

Titisee: Ida Maier zum Beispiel malt den Titisee 1855 als entlegene Idylle fernab der industriellen Revolution. Am unbefestigten Ufer stehen eine Handvoll Bauernhöfe, Energie wird aus einem Bachlauf gewonnen, den eine künstliche Rinne zu einer Wassermühle lenkt. Keine 20 Jahre später sollte hier das erste Restaurant eröffnen, schon zur Jahrhundertwende gab es mehrere Hotels. Maiers Bild: Es ist ein letzter Gruß aus einer Zeit, die noch keinen Massentourismus kannte.

Der Titisee 1855, gemalt von Ida Maier.
Der Titisee 1855, gemalt von Ida Maier. | Bild: Augustinermuseum – Städtische Museen Freiburg, Foto: Axel Killian

Schwarzwald-Siedlung Karfunkelstadt: Die Titisee-Romantik täuscht darüber hinweg, dass auch der Schwarzwald umstürzende Veränderungen erlebt hat. Wilhelm Hasemann malt eine Siedlung am Rand eines Mischwaldes: ein selten zu sehendes Bild, obgleich Mischwälder lange Zeit der Realität entsprachen. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte exzessive Forstwirtschaft ihnen den Garaus. Weil die Regierung bei der Wiederaufforstung auf schnell wachsende Fichten setzte, sind Laubbäume heute eine Rarität.

Mischwälder im Schwarzwald: Werner Hasemanns Darstellung von Karfunkelstadt bei Fischerbach.
Mischwälder im Schwarzwald: Werner Hasemanns Darstellung von Karfunkelstadt bei Fischerbach. | Bild: Hans-Peter Vieser

Bonndorf: Der aus Stühlingen stammende Kunstmaler Johann Martin Morat hat das Anfertigen von Ortsansichten in unserer Region zu einer Lebensaufgabe gemacht. Oft sind es eher ungewöhnliche Perspektiven, wie etwa auf Bonndorf, dessen Wasserschloss dem Betrachter seine unscheinbarste Seite zuwendet.

Waldshut: Waldshut ist 1852 teilweise noch von seiner mittelalterlichen Befestigungsanlage umgeben. Außerhalb dieser historischen Grenzen sind nur wenige Häuser zu sehen – schon in einer zweiten, wenig später angefertigten Gouache sieht das anders aus.

Tiengen: Bei Tiengen lässt Morat bereits eine Dampflokomotive mit Waggons durch die Landschaft rauschen – eine Tatsache, die darauf schließen lässt, dass dieses Bild nach 1863 entstanden sein muss. Das markante Bahnhofsgebäude steht einsam weit außerhalb der Stadt. Wie in Waldshut, sind auch hier noch Reste der mittelalterlichen Befestigungsanlage zu sehen. Die Stadt aber hat sich schon erkennbar über diese ursprünglichen Eingrenzungen hinaus entwickelt.

Als Arbeitsplatz nutzten Künstler wie Johann Martin Morat meist Anhöhen, von denen aus sie auf die Stadt blicken konnten. Umso erstaunlicher ist die Perspektivwahl bei Porträts der Bodenseestädte. Hier begibt sich Morat aufs Schiff und damit auf Seehöhe.

Überlingen: Überlingen zeigt uns deshalb in dieser Darstellung von 1840 frontal seine Kaimauern, manches bedeutende Gebäude bleibt verdeckt. Umso mehr bekommt der Betrachter einen Eindruck von der günstigen strategischen Lage: vorne Seezugang, im Rücken der freie Blick auf Wiesen und Felder. Der Feind war stets früh sichtbar und stieß dann auf hohe Hindernisse. Doch gegen den industriellen Wandel halfen weder Mauern noch Türme. Das vorbeifahrende Dampfschiff zeigt unerbittlich eine neue Zeit an: Korn wurde nun über andere Städte verschifft, das Handeslhaus Greth stand zunehmend leer. Erst der Tourismus half der Stadt aus der Krise.

Meersburg: Auch Meersburg nähern wir uns in Morats Darstellung vom See aus. Dass die Ansicht zwischen 1825 und 1827 entstanden sein muss, beweist der Westturm der katholischen Pfarrkirche. Das alte Kirchenschiff ist hier bereits abgerissen, der klassizistische Neubau aber noch nicht in Sicht. Außerdem im Bild: der Gasthof „Wilder Mann“ – hier noch mit rosa Fassade

Ortsansichten aus dem 19. Jahrhundert zeigen eine Region im Umbruch. Zu sehen sind im Mittelalter gewachsene Strukturen in einer Welt der Beschleunigung. Wie viel sich inzwischen geändert hat, zeigen Fotografien von Axel Killian. Der Fotograf ist zu jenen mutmaßlichen Standorten gefahren, von denen aus Johann Martin Morat einst die jeweilige Stadt porträtiert hat. Wo bei ihm bei Waldshut noch Wiese war, steht jetzt ein Atomkraftwerk. Und über Bonndorf erhebt sich jetzt ein Windrad. Eines aber bleibt trotz allem unverändert: Schön ist es hier überall.

„Blauer Himmel über Baden“ bis 1. September und „Schwarzwald-Geschichten“ bis 6. Oktober im Augustinermuseum Freiburg. Öffnungszeiten: Di. bis So. 10-17 Uhr. Weitere Informationen: http://www.freiburg.de/museen

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