So, und jetzt mal unaufgeregt und ganz von vorne: "Mein Kampf" ist ja eigentlich ein großartiges Stück. Das sollte nicht untergehen in der ganzen Debatte um Hakenkreuze und Davidsterne, die zu tragen das Konstanzer Theater ursprünglich seinen Besuchern auferlegen wollte. Und wenn auch die Verteilung dieser Symbole schon zur Inszenierung zählte, so heißt das ja nicht, dass alles Weitere keine Beachtung mehr verdient. Wenngleich sich nicht leugnen lässt, dass der skandalträchtige Auftakt nicht nur moralische, sondern auch ästhetische Befürchtungen weckte. Hier die bösen Nazis und Zahlungsverweigerer, da die guten Davidsternträger und Theaterunterstützer: Sollte, wer den Holocaust schon im Vorfeld so plump vereinfacht und verniedlicht, wirklich imstande sein, sich auf der Bühne zu steigern?

Bei der Premiere am Freitagabend sieht es lange Zeit nicht danach aus. In einem großen Rahmen aus goldgestickten Hakenkreuzen und Hunden, wie wir sie von der legendären Lieblingskrawatte des AFD-Parteichefs Alexander Gauland kennen, erblicken wir wechselnde Stadtansichten Wiens und zwei Kioske. Mittendrin, ohne Wände, ohne Dach, steht ein einsames Stockwerkbett (Ausstattung: Damian Hinz). Hier haust der Hausierer und verhinderte Schriftsteller Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung), ein lebenserfahrener Mann mit pragmatischem Blick auf die Welt.

Das kann er von seinen Mitmenschen kaum sagen. Nicht von Mitbewohner Lobkowitz (Andreas Haase), der sich mit seiner Donald-Trump-Frisur und roten Krawatte als schlechthin göttliches Wesen sieht. Auch nicht von diesem jungen Besucher namens Adolf Hitler (Peter Posniak), der von einer Künstlerkarriere träumt, aber unkontrolliert brüllend, zuckend, winselnd erkennbar ein Fall für den Psychiater ist. Dass Herzl ihn beherbergt, berät, aufmuntert, mutet unter diesen Bedingungen weniger barmherzig an als verantwortungslos: Mit Verhaltensstörungen diesen Ausmaßes wäre professionelle Hilfe von Nöten.

Brüllen ist seine Leidenschaft: Adolf Hitler (Peter Posniak) im Gespräch mit Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung). Bild: Ilja Meß / Theater ...
Brüllen ist seine Leidenschaft: Adolf Hitler (Peter Posniak) im Gespräch mit Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung). Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz

 

Heutige Politfiguren bringen Aktualität in das Geschehen

 

Es geht nicht nur unberechenbar zu in dieser dreiköpfigen Männer-WG, sondern auch aktuell. Hitler schwärmt von seinem Lieblingslehrer in Geschichte, Bernd Höcke. Lobkowitz verbessert ihn, der Mann heiße mit Vornamen Björn. Bald verausgabt sich der junge Maler zu Helene Fischers "Atemlos", ein schwarzer Riesendildo dient ihm als Mikrofon. Sind die Bezüge nicht deutlich genug, wird sprachlich nachgeholfen: Dann "trumpelt" man statt zu trampeln – ein tieferer Sinn gibt sich damit nicht zu erkennen.

Die Idee, jeden Charakter außer Schlomo und Hitler mit heutigen Politfiguren gleichzusetzen, gerät zu einer fixen Idee. Schlomos Freundin Gretchen (Laura Lippmann) ist Frauke Petry, in der Figur Himmlisch (Tomasz Robak) meinen wir den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders zu erkennen, und mit Frau Tod (Vanessa Radman) steht bald auch Hillary Clinton auf der Bühne – oder soll das etwa Alice Weidel sein? Jedenfalls erinnert es in seiner Plakativität bald unangenehm an den Haudrauf-Humor der ZDF-Heute-Show, für die Regisseur Somuncu als Kabarettist tätig ist.

Seitenwechsel: Eben noch war Gretchen (Laura Lippmann) mit Schlomo Herzl liiert. Jetzt hängt sie an den Lippen des jungen Adolf Hitler. ...
Seitenwechsel: Eben noch war Gretchen (Laura Lippmann) mit Schlomo Herzl liiert. Jetzt hängt sie an den Lippen des jungen Adolf Hitler. Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz

Mit Gretchens Auftreten gelingt ihm eine starke Szene, wenngleich man sich auch hier alle Mühe geben muss, den aufdringlichen Frauke-Petry-Bezug zu ignorieren. Bei Tabori bringt Gretchen ihrem geliebten Schlomo ein Huhn vorbei, das Hitler später schlachten wird. In Konstanz ist es statt des Federviehs eine kleine Flüchtlingspuppe: von Gretchen in gespielten Geburtswehen zur Welt gebracht. Man fühlt sich unwillkürlich an die berühmte Geburtsszene mit Joseph Goebbels in Heiner Müllers Drama "Germania Tod in Berlin" erinnert.

"Es wird dich warm halten im kalten Winter", sagt Gretchen zärtlich über die kleine Puppe. Und als Schlomo ihr von der Passion Christi erzählt, wickelt sie sich selig in eine Decke ein, inszeniert sich als Mutter Gottes mit Jesuskind.

Ein Flüchtlingskind als Kuscheltier, Religiosität als Instrument der Selbstbeweihräucherung: Das sind durchaus entlarvende Bilder. Und wenn Gretchen später ihres Geliebten überdrüssig wird, sich stattdessen lieber dem jungen Hitler an den Hals wirft, dann lässt sich darin auch der Schwenk von einer bloß auf Kuscheltierniveau gelebten Willkommenskultur 2015 hin zu einer Abschottungspolitik 2018 erkennen. Das eben noch geherzte Flüchtlingskind wird dann vom Metzger – mit dem schön zynischen Namen Himmlisch – brutal ausgeweidet: so beklemmend wie gelungen.

Gretchen (Laura Lippmann) präsentiert dem jungen Hitler (Peter Posniak) ihr Flüchtlingskind. Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz
Gretchen (Laura Lippmann) präsentiert dem jungen Hitler (Peter Posniak) ihr Flüchtlingskind. Bild: Ilja Meß / Theater Konstanz

 

Somuncu stellt sich mit seiner Inszenierung selbst ein Bein

 

Das Ensemble agiert größtenteils überzeugend. Thomas Fritz Jung tut gut daran, seine Rolle nicht allzu philanthropisch anzulegen: Schlomo Herzl kümmert sich um Hitler nicht so sehr aus Nächstenliebe, sondern mehr, weil sich ja irgendjemand seiner annehmen muss. Laura Lippmann gibt ein wunderbar forderndes, verwöhntes, egozentrisches Gretchen, das sich umstandslos jedem anzuschließen vermag, der ihr gerade ein angenehmes Leben verspricht. Peter Posniaks Hitler gerät von vornherein extrem und vergibt damit die Chance auf eine Entwicklung. Den "Hitler in uns" zu entdecken, wie es das Programmheft noch als Ziel ausgibt, wird so kaum möglich.

Licht und Schatten also bei dieser Premiere am Freitagabend. Der Schatten überwiegt: Mit seiner Übertragung komplexer Charaktere in Politikerkarikaturen stellt sich Somuncu selbst ein Bein.

 

Hakenkreuze und Davidsterne bleiben fast vergessen

 

War noch was? Ach ja, die Hakenkreuze und Davidsterne! Im Foyer vor Vorstellungsbeginn gibt es nichts. Beim Eintritt in den Theatersaal: auch nichts. Und als das Stück anfängt, ist immer noch nichts zu sehen von fragwürdigen Armbinden oder Emblemen. Kurz vor Schluss, man hat die ganze Angelegenheit schon vergessen, rieseln plötzlich Papierschnitzel von der Decke aufs Publikum herab: zerschnippelte Hakenkreuze und Davidsterne. Was sagt uns das? Vielleicht, dass sie im Theater nicht wussten, was sie sonst damit anstellen sollen.

 

Das Stück

„Mein Kampf“ ist das wohl bekannteste Theaterstück von George Tabori. Es handelt vom jungen Adolf Hitler, der im Jahr 1910 in ein Wiener Männerasyl kommt. Er wollte eigentlich Kunst studieren, muss aber erfahren, das er durch die Aufnahmeprüfung der Wiener Kunstakademie gefallen ist. Trost erfährt er von seinem Mitbewohner SchlomoHerzl, einem Juden, der ihm rät, statt der Kunst doch Politik zu betreiben. Hitler findet an Herzls Ratschlägen zunehmend gefallen, offenbart dabei aber mehr und mehr tyrannische Züge. Bald stellt er darin sogar den größenwahnsinnigen Koch Lobkowitz in den Schatten, der sich allen Ernstes für Gott hält. Gretchen, Herzls Geliebte, zeigt sich von dem neuen Führer beeindruckt. Dabei verdankt der dem Juden Herzl sogar den Titel für sein noch zu schreibendes Manifest: „Mein Kampf“.

 

SÜDKURIER-Redakteur Johannes Bruggaier spricht über die Premiere von "Mein Kampf":

 

Johannes Bruggaier spricht über die Premiere von 'Mein Kampf' Video: Kaiser

 

Der Autor

George Tabori (1914-2007) war Sohn eines Journalisten. Nach Deutschland kam er mit 18 Jahren, er arbeitete zunächst im Berliner Hotel Adlon als Hotelboy. Nach Machtergreifung der Nazis emigrierte er 1933 zunächst nach Budapest, später nach London. Im Dritten Reich sollten seine Eltern nach Auschwitz deportiert werden. Die Mutter konnte rechtzeitig entkommen, sein Vater kam in dem Konzentrationslager ums Leben. George Tabori selbst begann in London als Journalist und Übersetzer zu arbeiten. Nach dem Krieg wurde er Drehbuchautor in Hollywood, arbeitete unter anderem für Alfred Hitchcock. 1968 kehrte er nach Deutschland zurück und brachte „Die Kannibalen“ auf die Bühne: ein Stück das schockierende Einblicke in die Zustände des Konzentrationslagers Auschwitz vermittelt. Bis zu seinem Tod 2007 setzte er sich auf deutschen Bühnen immer wieder in oft schwarz satirischer Weise mit dem Dritten Reich auseinander. (brg)