Alles schließt. Aber das Berliner Humboldtforum macht auf. Auch wenn die Türen wegen Corona noch zu bleiben. Nur digital ist seit gestern Abend das Innere des Berliner Stadtschlosses zu besichtigen. „Das Haus ist fertig“ sagt Lavinia Frey, die künstlerische Leiterin des digitalen Rundgangs gleichermaßen stolz und trotzig.
Nächstes Großprojekt
Dass nur wenige Wochen nach dem Berliner Flughafen in der Hauptstadt nun schon wieder ein Großprojekt eröffnet hat, ist die eigentliche Botschaft. Und im August geht es gerade so weiter, wenn Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie nach bis dahin fünfjähriger Sanierung tatsächlich auch wieder geöffnet wird. Deshalb wollte man auch im Humboldtforum die anstehende offizielle Eröffnung mit leibhaftigen Ehrengästen und Publikum nicht auf den Sommer verschieben. Die Corona-Hygiene-Regeln hätten das allemal gerechtfertigt.
Nein, Eröffnung ist Eröffnung. Und mit der digitalen feierlichen Inbetriebnahme, per Livestream für jedermann im Internet zu verfolgen, setzt das Humboldtforum auch gleich den ersten vielbeachteten Programmpunkt.

Vielleicht steckt in der von der Pandemie erzwungenen Notlösung vielleicht sogar ein künstlerischer Mehrwert. Statt Festreden und feierlich-steifer Schlüsselübergabe erwartet die Besucher im Homeoffice ein buntes Programm und eine Art Leistungsschau moderner digitaler Museumspräsentation. Neben dem eher konventionellen Hauptstream, in dem Kuratoren einzelne Ausstellungsstücke erklären, führt auch der Berliner Comedian Stefan Danziger auf unterhaltsame Weise durch das Haus, vom Keller bis auf das Dach hinauf mit einem Ausblick auf den gegenüberliegenden Lustgarten und das Alte Museum.
Unter dem Titel „Ick kiek schon mal rin“ gewährt er auch Einblicke in geheime, dem Publikum sonst nicht zugängliche Orte, wie zum Beispiel in den Technikkeller oder auf geheime Treppen. Er wird fiktive Fragen von Besuchern beantworten und Anekdoten der Baugeschichte zum Besten geben.
Überdies ist dem Publikum nicht nur die Rolle des passiven Besuchers zugedacht. Dieser kann selbst das Tempo des Rundgangs bestimmen und auch auswählen, was ihn besonders interessiert. Er kann sich sogar mit anderen Besuchern im Chat über das Gesehene austauschen und kritische Anmerkungen machen. Als Bonusmaterial gibt es einen filmischen Essay der Schriftstellerin und Videoaktivistin Priya Basil dazu, die das Humboldtforum aus ihrer sehr persönlichen Perspektive präsentiert.
Bewohner fehlen noch
„Das Haus ist fertig“. Da hat Lavinia Frey schon recht. Nur – es fehlen noch die meisten der künftigen musealen Bewohner, als da sind: das Ethnologische Museum aus Dahlem, das Museum für Asiatische Kunst und eine Ausstellung zur Stadtgeschichte Berlins. Es wird wohl noch über ein Jahr dauern, bis alle Exponate ihren Platz bezogen haben werden.
Einige sind schon lange da, wie etwa das weltweit einzigartige Luf-Boot aus Ozeanien, das schon vor über zwei Jahren während des Rohbaus in den Ausstellungssaal im ersten Obergeschoss gehievt werden musste, weil es sonst auf Grund seiner Größe durch keine Türe mehr gepasst hätte. Andere lassen sich Zeit, weil noch nicht alle Sicherheitsvorkehrungen montiert sind, bei wieder anderen aus dem ethnologischen Bereich herrscht noch Streit, ob die Museumsstücke ihre Heimat im Humboldtforum oder doch eher in ihren Herkunftsländern finden sollten.

Und so kommt die corona-bedingte Verschiebung der realen Eröffnung vielen Mitarbeiter nicht ganz ungelegen. Denn bei genauerem Hinsehen wird deutlich, was der virtuelle Rundgang schamhaft verschweigt: Vieles ist eben doch noch nicht fertig. Denn das Corona-Virus macht auch vor einem 677-Millionen-Projekt nicht Halt.
Zwar gab es für die Bautätigkeit trotz eines spektakulär wirkenden Brandes an der Fassade keine größeren Verzögerungen, aber unterbrochene Lieferketten und geschlossene Grenzen schoben die Fertigstellung schließlich um mehr als ein Jahr hinaus. Mal fehlten Fliesen aus Italien, mal waren es die dringend benötigten Arbeiter aus Polen und Tschechien, die in ihren Heimatländern festsaßen.
Und so zeigt sich das Berliner Humboldtforum nach siebenjähriger Bauzeit bei seiner Eröffnung als ein Gesamtkunstwerk der ganz besonderen und durchaus dialektisch-widersprüchlichen Art. Zwei der vier Außenfassaden bilden die barocke Preußenpracht des alten Schlosses nach. Die anderen beiden Seiten künden von Franco Stellas zeitgenössischer Schießscharten-Architektur, wie sie inzwischen bei jedem Hotel- oder Büroneubau in der Hauptstadt zu finden ist.
Das Innere löst aber keine dieser Erwartungshaltungen ein. Weder barocke Vergangenheit, noch avantgardistische Zukunft, sondern ein hochmodernes Museumsgebäude der Gegenwart empfängt den Besucher. Das war der Preis, für den das ehrgeizige Projekt der Schlossreproduktion gegen die Kritiker überhaupt durchsetzbar war.
Dass nun auch die Eröffnung nicht real mit Publikum, sondern virtuell im Stil einer Videoinstallation über die nicht vorhandene Bühne ging, passt unfreiwillig perfekt in dieses Spiel von Sein und Schein. Dazu gehört vielleicht auch die augenzwinkernd geübte Selbstdisziplin der Mitarbeiter im Haus: Wer zu dem Prachtbau „Schloss“ sagt und nicht „Humboldtforum“ muss einen Euro in die Kaffeekasse einzahlen.