„Guck etwas freundlicher“, „Lächle doch mal“, „Nein, nicht so künstlich“, „Lass die Augen richtig offen“, „Schau etwas zur Seite“ – so oder ähnlich lauten die Anweisungen, um ein ungestelltes Foto zu schießen. Und oft ist das Ergebnis so gezwungen, wie die Aufnahmesituation tatsächlich war. Doch manchmal sehen wir Porträts, die so intim und echt wirken, dass wir uns als unsichtbare Beobachter des Geschehens wähnen.

Der Filmemacher Iwan Schumacher hat 2013 begonnen, Fotografien von unbeachteten Paaren zu sammeln; ihn interessieren Situationen, in denen zwischen den Abgebildeten etwas geschieht. Direktor Peter Pfrunder hat Schumachers private Sammlung ergänzt mit ähnlichen Aufnahmen aus dem Archiv der Fotostiftung Schweiz und zeigt sie in der jetzigen Schau unter dem Titel „Paare / Couples“.

Viele der Fotografien stammen aus dem letzten Jahrhundert und sind heute nicht mehr denkbar. Persönlichkeitsrechte und Datenschutz schieben dem heimlichen Ablichten inzwischen einen festen Riegel vor. Die einst blühende Street-Photography ist tot.

Vielleicht hat Kurt Caviezel diese Entwicklung erahnt, als er um die Jahrtausendwende Menschen in engen Ausschnitten durch die Windschutzscheibe ihres Autos fotografierte. Die zwölf Aufnahmen aus gleicher Perspektive wirken wie eine filmische Sequenz, obwohl jedes Bild ein anderes Paar mit anderem Verhalten zeigt.

Der Filmemacher Iwan Schumacher hat Bilder von unbeachteten Paaren gesammelt. Hier ein Foto ohne Titel, Zürich 1972.
Der Filmemacher Iwan Schumacher hat Bilder von unbeachteten Paaren gesammelt. Hier ein Foto ohne Titel, Zürich 1972. | Bild: Iwan Schumacher

Wie bei Caviezel sind die Menschen auch auf den anderen Bildern ganz bei sich, wie aus dem Leben gegriffen. Wir sehen sie in unterschiedlichen Situationen und Gefühlslagen: Mal liegen sie eng umschlungen unter einem Baum, mal werfen sie sich im Streit strenge Blicke zu, mal wirken sie einsam in ihrer Zweisamkeit. Wieder andere kleben erschöpft aneinander, wie Jakob Tuggeners Bild aus dem Palace Hotel in St. Moritz zeigt. Der vielseitige Künstler, erst jüngst mit Fotografien vom Landleben in der Stiftung zu sehen, hat über Dekaden hinweg unter anderem die Ausgelassenheit von Paaren auf Bällen und rauschenden Festen festgehalten.

Prozess des Schauens

Neben Einzelbildern werden auch Fotobücher präsentiert. Es sind konzeptuelle Arbeiten, die nicht den Moment fixieren, sondern Entwicklungen aufzeigen, in denen ein Fotograf über längere Zeit Paare oder Gruppen mit der Kamera begleitet. Dadurch erwirbt er Vertrauen, wird gar Teil des Geschehens, was Aufnahmen von intimen Momenten ermöglicht. Schumacher spricht von dem „embedded photographer“, der nach einer Weile unsichtbar wird. Nan Goldins ikonisches Werk „The Ballad of Sexual Dependency“, ist eines der ausgestellten Bücher.

Emil Schulthess: Times Square, NewYork 1953.
Emil Schulthess: Times Square, NewYork 1953. | Bild: Emil Schulthess / Fotostiftung Schweiz

Pfrunder und Schumacher geht es um den Prozess des Schauens. Sie haben sich deshalb entschieden, die Bildunterschriften auf ein Minimum zu beschränken. Am liebsten hätten sie komplett darauf verzichtet, doch dem standen die Rechte der Fotografen entgegen.

Für Pfrunder lenken Legenden von der Imaginationskraft der Bilder ab. Wir kennen es aus eigener Erfahrung. Man sieht das Bild, fragt sich, was darauf zu sehen ist und wirft gleich einen Blick auf die kleine Texttafel dazu. Dort lesen wir beispielsweise „Café Rom, 1971“, schauen erneut auf das Bild und nicken bestätigend: Richtig, so sah das damals aus. Und dann gehen wir zum nächsten Exponat. Dabei haben wir vergessen, das Bild exakt zu betrachten.

Doch selbst, wenn sich der Betrachter in die Welt der dargestellten Paare versenkt und ihrer Beziehung nachspürt, gibt es ein Problem, wie Pfrunder im Pressegespräch erläutert. Es ist nämlich keineswegs so, dass das passepartourierte, gerahmte Rechteck an der Wand wie durch ein Loch in Zeit und Raum in die abgebildete Szenerie blicken lässt. Denn neben den beiden fotografierten Personen gibt es da noch den Fotografen wie auch den Kurator, der es an der Wand eines Museums platziert. All dies bestimmt den Kontext, in dem der Besucher die Fotografie rezipiert und eine soziale Situation imaginiert, in die er sich projiziert.

Jakob Tuggener: „Heimkehr nach dem Rennen“, Bern 1949.
Jakob Tuggener: „Heimkehr nach dem Rennen“, Bern 1949. | Bild: Tuggener, Jakob

Es ist dieser Aspekt der Ausstellung, der Einfluss des Kontextes auf die Rezeption, der die Brücke zur zeitgleich gezeigten Ausstellung „Bernard Voïta Melencolia“ schlägt (siehe Besprechung auf der Seite „Kultur in der Region“ vom 18. Juni). Dort ging es um die räumliche, geometrische Konstruktion von Wirklichkeit, hier um die soziale.

Mit Freude erklärt Pfrunder, dass die beiden Ausstellungen trotz dieser Gemeinsamkeit kaum unterschiedlicher sein könnten. Dort eine Monografie, hier siebzig Künstler aus wechselnden Epochen; dort fünfzehn Bilder im gleichen Format, hier eine barocke Fülle an Formaten und Stilen; dort eine minimalistische Reihung auf einheitlicher Höhe, hier 100 Aufnahmen in Petersburger Hängung; dort Konstruktion von Gegenständen, hier Menschen.

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Beide Ausstellungen strahlen das Bemühen des Kurators aus, das Wesen der Fotografie zu vermitteln. Sie konfrontieren den Betrachter mit seinem Rezeptionsverhalten. Diese Art von Kunstvermittlung tritt heute oft in den Hintergrund angesichts eines eher aktivistischen Ansatzes, alle gesellschaftlichen Gruppen, häufig Minderheiten zu repräsentieren.

Pfrunder und Schumacher sind sich der Unvollständigkeit der Auswahl bewusst, sie streben keine kulturgeschichtliche Abhandlung des Paares an, der Blick in die Tiefe ist ihnen wichtiger als der in die Breite. Es sind die Sedimente, die sich in jahrzehntelanger Sammlungstätigkeit in der Stiftung abgesetzt haben und Basis der Ausstellung sind. Wer daran interessiert ist, sollte nach Winterthur fahren.

Paare/Couples: bis 6. Oktober in der Fotostiftung Schweiz, Grüzenstrasse 45, CH–8400 Winterthur. Öffnungszeiten: Di.-So. 11-18 Uhr, Mi. 11-20 Uhr, freier Eintritt ab 17 Uhr. Informationen: www.fotostiftung.ch