Bei der Wahl zum schönsten Wort der deutschen Sprache landen ja meist so hässliche Dinger wie „Liebe“ oder „Geborgenheit“ auf den vorderen Plätzen. Das liegt daran, dass viele Befragte den Inhalt mit seiner Bezeichnung verwechseln. Liebe ist etwas Schönes, wer wollte das bestreiten. Aber wenn es darum geht, für diese schöne Sache einen ähnlich schönen Begriff zu finden, sind doch Zweifel angebracht. Dieser lang gezogene, enge I-Laut und zum Schluss das merkwürdig abrupt abfallende E: Kein Wunder, dass Opernsänger meist so etwas Ähnliches wie „Leeebä“ schmettern. Damit ihr Publikum nicht das kalte Grausen packt.
Franzosen kennen dieses Problem nicht. „Amour“ singt man ja schon, indem man es bloß ausspricht.
Musikalisch betrachtet ist unsere Sprache eben doch ein hoffnungsloser Fall. Im Ausland glauben sie ja immer, wir hätten einen Wutausbruch, sobald wir Deutsche nur den Mund aufmachen. Für ein Buchprojekt des Duden-Verlags hat ein Luxemburger Sprachwissenschaftler nach einem Tier gesucht, dass diese Wirkung verdeutlicht, und er kam, na klar, auf den Hund. Da können wir also Heine und Rilke rezitieren: Mehr als Wau und Wuff kommt nicht heraus.
Kein „Amour“ in Sicht
Wenn dem so ist, brauchen wir nach einem deutschen „Amour“ gar nicht erst zu fahnden. Schönheit liegt dann nicht in einer sanft geschwungenen melodischen Linie begründet oder einer Abfolge von klangvollen Vokalen. Nein: Sie besteht in der Härte.
Hart, sagt der Linguist aus Luxemburg, sei das Deutsche aus zwei Gründen. Erstens: die vielen Konsonanten, gerne direkt aneinander gereiht. Sie sind daran schuld, dass ein gewöhnlicher „Strumpf“ in spanischen Ohren als Bombenexplosion ankommt. Zweitens: der Knacklaut. „Ein alter Eimer“ wäre im Spanischen „Einaltereimer“. Klingt schon wieder viel lieblicher.
So ist es vielleicht kein Zufall, dass mir das schönste deutsche Wort ausgerechnet in einem besonders harten Moment einfiel: als sich gerade eine Nadel in meinen Oberarm bohrte. „Impfling!“, dachte ich plötzlich. „Ich bin ja ein Impfling!“ Und verliebte mich sogleich in dieses wunderbar deutsche Wort. Mit seinem Knacklaut, seinen sechs Konsonanten und dem zweifachen I.
Ich muss selig gelächelt haben, jedenfalls warf der Arzt einen irritierten Blick auf die leere Spritze. Aber ja doch, an so einem schönen Wort kann man sich berauschen.
„Geimpfter“ statt „Impfling“?
Die Zweifel kamen später. „Flüchtling“ soll man ja bekanntlich nicht mehr sagen, es heißt, das Suffix „-ling“ kennzeichne Herablassung, Verächtlichkeit. Wir hören seither nur noch von „Geflüchteten“. Muss ich mich also aus ethischen Gründen einen „Geimpften“ nennen? Knacklaut wäre zwar noch da, aber so ein E macht viel kaputt.
Nur ist es ja so, dass ich als Impfling bereits gelte, bevor ich die Spritze überhaupt gesehen habe. Ein Geimpfter bin ich da aber noch lange nicht. Außerdem ist das Wort so schön geschlechtsneutral, Impflinginnen gibt es nicht. Und nicht zuletzt ist Härte in Zeiten des genderbewussten Sprechens das Gebot der Stunde: Nachrichtensprecher kippen die Knacklaute inzwischen ja kübelweise über unsere Sprache aus, auf dass von ihr nur noch Hackfleisch übrig bleibe.
Deshalb will ich Impfling bleiben aus Überzeugung. Und aus Liebe zur Sprache. Auch wenn vielleicht bald gar nicht mehr geimpft wird.