Es gibt sehr gute Gründe dafür, bereits geimpften Senioren so früh wie möglich wieder mehr Freiheiten zu geben. Und junge Menschen, die sich darüber beschweren, nur mit dem ungeliebten (gleichwohl hochwertigen) Impfstoff Astrazeneca abgespeist zu werden, sollten mal nach Indien blicken: Dort fehlt es sogar an Sauerstoff für schwer Erkrankte.

Eine betagte Patientin erhält Impfstoff gegen Covid-19. Nach der Priorisierung sorgt nun die Weigerung vieler älterer Menschen, den ...
Eine betagte Patientin erhält Impfstoff gegen Covid-19. Nach der Priorisierung sorgt nun die Weigerung vieler älterer Menschen, den Impfstoff der Marke Astrazeneca anzunehmen, für Unmut bei Jüngeren. | Bild: Christoph Schmidt

Und doch, die Coronapolitik der Bundesregierung hat nach mehr als einem Jahr Pandemie einen kritischen Punkt erreicht. Auf dem Spiel steht nichts weniger als der soziale Frieden zwischen den Generationen. Und nicht so sehr die zeitlich begrenzten Ungerechtigkeiten der kommenden Monate sind dabei das Problem, sondern die Tatsache, dass sich diese absehbare Schieflage allzu bruchlos in ein Gesamtbild einfügt.

Experten wie der einstige Verfassungsrichter Paul Kirchhof warnen schon lange vor den Folgen eines demographischen Ungleichgewichts für die Demokratie. Wer wiedergewählt werden will, ist gut beraten, Mehrheiten zu beglücken. Und so hatte die Politik in den vergangenen Jahrzehnten für geburtenstarke Jahrgänge mal eine Mütterrente im Angebot, mal einen abschlagsfreien Renteneintritt mit 63 Jahren. Für Berufsanfänger dagegen gab es weniger Kündigungsschutz, verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengelds und späteren Renteneintritt – inklusive der Aufforderung, einen erheblichen Teil der Altersvorsorge doch bitte privat anzusparen.

Sogar den Kampf gegen den Klimawandel wollte die Regierung weitgehend kommenden Generationen überlassen. Das bescheinigte ihr schwarz auf weiß das Bundesverfassungsgericht.

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Nun also die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung. Von Beginn an wurden Spitzenpolitiker nicht müde, auf das Fehlen von Erfahrung im Umgang mit Pandemien zu verweisen. Man möge deshalb Verständnis haben für Fehleinschätzungen und Unsicherheiten, so hieß es. Doch bei allem Schwanken, Probieren und Hadern schien eine Gewissheit in Stein gemeißelt: Beim Impfen haben sich junge Menschen natürlich ganz hinten anzustellen!

Dabei gab es in Fachkreisen durchaus gegenteilige Einschätzungen. Wer sich ihnen öffentlich anschloss, galt als unsolidarisch: Es kann von jungen Leuten doch nicht zu viel verlangt sein, mal zurückzustecken!

Junge riskieren ihre Existenz

So riskieren zehntausende junge Unternehmer, die gerade erst ihr Café, ihren Blumenladen oder Friseursalon eröffnet hatten, aus Solidarität ihre Existenz. Millionen Kinder verabschieden sich von den Schulhöfen, Fußballplätzen und Musikvereinen in die digitale Einsamkeit. Von den Nöten freischaffender Künstler ganz zu schweigen.

Das alles ist zu bedenken, wenn junge Menschen manche vermeintlich frohe Botschaft dieser Tage nur mittelgut finden: zum Beispiel die Freigabe von Astrazeneca für alle impfwilligen Personen. Weil wählerische Patienten höherer Altersgruppen lieber auf besser beleumundete Impfstoffe warten wollten, konnten Ärzte nach eigenen Angaben zuletzt weniger impfen, als möglich gewesen wäre. Deshalb soll das wegen seiner Nebenwirkungen umstrittene Vakzin jetzt auch in jüngeren Blutkreisläufen landen. Dabei ist es genau dort zu den tödlichen Thrombosefällen überhaupt gekommen.

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Derweil verkünden Wirtschaftsexperten in einer fürs Bundeswirtschaftsministerium verfassten Studie: Angesichts der hohen Folgekosten rücke die Pandemie „ein höheres Renteneintrittsalter stärker in den Fokus“. Gingen junge Menschen nochmals zwei Jahre später in Rente – also erst mit 69 Jahren –, würde dies „die Einnahmeseite der Rentenversicherung stärken und zudem das Produktionspotenzial erhöhen“. Sollen sie halt mal wieder solidarisch sein und sich nicht so anstellen?

Die Dramatik des Infektionsgeschehens gebietet es, über manche Ungleichbehandlung hinwegzusehen. Schon bald aber wird sich Politik statt akuter Krisenbewältigung wieder um die großen Linien kümmern müssen. Sie sollte diesmal alle Generationen berücksichtigen.