„In kleinen Formaten“ mit weniger als 100 Besuchern, hatte Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) in der vergangenen Woche erklärt, könnten Kunstveranstaltungen schon ab dem 1. Juni wieder möglich sein. Bei den Kulturschaffenden in unserer Region hat diese unverhoffte Aussicht für Hoffnung, aber auch neue Ungewissheit gesorgt.

Am Theater Konstanz zum Beispiel, dessen Spielzeit vom Gemeinderat gerade erst für beendet erklärt wurde (mit Ausnahme der Münsterplatzfestspiele), sieht man nicht nur die Chance, sondern möglicherweise auch eine Verpflichtung, trotz Coronakrise den Betrieb wieder aufzunehmen – wenn auch mit einem deutlich abgespeckten Programm.

„Jetzt könnt ihr euch nicht mehr herausreden!“

„Künstler, die für uns in Vorleistung getreten sind, fordern ihr Honorar ein“, erklärt Intendant Christoph Nix auf SÜDKURIER-Anfrage. „Sie sagen: ‚Jetzt könnt ihr euch nicht mehr damit herausreden, dass eine Aufführung meines Stücks nicht möglich ist!‘“

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Auch von Theaterverlagen komme Druck. „Der Himbeerpflücker“ etwa, eine Komödie von Fritz Hochwälder aus dem Jahr 1965, hätte am 24. April Premiere feiern sollen. Der Verlag „Felix Bloch Erben“ vertritt die Rechte der Tochter des 1986 gestorbenen Autors, dessen Eltern von den Nazis umgebracht wurden. „Ich habe kein Interesse daran, dass sie ihr Honorar nicht bekommt“, sagt Nix.

Regisseure bestehen auf Realisierung

In einem Brief an die Stadt Konstanz unterstreicht Schauspieldirektor Mark Zurmühle die Bereitschaft des Hauses zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter den von der Landesministerin genannten Bedingungen wie etwa einem Richtwert von unter 100 Personen im Publikumsraum. Drei Stücke könne man zeigen, heißt es: Das bereits fertig inszenierte Stück „Wein und Brot“, das für die Spiegelhalle vorgesehene Werk „König Baabu“ sowie „Weisman und Rotgesicht“, ein jüdischer Western von George Tabori. „Die Regisseure bestehen auf einer Realisierung, die Verlage auf eine Erfüllung ihrer Verträge“, schreibt Zurmühle. „Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns Ihre Haltung mitteilen und uns in diesem Zusammenhang unterstützen könnten.“

Großer Abstand und Laptops für Interaktionen mit dem Publikum: So wie hier in Nürnberg könnte die Theaterzukunft in Zeiten von Corona ...
Großer Abstand und Laptops für Interaktionen mit dem Publikum: So wie hier in Nürnberg könnte die Theaterzukunft in Zeiten von Corona aussehen. | Bild: Andrea Hintermaier

Doch vonseiten der Stadt gibt es zurzeit noch keine Anzeichen für einen Meinungsumschwung. Bei den Äußerungen von Theresia Bauer handele es sich erst einmal nur um einen Plan. Wie sich dieser konkret in den Corona-Verordnungen niederschlage, müsse man erst abwarten, erklärt Pressesprecher Walter Rügert auf Nachfrage.

„Alle Chancen“ für Künstler?

Könnten Künstler tatsächlich allein wegen Plänen der Landesregierung einen Anspruch darauf erheben, dass ihre Stücke am Konstanzer Stadttheater gezeigt werden? Zumindest Intendant Nix sieht für sie „alle Chancen, eine Aufführung ihrer Stücke durchzusetzen – jedenfalls, soweit die Pandemie nicht wieder kehrt und wir gesundheitspolitisch auf die Dinge achten“.

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Doch unabhängig von der juristischen Einschätzung geht es auch um die politische Dimension. „Wir befinden uns im Prozess der politischen Willensbildung“, sagt Nix. „Und da muss die Stadt erklären: Geht es ihr mit der Kurzarbeitsregelung für ihre Kultureinrichtungen um notwendigen Infektionsschutz oder darum, nur Geld zu sparen? Die Kunstfreiheit endet in Konstanz derzeit an der Bürotür des Kämmerers, und dafür ist das Grundgesetz nicht geschrieben.“

Ernüchterung nach Freude

Ungewissheit prägt auch das Stimmungsbild an den kleinen Häusern in unserer Region. Beim privat geführten „Noltes Theater“ in Überlingen ist die anfängliche Freude über die anstehenden Lockerungen einer Ernüchterung gewichen. Die erforderlichen technischen Rahmenbedingungen dürften deutlich anspruchsvoller ausfallen als gedacht, erklärt Theaterchef Oliver Nolte: „Die Rede ist zum Beispiel von speziellen Ticketing-Systemen.“ Sollte das so kommen, könne man eine Öffnung im Juni vergessen. „Wir werden wegen der Abstandsregeln ohnehin schon ein deutlich reduziertes Publikumsaufkommen mit entsprechend geringeren Einnahmen haben. Zusätzliche Investitionen können wir uns da einfach nicht leisten.“

Ein Blick in den Zuschauerraum des Noltes Theaters vor drei Monaten: So dicht gedrängt wie hier dürfte es vorerst nicht mehr zugehen.
Ein Blick in den Zuschauerraum des Noltes Theaters vor drei Monaten: So dicht gedrängt wie hier dürfte es vorerst nicht mehr zugehen. | Bild: Sylvia Floetemeyer

Nolte will den Sommer stattdessen nutzen, um nach alternativen Theaterformen zu suchen. Virtuelle und kostenpflichte Angebote, die über das zurzeit vielerorts praktizierte Abfilmen von Inszenierungen hinausgehen: „Im Internet kann Theater nur funktionieren, wenn es auch Raum für Interaktion gibt. Was da möglich ist, wollen wir mit unseren Besuchern in ein paar Experimenten erforschen.“

Lesung zu Otto Dix

Wirkliche Zuversicht ist nur an der Singener Färbe zu spüren. „Ja, wir werden kurzfristig reagieren“, erklärt Dramaturgin Cornelia Hentschel. Voraussichtlich schon am 5. Juni werde es eine Lesung von drei Schauspielern zum Thema Otto Dix geben. „Die Veranstaltung war eigentlich für den März vorgesehen, aber dann kam es ja anders.“

Die Färbe in Singen: Hier wird vielleicht bald schon wieder gespielt.
Die Färbe in Singen: Hier wird vielleicht bald schon wieder gespielt. | Bild: Tesche, Sabine

Auch ein musikalisch-literarisches Kabarettprogramm sei schon in der Planung. Je nach Wetterlage könne es auch im Freien stattfinden, wo die Infektionsgefahr bekanntlich deutlich geringer ausfällt.

Und die Anforderungen der Landesregierung? Stellen sie kein Problem dar? Nun ja, sagt Hentschel: „Schon allein, dass wir mit gerade mal ein Viertel unserer gewohnten Zuschauerzahl rechnen müssen, bedeutet aus rein wirtschaftlicher Sicht eine Katastrophe. Aber es hilft ja nichts, irgendwie muss man ja wieder anfangen!“