Steffen Rüth

Auch die Kaltenberger Rittertage werden natürlich nicht stattfinden. Das ursprünglich für den 8. bis 10. Juli auf Schloss Kaltenberg unweit des Ammersees geplante traditionsreiche Mittelalterfest fällt dem Coronavirus-Großveranstaltungsverbot, das bundesweit bis mindestens 31. August gilt, ebenso zum Opfer wie alle anderen Festivals und Konzerte auch. Kein Wacken. Kein Rock am Ring. Kein Southside. Kein Tollwood. Kein Haldern Pop. Kein gar nichts.

„Es war ein Riesenschock“

„Für uns ist die Absage sämtlicher Konzerte absolut existenzbedrohend“, sagt Castus, der Sänger der Berliner Mittelalter-Rockband Corvus Corax, die europaweit zwischen Ende April und Ende August 24 Auftritte geplant hatte und bei den Rittertagen eine der Hauptattraktionen gewesen wäre. „Die Entscheidung, dass bis Ende August definitiv gar nichts passiert, war ein Riesenschock. Ich hätte heulen können wie ein Schlosshund.“

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Corvus Corax gibt es seit 1989, die Band finanziert sich so gut wie ausschließlich durch die Sommershows, im Winter arbeiten die Musiker an neuen Stücken und leben von den Rücklagen. „Wir werden in diesem Jahr höchstwahrscheinlich gar kein Geld verdienen“, so Castus. „Wir stehen vor dem Nichts.“ Die in Berlin gewährte Soforthilfe – 5000 Euro pro Mitglied, 9000 Euro für die Band als solche – reiche weder vorne noch hinten, erst recht nicht mit Familie.

„Wir stehen vor dem Nichts“: Die Gruppe Corvus Corax.
„Wir stehen vor dem Nichts“: Die Gruppe Corvus Corax. | Bild: Christian Ermel

Nicht ganz so dramatisch stellt Laith Al-Deen seine Lage dar. Der Mannheimer Popsänger ist seit zwanzig Jahren mit seinen gefälligen, radiofreundlichen Songs ordentlich im Geschäft. „Mein Puffer hält nicht ewig und ich habe definitiv nicht ausgesorgt“, so der 48-Jährige, „doch noch bin ich einigermaßen guter Dinge.“ Al-Deen musste seine Frühjahrstournee zunächst mal in den Herbst verschieben, an dem seit Monaten geplanten Veröffentlichungstermin seines neuen Albums „Kein Tag Umsonst“ hält er vorerst wacker fest. „Der 22. Mai ist mein Polarstern.“

„Dann müssen sie die Segel streichen“

Viel stärker als um sich selbst sorgt er sich um den „ganzen Apparat“, etwa um die Techniker, Beleuchter, Bühnenhelfer, Sicherheitsleute, Merchandise-Verkäufer. Und um die Konzertagenturen und -veranstalter, gerade die kleinen. „Viele Veranstalter haben nur eine Location. Die schaffen das vielleicht drei Monate, dann müssen sie die Segel streichen.“ Oder sie würden von den großen, börsennotierten Konzernen wie CTS Eventim, Live Nation oder DEAG geschluckt, die zwar auch zu knabbern haben, aber über ganz andere Finanzierungsmöglichkeiten verfügen.

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Marc Oßwald ist Geschäftsführer von „Vaddi Concerts“ in Freiburg und bis vor kurzem Chef des dortigen Zeltmusikfestivals (ZMF). Zum Programm des Veranstalters gehört unter anderem das Hohentwielfestival in Singen. „Für unsere gesamte Branche wird die Situation von Tag zu Tag dramatischer“, sagt er. „Keiner von uns hat seit Anfang März noch etwas eingenommen. Und dass sich die Situation auf absehbare Zeit ändert, ist nicht realistisch.“ Sich Haut an Haut vor der Bühne zu tummeln, sei gerade schwierig, das Abstandsgebot ist sicher nicht für Rock- und Pop-Shows gemacht. „Niemand kauft momentan Karten, und kein Veranstalter hält die Situation endlos durch.“

Marc Oßwald vom Veranstalter Vaddi Concerts.
Marc Oßwald vom Veranstalter Vaddi Concerts. | Bild: Sylvia Floetemeyer

Die gesetzliche Regelung, nach der die Veranstalter bis Ende 2021 gültige Gutscheine offerieren können, statt das Geld für die gekauften Tickets zurückzahlen zu müssen, hält er für einen „Baustein, der unserer Branche hilft“. Noch schneller gehe den Kunsttreibenden selbst die Luft aus, so Oßwald. „Ich kenne jede Menge dieser Solo-Selbständigen, die sagen ‚Ich muss mir einen Job als Fahrer bei einem Paketdienst suchen, weil ich nicht mehr weiß, woher die Kohle kommen soll.“

Neues Album in der Krise

Oder man kehrt in den ursprünglichen Beruf zurück. Die Berliner Liedermacherin Dota Kehr (40) ist studierte Medizinerin, hat jedoch nie als Ärztin gearbeitet. „Als es in Berlin die Aufforderung an die medizinisch vorgebildete Bevölkerung gab, sich zu melden, habe ich das gemacht.“ Bisher sei aber noch keine Rückmeldung gekommen. Mitten in der Corona-Krise hat Dota Anfang April ihr neues Album „Kaléko“ veröffentlicht, trotz allem. Oder gerade deshalb? „Viele Leute haben jetzt sehr viel Zeit“, weiß Dota. „Da sind hundert Jahre alte, vertonte Gedichte eine möglicherweise schöne Alternative.“

Sängerin Dota Kehr bei einem Auftritt im Konstanzer Kulturladen vor zwei Jahren.
Sängerin Dota Kehr bei einem Auftritt im Konstanzer Kulturladen vor zwei Jahren. | Bild: Susanne Ebner

Dota Kehr ist eine Ausnahme. Seit Wochen schon kommen kaum noch neue Tonträger auf den Markt. Vor allem die Superstars ducken sich weg. Vom sonst branchenüblichen Getöse rund um neue Songs und Alben ist kaum noch etwas zu spüren, geplante Veröffentlichungen werden quer durch alle Genres gestrichen. Neue Alben von Superstars wie Lady Gaga, Sam Smith, den Dixie Chicks, Alanis Morissette, Alicia Keys, Bon Jovi oder den Killers – sie allesamt und noch viele weitere sollen nun erst später im Jahr kommen. In der Hoffnung, dass das coronatechnisch Gröbste dann überstanden ist.

Tonträgergeschäft zerstört

Warum gerade die Topstars reihenweise ihre oft längst fertigen Produkte verschieben? Ohne Tournee lohnt sich das Geschäft in aller Regel nicht. Platten sind meist nur noch eine Art Zugabe, seitdem Musik überwiegend als Stream und nicht mehr in der klassischen Form als CD oder LP konsumiert wird.

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„Bis vor gut zehn Jahren konnte man vom Tonträgerverkauf leben“, sagt Dota Kehr. „Damit rechnet heute erst gar keiner mehr. Spotify, Apple und die übrigen Streaming-Anbieter haben das Geschäft mit Tonträgern praktisch zerstört. Als Folge davon sind jetzt alle krass vom Livespielen abhängig.“ Grob überschlagen: Wird ein Song auf Spotify eine Million Mal angehört, verdient der Künstler daran 1000 Euro. Reich werden so die Wenigsten

Irgendwie kreativ bleiben

„Online ist im Moment die einzige Möglichkeit, sich überhaupt zu präsentieren und wahrgenommen zu werden“, sagt Vincent Waizenegger, Sänger der Indie-Pop-Band Provinz aus Ravensburg. „Social Media ist wichtig, um nicht in Vergessenheit zu geraten.“ Vor zwei Monaten noch galt die Band als neues großes Ding im deutschen Indie-Pop, quasi als die neuen AnnenMayKantereit. Das Album „Wir bauten uns Amerika“ sollte im April bei einem großen Musikmulti erscheinen (ist nun für den August geplant), und der Konzertkalender war gut gefüllt. „Wir waren voller Euphorie und hatten große Erwartungen“, so Vincent. „Jetzt ist alles weggebrochen.“

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Allen Nöten zum Trotz mit einer Portion Zuversicht nach vorne zu schauen und kreativ zu bleiben, hat sich auch Sänger Castus von Corvus Corax vorgenommen. Er liest jetzt online aus dem „Dekameron“ vor und hofft, mit einem Podcast ein bisschen Geld zu verdienen. In dem berühmten Klassiker von Boccaccio erzählen sich zehn Menschen zu Zeiten der Pest von Florenz gegenseitig wunderbar lebenspralle und wollüstige Geschichten. Am Ende der Epidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts waren 25 Millionen Tote zu beklagen, ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas. Aber für die Überlebenden begannen bald darauf bessere Zeiten.