Sebastian Moll

Frau Hustvedt, wie verbringen Sie Ihre Tage in der Quarantäne?

Paul und ich arbeiten ohnehin beide zuhause, insofern hat sich für uns nicht viel geändert. Das Einzige ist, dass wir unsere Tochter und unseren Schwiegersohn nicht gesehen haben, die nur einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Seite des East River leben. Aber wenn ich sehe, was andere Leute durchmachen, geht es uns doch sehr gut.

Die Lage in New York hat sich in den vergangenen Tagen extrem zugespitzt. New York ist jetzt das Epizentrum der Pandemie.

Ja, die Stadt ist jetzt in einem Belagerungszustand. Sie bauen improvisierte Leichenhallen und bewahren die Toten in Kühlwaggons auf. Die Lage ist hier jetzt sehr ernst.

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Es scheint so, als wolle Trump New York besonders bestrafen, in dem er der Stadt Hilfsleistungen verweigert. Warum hasst er New York so sehr?

Er weiß, dass man ihn in New York nicht mag, obwohl er hier aufgewachsen ist. Donald Trump ist nie von der New Yorker Elite akzeptiert worden, er wurde stets als vulgär angesehen. Das hat ihn sehr geprägt und auch seine anti-elitäre, anti-intellektuelle Einstellung, die ihn für seine Basis so attraktiv macht.

Haben Sie erwartet, dass sich die Situation so dramatisch zuspitzt?

Ich habe von Anfang an die Nachrichten aus China verfolgt und habe mich dann ein wenig mit der Virologie beschäftigt. Mir ist schnell klar geworden, dass Pandemien ein enormes Risiko in unserer heutigen Welt sind. Es gibt eine ernst zu nehmende wissenschaftliche Meinung, die besagt, dass die Abholzung unserer Wälder und der Klimawandel für Pandemien günstige Bedingungen geschaffen haben. Viren können von Spezies zu Spezies migrieren und wenn die Biodiversität schwindet, wird die Wahrscheinlichkeit höher, dass das passiert. Wir leben heute in einer Welt, die viel kleiner geworden ist, als wir uns das je vorgestellt haben, und alles hat Auswirkungen auf alles andere.

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Trump scheint zu glauben, dass er das Problem lösen kann, indem er Grenzen schließt.

Das Virus ist ja eine sehr alte Metapher in der Politik und steht meist für das Andere, das Fremde, das droht uns zu überrollen, zu infiltrieren. Trump verwendet diese Metapher, seit er in der Politik ist. Jetzt versucht er irgendwie einen wirklichen Virus mit der Metapher zu verschmelzen. Doch leider halten sich Viren nicht gerne an Grenzen. Die Viren sind in uns, wir können ohne sie gar nicht überleben. Wenn man über Mikrobiologie redet, wird das Konstrukt „Wir gegen das Andere“ völlig absurd. Wir sind symbiotische Kreaturen.

Trump konstruiert die Epidemie als eine Invasion.

Er hat ja schon im Wahlkampf im Jahr 2015 von ansteckenden Krankheiten gesprochen, die über die Grenze zu Mexiko kommen Natürlich hat er damit die Menschen gemeint, die aus Mexiko kommen. Er hat Krankheits-Metaphern benutzt, Überflutungs-Metaphern. Und natürlich haben die Nazis auch schon die Juden als Bazillen bezeichnet. Diese Metaphorik ist universell, Trump hat das nicht erfunden. Es geht dabei um Vorstellungen von Reinheit. Deshalb glaube ich auch, dass es so wichtig ist, zu verstehen, dass es in der Biologie keine scharfen Grenzen gibt, dass die Dinge sich vermischen und in Wechselwirkung stehen.

Sie haben viel über Donald Trumps Angst vor der Auflösung der Körpergrenzen gesprochen, seine Phobie vor Körperflüssigkeiten und vor dem Weiblichen. Für ihn müsste ja diese Epidemie eigentlich der GAU sein.

Ja, er hasst Bakterien. Es kann sein, dass ihn das vor dem Virus gerettet hat, er wäscht sich ja ständig die Hände und zwingt Leute dazu, sich die Hände zu waschen, bevor sie in das Oval Office treten. Er hat Angst davor, kontaminiert zu werden. Dieses Virus, das wahre, nicht das metaphorische, bringt ihn völlig durcheinander.

Siri Hustvedt bei ihrer Auszeichnung mit dem Prinzessin-von-Asturien-Preis 2019.
Siri Hustvedt bei ihrer Auszeichnung mit dem Prinzessin-von-Asturien-Preis 2019. | Bild: Damián Arienza

Stammt Trumps Unbeholfenheit in der Reaktion auf das Virus daher, dass er die Metapher und die Realität nicht unterscheiden kann?

Was für ihn wichtig ist, ist nie, was tatsächlich passiert. Für ihn zählt nur, wie er die Realität so manipulieren kann, dass sie seinen Anhängern gefällt. Wenn ihm das gelingt, dann fühlt er sich beruhigt. Fraglich bleibt hingegen, ob er tatsächlich in irgendeiner Form Angst vor diesem Virus hat, außer als potenzielles politisches Problem. Er begreift das Virus nur im Sinne seiner selbst. Er ist ein Psychopath. Das heißt, wir haben in den USA jetzt eine doppelte Pathologie. Wir haben das Pathogen, das durchs Land zieht. Und wir haben die psychiatrische Behinderung des Präsidenten.

Wie fühlt es sich an, dass nun als Amerikanerin Ihr Schicksal, vielleicht Ihr Leben von einem Psychopathen abhängt?

Es ist beunruhigend. Donald Trump ist ein extremer Narzisst, er hat überhaupt keinen Begriff von irgendeiner anderen Person außerhalb seiner selbst. Außerdem hat er die Regierung komplett ausgehöhlt.

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Dieser Prozess hat aber schon lange vor Trump begonnen. Das System ist schon vor 15 Jahren, angesichts von Hurricane Katrina kollabiert.

Das hat in der Tat schon mit Ronald Reagan angefangen. Es ist das republikanische Credo, dass es umso besser ist, desto kleiner die Regierung. Jeder Mann kämpft für sich selbst (und ich sage hier bewusst Mann). Da fehlt jegliches Verständnis von kollektiver Interdependenz. Das Virus stellt jetzt diese Ideologie infrage. Ich kann natürlich nicht vorhersagen, welche politischen Nachwirkungen das Virus haben wird. Wir wissen nicht, ob Trump es schafft, die Krise in eine nativistisch-populistische Erzählung zu verwandeln. Aber ich denke, dass es ihm schwerfallen wird, das Virus zu erklären, wenn es sich weiter im Land ausbreitet und in den sogenannten roten, also republikanischen Staaten ankommt.

Man hat den Eindruck, als würde in dieser Krise das politische System in den USA völlig versagen. Die Leute sind auf sich gestellt.

Ja, die lokalen und regionalen Politiker müssen irgendwie schauen, wie sie klar kommen und wir müssen uns auf sie verlassen. Manchmal gibt es Vorsteher in Landkreisen, die mit ihrem Gouverneur streiten, weil der Republikaner ist und nicht daran glaubt, dass das Virus gefährlich ist. Diese Krise legt alle Schwächen des amerikanischen Systems bloß.

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Welche zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass so viel Macht in den Händen der Einzelstaaten liegt. Uns New Yorkern kommt das natürlich im Moment zugute, weil Donald Trump nicht über New York bestimmen kann. Und unser Gouverneur ist ein seröser, vernünftiger Mann. Aber es ist eine Katastrophe, dass Amerika die Institutionen der Bundesregierung abgebaut hat. Das rächt sich jetzt bitter. Hinzu kommt ein Gesundheitssystem, dass vollkommen kaputt ist.

Die Regierung hat angesichts der Corona-Krise vollkommen versagt. Trotzdem bekommt Trump in den Umfragen für seine Handhabung der Krise eher gute Noten.

Ich kann mir das auch nicht erklären. Ich schaue mir Trump an und kann nur einen Narren erkennen. Er weiß nichts, er benutzt jede Gelegenheit, um sich selbst zu loben, er widert mich an. Ich frage mich immer – was sehen die Leute bloß in ihm? Was ist an ihm denn attraktiv?

Haben Sie eine Theorie?

Kant sagt in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung“, dass die Menschen sich eine starke Vaterfigur wünschen, eine, die ihnen erklärt, wo es lang geht. Dieser Wunsch nach einem Führer war im Laufe der Geschichte immer der Kern von autoritären Bewegungen.