Es soll ja Bewegungen geben, in denen man seinen eigenen Namen tanzt. Aber ein ganzes Ballett über eine religiöse Bewegung zu entwerfen, scheint dann doch eher abwegig. Zumal die Shaker – um diese amerikanische Freikirche geht es hier – selbst zu ihren besten Zeiten Mitte des 19. Jahrhunderts nur 6000 Mitglieder erreichte. Dennoch hat sich die finnische Tero Saarinen Company für ihren Abend „Borrowed Light“ von den Shakern inspirieren lassen.
Überraschend modern
Das hängt damit zusammen, dass viele Prinzipien der Bewegung aus heutiger Sicht überraschend modern wirken: Die Shaker lebten Geschlechter-Gerechtigkeit und Pazifismus. Außerdem galten sie als offen für technischen Fortschritt und Innovationen, prägten einen eigenen, minimalistischen Design- und Architekturstil aus, waren wirtschaftlich erfolgreich, lebten aber gleichwohl in Kommunen ohne Privateigentum. Die Bezeichnung „Shaker“ rührt von den Schütteltänzen, mit denen sie sich in ihren Gottesdiensten in Ekstase tanzten – allein das ist ja eine Steilvorlage für jeden Choreografen.
Gegenentwurf zu unserer reizüberfluteten Gegenwart
Trotzdem möchte Tero Saarinen seine Choreografie nicht als Stück speziell über die Shaker verstanden wissen, sondern als eines über Gemeinschaft und Hingabe allgemein. Wie auch immer: Wer „Borrowed Light“ während der Bregenzer Festspiele erlebte, verstand, warum das bereits 20 Jahre alte Stück noch immer so erfolgreich ist.
Gerade in Verbindung mit der Musik, die aus nichts anderem besteht, als den schlichten, einstimmigen Gesängen der Shaker (Boston Camerata), entfaltet sich hier eine Welt, die sich in ihrer Reduktion wohltuend von unserer reizüberfluteten Gegenwart abhebt.
Bodenständig und doch spirituell
Die Bühne ist schmucklos und dunkel, Licht fällt wie durch das kleine Fenster eines alten Kirchengebäudes nur indirekt auf die Tanzfläche (daher der Titel „Borrowed Light“ – eine Spezialität der Shaker-Architektur), auf der sich auch die acht Sängerinnen und Sänger bewegen (Bühne und Licht: Mikki Kunttu).
Alle tragen lange, schwarze Röcke (Kostüme: Erika Turunen), das Schuhwerk ist schwer und robust, einer harten Arbeitswelt angemessen, die Tanzschritte oft breitbeinig und stampfend. Und doch gibt es da diese Verbindung aus Erdung und Spiritualität, aus Bodenständigkeit und Ekstase, die eine ganz besondere Faszination ausübt.
Reine Vokalmusik
Dasselbe gilt für die Musik, die völlig ohne Instrumentalbegleitung auskommt. Die Gesänge, die teils solistisch, teils in Gruppen vorgetragen werden (Musikalische Leitung: Anne Azéma), haben einerseits folkloristischen Charakter, wirken in ihrer modalen Tonalität dann aber auch wieder wie ein religiöser Rückgriff auf spätmittelalterliche Melodik. Im letzten Viertel des Abends wird der Raum durch hinzugefügten Hall zusätzlich ins Sakrale geweitet (Klangregie: Heikki Iso-Ahola) – was für diese minimalistische Kunst nicht einmal nötig gewesen wäre.
Am 30./31. Juli zeigt die Tero Saarinen Company mit „Study for Life“ eine weitere Choreografie, diesmal zur Musik von Kaija Saariaho. www.bregenzerfestspiele.com