Herr Niedecken, Gemeinsam mit Hans-Timm „Timsen“ Hinrichsen von Santiano haben Sie die ältere BAP-Nummer „Aff un to“ neu aufgenommen – auf Kölsch und Plattdeutsch. Wie kam es dazu?

Wolfgang Niedecken: Ich fand die Idee toll, ein Album mit lauter Kollegen zu machen, die noch Mundart sprechen. Ich darf noch nicht verraten, wer alles dabei ist, aber was ich bis jetzt weiß, ist großartig. Das ist ein Projekt mit Herzblut. Die Dialekte sterben ja leider aus. Timsen ist so mit Plattdeutsch aufgewachsen wie ich mit Kölsch. Ich musste im Alter von sechs Jahren meine erste Fremdsprache lernen, das war Hochdeutsch.

Was können Dialekte und Regionalsprachen, was die Hochsprache nicht kann?

Niedecken: Ich möchte niemandem zu nahe treten, der nur mit Hochdeutsch aufgewachsen ist, da hat sich ja im Lauf meiner Lebenszeit auch viel dran geändert. Aber ich habe ganz automatisch meinen ersten Song auf Kölsch geschrieben, weil ich mich so am besten ausdrücken konnte.

Zu Ihren Live-Auftritten kommen mittlerweile drei Generationen. Junge Konzertbesucher wissen vielleicht nicht, in welchem kulturellen Klima die großen BAP-Hits entstanden sind. Werden Sie es Ihnen erklären?

Niedecken: Man darf nicht anfangen, ein Konzert mit einer Vorlesung zu verwechseln. Ich glaube, ich vermittele das Zeitgefühl von damals schon, indem ich Anekdoten erzähle. Zum Beispiel, wie wir 1980 bei der Gegenbuch-Messe in Frankfurt gespielt haben. Nachdem wir unseren ganzen Kram in die erste Etage geschleppt hatten, meinte einer dieser gutmeinenden Hippies zu uns: „Ein Kofferverstärker hätte es ja wohl auch getan“. Wie dieser Satz zu einem Stück wie „Müsli-Män“ führt, ist schon irre.

Bap-Auftritt im Jahr 1979: „Ich glaube, ich vermittele das Zeitgefühl von damals schon, indem ich Anekdoten erzähle“, sagt Wolfgang ...
Bap-Auftritt im Jahr 1979: „Ich glaube, ich vermittele das Zeitgefühl von damals schon, indem ich Anekdoten erzähle“, sagt Wolfgang Niedecken. | Bild: -

Welche „Gegenbücher“ hat man damals gelesen?

Niedecken: Das waren all die alternativen Bücher, die bewusst in alternativen Verlagen publiziert wurden oder keinen Verleger fanden, weil sie nicht kommerziell genug waren. Damals gab es in Universitätsstädten ohne Ende linke Buchläden.

Ein Vertreter unseres ersten Plattenlabels Eigelstein lief immer mit seinem Musterkoffer durch diese Läden und versuchte, zehn von unseren Alben in Kommission dazulassen. Das war aber nicht genug Vertrieb für uns, denn wir merkten, wir schmoren im eigenen Saft. Da Eigelstein aber nicht in einen ordentlichen Vertrieb gehen wollte, mussten wir uns schweren Herzens von ihnen trennen.

Sie sind dann zur EMI gegangen. Die sorgte dafür, dass kritische Lieder wie „Zehnter Juni“ eine große Verbreitung fanden. Sie schrieben es 1982 nach der gigantischen Friedensdemonstration in Bonn-Beuel gegen den Nato-Doppelbeschluss. Hat der Refrain „Plant mich bloß nit bei üch en“ heute noch Gültigkeit?

Niedecken: Ja. Bei dem Song erzähle ich dem Publikum von einem Interview, dass ich einem Ihrer Kollegen aus Frankfurt gegeben habe, anlässlich des 40. Jahrestags dieser Demonstration. Am Schluss fragte er mich: „Würdest du ‚Zehnter Juni‘ irgendwann noch einmal spielen?“ Und ich sagte: „Kommt drauf an, wie die politischen Voraussetzungen gerade sind. Dann kann das Stück schon wieder Sinn machen.“ Kurz danach kündigte Putin seine „Teilmobilmachung“ an. Er verschleiert ja schon in der Begrifflichkeit alles.

Viele junge russische Männer haben sich daraufhin ins Ausland abgesetzt. Ich musste mich eigentlich nur in einen dieser Deserteure versetzen, und dann stimmte „Zehnter Juni“ wieder komplett, jedes einzelne Wort. Es ist gut für einen Song, wenn er auch mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird. Er würde sonst zu eindimensional. Bei „Verdamp lang her“ etwa denken die Leute bestimmt nicht daran, dass ich da am Grab meines Vaters stehe. Die denken eher an alles mögliche, was bei ihnen lange her ist. Und das ist auch gut so.

Zur Person

US-Präsident Trump verlangt von Nato-Partnern fünf Prozent Verteidigungshaushalt. Was denken Sie angesichts der massiven Investitionen ins Militärische?

Niedecken: Dieser Satz ist wie vom orientalischen Markt. Trump denkt nicht im Traum daran, dass das tatsächlich funktioniert. Er macht, wie immer auf dicke Hose, wo leider viele drauf reinfallen. Ein Großteil der Leute will auch keine ausgearbeiteten politischen Artikel lesen, sondern lieber Schlagzeilen, am besten auf TikTok. Sie denken, daraus könnten sie sich ihre Meinung bilden.

Ich bin mit Qualitätsjournalismus aufgewachsen, ich will Bescheid wissen. Das wollen aber immer weniger Menschen. Unfassbar, was in den sozialen Medien mittlerweile an Werbung von der AfD geschaltet wird. Ich will den Scheiß gar nicht sehen, aber es taucht immer wieder auf.

Es ist ganz wichtig, dass alle Leute wissen, was parteipolitisch passiert, damit sie nicht an einer Stelle ihr Kreuzchen machen, an der ihre Interessen überhaupt nicht vertreten werden. Manipulation ist Tür und Tor geöffnet. Und jetzt auch noch mit Elon Musik, der ja auf diesem Medium sitzt. Der absolute Horror!

Wolfgang Niedecken bei einem Auftritt im Jahr 2023.
Wolfgang Niedecken bei einem Auftritt im Jahr 2023. | Bild: Oliver Berg

Zurück zu meiner Frage.

Niedecken: Ich finde, die Bundeswehr und die Nato müssen wehrtütig gemacht werden. Damit ist in den vergangenen Jahren geschlampt worden, auch in meinem Namen übrigens. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Bedrohung aus dem Osten noch einmal so stark wird. Wir dürfen aber nicht auf den linken und rechten Rand reinfallen. Überall lauern Populisten, denen traue ich nicht.

Wie bewahren Sie sich in diesen chaotischen Zeiten den Optimismus?

Niedecken: Wenn wir die Empathie verlieren, ist alles zu spät. Gottseidank können viele noch Empathie aufbringen. Lieder handeln ja von Gefühlen. Man darf da nicht zu wissenschaftlich werden. Am Tag des fünften Auftritts der „Zeitreise“-Tour ist die Wahl in den USA schiefgegangen.

Ich habe wirklich überlegt, ob ich dazu in Reutlingen von der Bühne aus Stellung nehme. Habe es dann lieber sein gelassen, weil diese Zeitreise in die Anfangsjahre von BAP zurückgeht. Es wäre nicht gut gewesen, an einer Stelle darauf hinzuweisen, dass momentan alles aus dem Ruder läuft. Wenn man sich das ganze Programm aufmerksam anhört, kommt man aber schon dahinter, wie ich das alles finde.

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Bob Dylan wird dieses Jahre 84, Mick Jagger 82 und Bruce Springsteen 76. Warum können die Granden sich nicht zur Ruhe setzen? Werden sie von den Geistern der Kunst getrieben?

Niedecken: Das ist bei jedem anders. Bei Dylan ist es eine Lebensform. Er muss unterwegs sein und lebt in einem wunderbaren Tourbus mit allem Komfort. Er geht erst gar nicht in die Garderobe vor einem Auftritt. Weiß der Teufel, was in seinem Privatleben läuft. Mir schwant, dass es nicht allzu glücklich verlaufen ist.

Und Bruce will auch live spielen. Er macht es gut, aber ich habe das Gefühl, dass es ein bisschen extra-jugendlich wirken will. Die Ansage, dass er der Letzte aus seiner Schülerband sei, der noch lebe, ist mir allerdings sehr nahegegangen. Da steht einer zu seinem Alter, ich mag keine Berufsjugendlichen.

Und Jagger ist Asket und Athlet in einer Person. Ich hoffe, dass die anderen beiden Herrschaften auch Spaß haben. Ich bin ihnen zwar mal begegnet, kann aber nicht behaupten, sie zu kennen. Ich hoffe, dass sie rechtzeitig den Punkt finden aufzuhören, bevor sie zu Johannes Heesters des Rock‘n‘Rolls werden.

Am 19. und 23. Juli kommt Wolfgang Niedecken mit seiner Band Bap in unsere Region. Der erste Auftritt findet im Rahmen des Lörracher Stimmen-Festivals statt (19 Uhr), der zweite ist beim Hohentwiel-Festival in Singen (18.30 Uhr). Tickets unter: www.suedkurier.reservix.de