Es ist ein Ritual, das offenbar alle halbe Stunde lustig ist. Menschen, die bei Heavy-Metal-Festivals wie dem Wacken Open Air mit nackten Oberkörpern oder schwarzen Shirts vor ihren Zelten sitzen, „Slääär“ rufen und ihre Bierdose auf einen ständig wachsenden Haufen aus Dosen und Plastikflaschen werfen.
Auf zur nächsten Bierdose
„Slääär“, das muss man außerhalb von Heavy-Metal-Kreisen erklären, ist doppeldeutig. Zum einen eine Huldigung an die kalifornische Extrem-Metal-Band Slayer, die bei ihren Auftritten jahrzehntelang mit diesem langgezogenen Gruß empfangen wurde. Zum anderen eine simple Feststellung: „Ist leer.“ Und auf zur nächsten Bierdose. Oder zum Mixgetränk, aufgefüllt mit Cola oder Limo aus der Plastikflasche. Die landet dann auch auf dem großen Haufen: Släär. Leer sind irgendwann auch die fast schon sprichwörtlichen Ravioli-Dosen, die Frikadellen aus der Kunststoffschale und die Dose mit dem Kartoffelsalat.
Nach einem fünftägigen Festival sieht der Rasen auf den Festivalgeländen in Schleswig-Holstein (Wacken), Mecklenburg-Vorpommern (Fusion) oder Rheinland-Pfalz (Rock am Ring) dann vielerorts so aus wie auf Bildern von illegalen Deponien in Indonesien, also bedeckt mit Verpackungsmüll, Dosen und Plastikflaschen. Lkw-Ladungen voller Abfälle werden kurz darauf weggefahren. Und das, obwohl sich Pfandsammler zuvor schon reichlich bedient haben. Die Stars unter ihnen sammeln bis zu 20.000 Euro ein.
Fast acht Kilo Abfall pro Person
Dabei behaupten Lobbyisten, das Müllaufkommen sei auf Festivals nicht signifikant höher als im Alltag, er sei nur sichtbarer. Dass das nicht stimmen kann, dürfte jeder bestätigen, der schon einmal selbst auf einem Open-Air war. Zumal man zu Hause längst nicht so viel isst und trinkt wie beim Feiern – auf die 400.000 Liter Bier, die pro Wacken-Open-Air auf dem Gelände verkauft werden, dürfte noch mal die doppelte Menge an alkoholischen Getränken kommen, die auf den Zeltplätzen weggetrunken wird.
So blieben schon 2019 nach dem „Wacken Open Air“ 590 Tonnen Abfall zurück, 7,87 Kilogramm pro Person, auch für „Rock im Park“ wurden 4,14 Kilo pro Besucher errechnet. In Wacken sind es mittlerweile 700 Tonnen – und das, obwohl die Veranstalter sich mittlerweile ernsthaft bemühen, die Müllflut einzudämmen.

Wacken mag als größtes Heavy-Metal-Festival der Welt mit seiner traditionell trinkfreudigen Klientel eine besonders hohe Müll-Quote haben. Löblich ist indes, dass man im hohen Norden transparent mit den Problemen umgeht. Das ist in der Branche eher die Ausnahme.
Viele Festivalveranstalter geben sich wortkarg, wenn das Thema auf die Hinterlassenschaften kommt. Da werden Mails nicht beantwortet oder mit Hinweis auf die eigenen Wohltaten, das eigene ökologische „commitment“, beantwortet. Andere behaupten, sie hätten leider gerade „keine Kapazität“ für ein kurzes Telefonat.
Müll in Zahlen
Dabei geht es gar nicht darum, den Veranstaltern den schwarzen Peter zuzuschieben. Zumal es in den vergangenen Jahren durchaus Anstrengungen gab, das Müllaufkommen zu reduzieren. Vor allem aber wächst auch im Rest der Gesellschaft das Plastikmüll-Aufkommen.
Weltweit werden knapp 400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert, Tendenz steigend. In Deutschland fallen nach Informationen des Bundesumweltamts knapp sieben Millionen Tonnen an Kunststoffabfällen an, 40 Kilo pro Person und Tag. Am deutlichsten wird der Plastikwahn im Getränkesektor, wo die PET-Flasche Jahr für Jahr mehr die klassische Pfandflasche aus Glas ablöst. 1992 betrug die Mehrwegquote bei Mineralwasser 90,7 Prozent im Bundesdurchschnitt, 2012 waren es nur noch 43.
Insgesamt werden nach Zahlen des Umweltbundesamtes nur noch 33,5 Prozent der verbrauchten Getränke in Mehrwegverpackungen abgefüllt. Doch während die Pfandflasche aus Glas bis zu 50 Mal wieder befüllt wird und keinerlei Müll verursacht, werden die mit 25 Cent bepfandeten Plastikflaschen bestenfalls eingeschmolzen und neu geformt. Oft werden sie verbrannt, 14 Prozent landen in der Natur.
Nur die Dose ist noch schlimmer
Es ist dann auch eine Ironie der Geschichte, dass der damalige Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) 2006 die anhebende Plastikflut eindämmen wollte, als er 25 Cent auf Einwegdosen und -flaschen erheben ließ. Erreicht wurde das Gegenteil. Weil sie nun auch Pfand für die Einwegflaschen zahlen, halten viele Kunden auch die Plastik-Wegwerfflasche für umweltfreundlich.
Noch schlimmer als der Höhenflug der Plastikflasche ist die Rückkehr der Dose, die noch vor zehn Jahren als Auslaufmodell galt. Spätestens seit Millionen Menschen Energy-Drinks als Kaffee-Alternative oder Party-Getränk nutzen, erlebt sie wieder einen Aufschwung, auf den Konzerne wie Coca-Cola oder die großen Brauereien gerne aufspringen.

Nach neuesten Ende März veröffentlichten Zahlen werden derzeit eine Million Tonnen Getränkedosen produziert – ein Plus von 47 Prozent innerhalb von fünf Jahren. Die würden „vor allem von jüngeren Menschen stark nachgefragt und über Social Media gehypt“, sagt Petra Ossendorf vom Marktforschungsinstitut NIQ. „Die Dose ist ein Klimakiller“, sagt Philipp Sommer von der Umwelthilfe. Selbst laut einer von den Dosenherstellern beauftragten Studie verursacht eine Weißblechdose auf 1000 Liter gerechnet 300 Kilogramm Kohlendioxid-Emissionen, doppelt so viel wie bei der Mehrwegflasche.
Auch die Festivalveranstalter müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre Gäste regelrecht zum Kauf von Dosen und PET-Flaschen zu zwingen. Es ist schließlich noch nicht lange her, da brachten die meisten Besucher ihre Getränke in Pfandkisten mit, die sie ein paar Tage später wieder im Getränkemarkt abgaben. Das jedoch ist seit etwa 20 Jahren bei den mittleren und großen Festivals verboten. Zum Teil werden Sicherheitsbedenken angegeben, zum Teil, dass die Reinigung des Geländes noch aufwendiger werde, wenn Glasscherben herumliegen.
Keine Scherben auf der Futterwiese
Eine ganz andere Begründung hat man beim „Summer Breeze“ in Dinkelsbühl, wo sich jeden August 45.000 Freunde härterer Klänge treffen. „Wir sind seit 2006 in Mittelfranken. Seitdem haben wir das Glasverbot in Absprache mit den Landwirten umgesetzt“, sagt eine Sprecherin. „Die Flächen sind in erster Linie Futterwiesen, dort dürfen keine Scherben landen.“ Indes sei man stolz darauf, dass die meisten Metalheads im vergangenen Sommer ihren Müll nicht liegen gelassen hätten. Und es seien auch kaum Zelte stehen geblieben.
Der Hinweis ist interessant, schließlich haben viele Festivals noch ein größeres Müllproblem als das mit Plastikabfällen: Schon 2019 las man, dass bei deutschen Festivals etwa ein Drittel der Zelte vor der Rückfahrt gar nicht mehr abgebaut wird. Für ein Festival mit 50.000 Besuchern heißt das, dass 15.000 Zelte zurückbleiben. Und wenn man die Bitte auf der Wacken-Homepage liest, sind selbst Zelte nicht das größte Überbleibsel eines Open-Airs: „Bitte nehmt eure Sachen vom Festival wieder mit nach Hause“, las man auf wacken.com noch 2019. „Besonders Kühlschränke, die teuer als Sondermüll entsorgt werden müssen.“