Im besten Fall ist dieses Land ein großer Freizeitpark. Farid ist mit 16 Jahren aus Afghanistan geflüchtet, in München kümmert sich um ihn jetzt ein Pate namens Tom. Und der kennt sich mit den vergnüglichen Seiten dieser Stadt gut aus: erstaunlich gut für einen Doktoranden der Physik, der mit den Anforderungen dieser Disziplin eigentlich ausgelastet sein sollte. Doch seine Begeisterung für die Wissenschaft, zeigt sich bald, ist ohnehin „von Anfang an nicht echt gewesen“, allein die Sache abzubrechen, dafür fehlte ihm der Mut. Und so spielen Pate und Flüchtlingsjunge heute Tischtennis, morgen Federball, später Fußball. Man amüsiert sich auf dem Oktoberfest, fährt zusammen Skateboard, geht ins Freibad.

Über eine lange Strecke lässt Christian Mitzenmacher in seinem Romandebüt „Knallkrebse“ den Leser rätseln, wohin genau die Reise gehen soll zwischen Spieleabend, Cluberlebnis und Museumsbesuch. Wie viele Freizeit-Veranstaltungen kann ein erwachsener Mensch im Jahr unterbringen? Und soll man diese manische Ablenkung etwa als Ausdruck von vorbildlicher Fürsorge und sozialem Engagement verstehen?

Eine Hölle von Spiel und Spaß

Wäre dem so, käme Farid nicht eines Tages auf den Gedanken, dieser Hölle von Sport, Spiel und Spaß per Bahnticket zu entkommen. Auf seiner Flucht, von deren potenziell traumatischen Umständen Tom auffallend wenig erfährt, hatte er nämlich ein Mädchen kennengelernt und wieder aus den Augen verloren. Sie wiederzufinden, scheint ihm wichtiger zu sein als jeder Punktgewinn auf dem Tennisplatz.

Aber nicht mit Tom. Der tigert durch den abfahrbereiten Zug, als wäre ihm sein eigenes, leibliches Kind davongelaufen. Und als er Farid endlich findet, schleift er ihn mit aller Gewalt durch die Gänge, wirft ihn zurück auf den Bahnsteig. Niemand verlässt dieses deutsche Paradies ohne Erlaubnis seines Paten!

Christian Mitzenmacher: Knallkrebse. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 2025, 256 Seiten, 24 Euro.
Christian Mitzenmacher: Knallkrebse. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt 2025, 256 Seiten, 24 Euro. | Bild: FVA

Spätestens jetzt ahnen wir, dass die Motivation hinter dem vermeintlich selbstlosen Flüchtlingshelfer durchaus einen kritischen Blick verträgt. Und als Farid kurz darauf einen Zusammenbruch erleidet, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird, reift auch in Tom der Gedanke: Vielleicht steckt in seinem Tun mehr Egoismus, als er sich eingestehen mag. „Ich kam nur, weil ich hoffte, mich danach besser zu fühlen“, sagt er nach einem Besuch in der Klinik.

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Man kann diesem Plot einiges abgewinnen, vor allem dem allmählichen Reifen an Selbsterkenntnis im Protagonisten. Und wie Mitzenmacher auch eineinhalb Liebesgeschichten mit diesem Prozess verwebt, ist durchaus schlüssig. Allein die Sprache hält diesem Anspruch nicht immer stand. Ständig ist irgendwas „super“, immer wieder wird „geschmunzelt“, „gegrinst“ oder aber „gefaucht“. Und natürlich leuchten allerorts die Augen, wenn sie nicht gerade strahlen. Christian Mitzenmacher, der aus Bad Buchau stammt, hat erzählerisches Potenzial: Ein kritischer Lektor könnte ihm helfen, es abzurufen.