Liebe Frau Will,
Sie nennen uns seit einiger Zeit nicht mehr Zuschauer sondern Zuschauer*innen. Damit wollen Sie Geschlechtergerechtigkeit herstellen – ein gutes Anliegen. Aber ich muss offen gestehen: Bei mir geht das eher nach hinten los.
Dabei wäre ich ja selbst gerne einer jener liberalen Geister, denen es gelingt, jeden Anflug von Ausgrenzung schon beim Sprechen im Keim zu ersticken. Stattdessen aber sehe ich in mir den Inbegriff eines ewig Gestrigen vor dem Fernseher sitzen, sobald von „Zuschauer*innen“ die Rede ist: freudlos, pedantisch, verärgert. Eine Art Mini-Gauland.
Bitte kein Gedicht!
Klar, das liegt an mir. Doch es gibt Mitschuldige. Zum Beispiel eine deutsche Sprache, die Verse hervorbringt wie: „Jeder muss einmal / Sein Vaterland besingen / Sein Nest beschmutzen / auch ich.“ Schön, nicht? Hat übrigens eine Frau geschrieben. Weil ich diese Sprache liebe, graust es mir vor dem Tag, an dem Sie, Frau Will, dieses Gedicht vortragen: „Jede*r muss einmal / Sein – beziehungsweise ihr – Vater-(und natürlich auch Mutter)-land...“
Schließlich haben Sie letztens auch aus dem „Bund der Steuerzahler“ einen „Bund der Steuerzahler*innen“ gemacht, obwohl dieser stockkonservative, von Männern dominierte Verein vielleicht gar keine Lust hat, andere Geschlechter zu vertreten. Da betrieben Sie aus lauter moralischem Sendungsbewusstsein PR statt Journalismus.
Als dann auch noch Grünen-Chefin Annalena Baerbock den Bund der „Steuer*innenzahler“ ausrief, ahnte ich, was außer mir und der deutschen Sprache noch schuld sein könnte an meinem Ärger. Es ist ein Gerechtigkeitsfanatismus, der neben Unsinn seinerseits Diskriminierung hervorbringt: die Ausgrenzung aller nur durchschnittlich Sprachbegabten.
Dabei will ich gar nicht erst von den Migranten in unserem Land sprechen. Von Menschen also, die nach mühsamem Erlernen der deutschen Grammatik Ihre Sendung einschalten und Politiker beim Aussprechen des Wortes „Steuer*innenzahler*innen“ erleben. Wundert es Sie eigentlich, wenn die lieber Putins oder Erdogans Staatsfunk schauen?
Populisten profitieren davon
Nein, selbst Muttersprachlern bereitet es Mühe, hinter diesen Wortgirlanden noch so etwas wie Substanz zu entdecken. Das könnte daran liegen, dass selbst überzeugte Feministen im Alltag nur höchst selten nach „ein*er Ärzt*in“ rufen, wenn es mal ernst wird: Wie Sie mit Ihren Gästen parlieren, Frau Will, das hat mit der Lebenswirklichkeit Ihrer Gebührenzahler wenig zu tun. Es ist elitär statt liberal. Und ich glaube, dass populistische Parteien davon profitieren.
Jeden Halbsatz als Erziehungsauftrag mit der eigenen Gesinnung als Richtschnur für alle zu verstehen: Das scheint mir typisch deutsch. Vielleicht bin gar nicht ich pedantisch, sondern Sie?
Ich plädiere für eine Frauenquote von 50 Prozent in Talkshows wie auch in Dax-Vorständen. Ich möchte, dass die Höhe eines Gehalts nicht vom Geschlecht abhängt. Und ich schäme mich für Männer, die sexuelle Belästigung lustig finden. Das alles nicht etwa wegen ideologisch anmutender Sprachexperimente im deutschen Fernsehen. Sondern trotzdem.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Bruggaier, Kulturredaktion