Was haben Modell-Eisenbahnen und Frauenbrüste gemeinsam? Antwort: Sie sind für Kinder gedacht, aber die Männer spielen damit. Tätä, tätää! Das ist ein Männerwitz, was sonst. Gleichwohl ist die Antwort aufschlussreich. Sie benennt die Doppelfunktion der weiblichen Brust: Für Kinder ist sie Nahrungsquelle und Lustobjekt für den Mann. Nicht wenige junge Väter sind eifersüchtig, wenn ihre Frauen den Säugling an die Brust legen. Bleibt noch die dritte Funktion der Frauenbrust: In der Öffentlichkeit nackt vorgezeigt, kann sie provozieren.
Es begab sich im April 2013. Wladimir Putin besuchte mit Angela Merkel die Messe Hannover. Die damalige Bundeskanzlerin forderte vom russischen Präsidenten mehr Freiheit für dessen Zivilgesellschaft. Mutige Merkel. Aber das war noch gar nichts. Plötzlich rissen sich Aktivistinnen der Gruppe Femen ihre Blusen vom Leib. Sie zeigten Putin ihre nackten Brüste, garniert mit der Aufschrift: „Fuck Dictator.“
Und jetzt? Putin, ganz Mann, sagte, ihm habe das Freiluftbrust-Theater „gefallen“. Und er fügte hinzu: „Ich sehe darin nichts Schreckliches. Aber wenn man eine politische Diskussion will, müsste das auch angekleidet gehen.“ Stimmt irgendwie. Andere Männer interessierte seinerzeit ein anderes Thema. Sie beklagten die Flachbrüstigkeit der Aktivistinnen. Die haben doch gar keine richtigen Brüste! Denkpause. Und eine bescheidene Rückfrage: Wie bitteschön hat eine richtige Frauenbrust auszusehen?

Zur Entlastung der Männer sei angemerkt: Brüste im Fußballformat wollen sie nicht. Allerdings auch keine schlaffen Hänger oder knubbelkleine Varianten. Für eine Studie wurden jüngst Tausend Europäer und Tausend US-Amerikaner befragt. 54 Prozent der Männer bevorzugen durchschnittlich große Brüste. Sagen sie jedenfalls. Immerhin 35 Prozent wollen große Brüste. Kleine Brüste finden nur 11 Prozent attraktiv. Und jetzt die Überraschung: Frauen geht es laut Umfrage ebenso. 60 Prozent finden eine Durchschnittsgröße genau richtig. Allerdings würden sie im Zweifelsfall lieber große als kleine Brüste haben wollen. Wegen der Männer? Wegen der Werbeindustrie? Wegen der Mode und neuen Medien, die wie ein weltumspannender Push-up-BH die Idealgröße vorgeben?
Das Busen-Problem grassiert wie eine Pandemie. Die deutsche Ärzte-Zeitung zitiert eine international angelegte Befragung von über 18.500 Frauen in 40 Ländern. Demnach hätten knapp die Hälfte aller Frauen gerne eine größere Oberweite. Das versteht Mann. Allerdings: Fast einem Viertel der Frauen wären kleinere Brüste lieber. Ein riesiger Busen – für den einen ist es eine Lust, für die andere ist es eine Last. Sportlerinnen wissen das.
Auch in Politik und Wirtschaft haben es Frauen mit Körbchengröße F schwer. Alles darf die Karrierefrau sein, nur nicht Frau. Einem Busenwunder traut die Öffentlichkeit keine gewichtigeren Argumente zu. Fazit der internationalen Studie: Nur jede dritte Frau weltweit ist mit ihrem Busen zufrieden. Immer mehr Frauen, auch junge, legen sich für eine Schönheits-OP unters Messer.
Das begehrteste Modell ist die mittelgroße, straffe, runde Brust. Prall und weich zugleich. Der Orient spricht von Pfirsichen. Im Okzident sind es Äpfel. Frauenbrüste sind ein Sinnbild für Fruchtbarkeit, Jugendfrische und Nahrhaftigkeit. In Wirklichkeit aber ist das Humbug. Um ein Kind zu gebären und zu stillen, dafür reicht ein winziger Busen völlig aus. Und auch Frauen, die jenseits des gebärfähigen Alters sind, können große Brüste haben. Und auch bei Frauen über 60 kann die Brust straff und glatt sein.
Die Gewalt des Nackten
Mit der Frauenbrust sind zwei Vorstellungen verbunden – zum einen der stillende Mutterbusen und zum anderen der sexuelle Reiz. Zwei Bedeutungen – da können Männer schon mal durcheinander kommen. Sind die Brüste entblößt, kommt die Provokation hinzu. Auf dem berühmten Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ (Eugène Delacroix, 1830) führt eine barbusige Barrikadenkämpferin den Aufstand an. Der nackte Oberkörper, dem Gegner offen vorgezeigt, symbolisiert nicht nur schamlos Freiheit, sondern vor allem auch das Vertrauen in die eigene Unverwundbarkeit und Kampfeslust.
In einer Vorlesung von Theodor W. Adorno entblößten 1969 drei Studentinnen ihre Brüste. Adorno war nicht nur ein genialer Philosoph, sondern galt leider auch als Busen-Glotzer; theoretisch links, privat verdruckst. Adorno verließ unter Tränen den Saal. Der Philosoph Peter Sloterdijk kommentierte: „Nicht nackte Gewalt war es, was den Philosophen stumm machte, sondern die Gewalt des Nackten.“
Und im 21. Jahrhundert? Im Zeichen von MeToo, Neofeminismus und Moralismus sind weibliche Entblößungsaktionen tabu. Erstaunlicher noch: Auf den Straßen zeigen Frauen zwar nackte Schenkel und Bäuche, aber keine tiefen Hals-Ausschnitte. Üppige Busen in weit ausgeschnittenen Dekolletés sind nicht mehr zu sehen, nicht einmal mehr in Theatern oder auf festlichen Empfängen. Nur Stars und Sternchen leisten sich noch das öffentliche Busen-Zeigen – und auch das nur auf Bühnen und roten Teppichen. Ansprechen nicht möglich, anfassen verboten. Es bleibt das Anschauen.
Das große Blick-Theater beginnt. Es will immer mehr erfassen. Der Blick will möglichst zu dem vordringen, was man mit dem schrecklichen Wort „Brustwarze“ benennt. Am sogenannten Nippel will sich der Blick am liebsten festsaugen. Zurück zu Mamma? Jedenfalls ist die souveräne, verführerische Eleganz, mit der Stars wie Gina Lollobrigida ihren Busen einst präsentierten, nicht mehr angesagt.
Hingucker Nummer Eins
Rein ästhetisch kann die weibliche Brust von großer Schönheit sein. Rein erotisch ist sie der Hingucker Nummer Eins, übrigens nicht nur für Männer. Frauen schauen ebenfalls wie automatisch auf den Busen ihrer Geschlechtsgenossinnen. Um die Konkurrenz zu checken? Oder wegen einer Sehnsucht zurück zur Mutterbrust? Jedenfalls schaut man schnell wieder weg. Aus Prüderie? Weil man sich beim heimlichen Begehren ertappt fühlt? Zur Ernüchterung aller Beteiligten ist zu sagen: Die viel umworbene Brust (lateinisch: Mamma) ist lediglich ein Hautanhangsgebilde aus Fett und Bindegewebe, wobei die eigentliche Brustdrüse vergleichsweise winzig ist.
In der Natur hat kein anderes Säugetier eine derart ausgeprägte Oberweite wie die Frau. Sogar Schimpansen-Weibchen haben außerhalb der Stillzeit eine sehr flache Brust. Rein biologisch verrät die Brustgröße einer Frau nichts über ihre Fruchtbarkeit, ihre Stillfähigkeit oder gar über ihre Eignung als Mutter. Wozu also soll der üppige Fettanhang bei der Menschenfrau überhaupt nützlich sein?
Darauf haben nicht einmal die Damen und Herren von der Evolutionsbiologie eine Antwort. Fürs Überleben ist die Brustgröße jedenfalls unwichtig. Wenn nur Frauen mit größeren Brüsten bei Männern begehrt wären oder wenn Mütter mit vorspringenden Brüsten besser stillen könnten, dann müssten flachbrüstige Frauen längst ausgestorben sein.
Die Evolutionsbiologie brüstet sich mit vielen Hypothesen, aber keine ist stichhaltig. Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich – und wir alle dürfen uns freuen. Die gigantische Aufmerksamkeit, die wir der weiblichen Brust schenken, ist vor allem kulturell bedingt. Der Mensch als Bewusstseinstier hat grundsätzlich alle Freiheiten, sein Leben zu gestalten. Für Frauen heißt das: Sie können ihren Busen nach den kulturellen, den künstlich geschaffenen Vorbildern zurechtstutzen – oder es auch besser lassen.