Die Stadt nimmt Geld in die Hand für die Einrichtung eines Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Ein notwendiger Schritt?
Roth: Es ist nicht unsere Aufgabe, aber der Bürger hat mich gewählt, um Probleme zu lösen. Wir brauchen Kinderärzte und Hausärzte – vor allem, wenn man die derzeitige Altersstruktur bei den Hausärzten betrachtet. Also müssen wir als Stadt ein Angebot machen, weil dies ein entscheidender Punkt ist.
Das war die Motivation für mich und den Gemeinderat, ein MVZ zu gründen. Das MVZ in Schwenningen war nun der erste Aufschlag, mittelfristig ist auch ein Standort in Villingen geplant. In Schwenningen sind wir auf einem guten Weg: Ärzte sind unter Vertrag; derzeit ist die neu gebildete Genossenschaft noch auf der Suche nach medizinischen Fachangestellten.
Bei der Kinderbetreuung standen zuletzt mehrere hundert Kinder auf der Warteliste. Wie wollen Sie diese Situation verbessern?
Roth: Aktuell haben wir rein rechnerisch 232 Kinder, die einen Platz suchen. Bei den unter Dreijährigen sind dies 87 Plätze, bei den über Dreijährigen 145 Plätze. Dagegen steht aber auch, dass es – Stand heute – 44 freie Plätze gibt. Zudem wurde eine Kooperation mit Bad Dürrheim und Brigachtal geschlossen, um die Flexibilität zu erhöhen.
Wir werden auch noch weitere Plätze schaffen, um die rechnerischen Vorgaben zu erfüllen. Ich möchte aber nicht den Zustand von Berlin haben, dass ich letztlich viel zu viele freie Plätze habe, Personal vorhalte und nachher die Kinder nicht kommen.

Lesen Sie alle Teile des Exklusiv-Interviews mit Oberbürgermeister Jürgen Roth:
1: So geht‘s bei Rössle, Oberer Brühl und Tonhallenareal jetzt weiter
2: Was kann sich Villingen-Schwenningen eigentlich noch leisten?
3: Wie ihm marode Brücken schlaflose Nächte bereiten
4: Was für ihn kluge und was schlechte Politik ist
Ist die Situation aus Ihrer Sicht also gar nicht so alarmierend, wie es zuletzt geheißen hat?
Roth: Doch, schon. Wir müssen mehr Angebote bereithalten. Vielen Eltern bringt es eben nichts, wenn wir noch 17 freie Plätze in Tannheim haben. Wir brauchen in den Kernstädten durchaus noch Kindertageseinrichtungen, weshalb wir dort auch bauen.
Die Kita in der Bürkstraße in Schwenningen und die sechsgruppige Einrichtung im Oberen Brühl in Villingen sind Beispiele dafür. Zudem besteht die Möglichkeit, Anbauten in Modulbauweise an bestehende Kindergärten zu setzen, beispielsweise am Oberlin-Kindergarten und am Schwalbenhaag. Wir stehen auch in engem Kontakt zu den freien Trägern.
Ein Aufregerthema der letzten Monate waren auch die Sperrzeiten. Wenn es nach Ihnen ginge: Status quo beibehalten oder das Thema neu angehen und eine einheitliche Regelung finden?
Roth: Wir haben im Gemeinderat diskutiert, ob wir zu einer einheitlichen Regelung zurückkehren. Wir haben dann entschieden, das zu lassen und bedarfsgerecht entschieden. Das wiederum ist schwer zu erklären, wenn auf der einen Seite um 22 Uhr zugemacht wird und auf der anderen Seite um 0 Uhr am Wochenende.
Ich kann das nicht erklären, weil es ein Faktum ist aufgrund von Beschwerden. Dass 22 Uhr eingeklagt wird, ist eine Tendenz, die wir registrieren müssen. Ich bin maximal unglücklich darüber.
Wollen Sie in dieser Frage noch einmal einen Vorstoß im Gemeinderat unternehmen?
Roth: Wir haben das erst im März diskutiert, mit dem beschriebenen Ergebnis. Das Problem stellt sich im Übrigen vor allem in Villingen, weniger in Schwenningen. Auch das muss man bei dieser Diskussion berücksichtigen.
Ich hoffe auf den Gesetzgeber im Bund. Momentan sind die 40 Dezibel ab 22 Uhr der Maßstab für die Gerichte, weil es sonst keine Entscheidungsgrundlage gibt.
Werden wir von Empfindlichkeiten regiert?
Roth: Da hat sich gesellschaftlich schon etwas verändert. Zum einen die Empfindlichkeit und auf der anderen Seite auch das offensivere Durchkämpfen eigener Rechte ohne den Blick nach rechts und links. Das Bürgeramt versucht aber schon, die Interessen abzuwägen und Lösungen anzubieten.
Starkregen sind immer häufiger. Wie gut ist die Stadt für Wetterextreme gerüstet?
Roth: Was das Kanalsystem betrifft, haben wir gerade einen Generalentwässerungsplan in Auftrag gegeben, um für diesen Bereich ein Update zu schaffen. Wir haben Bereiche, in denen es einen Rückstau gibt. Der Kanal kann das nicht aufnehmen.
Hier müssen sich auch Hausbesitzer Gedanken machen, wie sie mit einer Klappe Rückstaus vermeiden können. Ich kann aber aus der Situation heraus nicht plötzliche eine Schwammstadt generieren. In den neuen Baugebieten reagieren wir konkret auf dieses Phänomen mit diversen Maßnahmen.
Auch die zunehmende Hitze wird gerade für die Innenstädte zum Problem.
Roth: Was die Hitze betrifft, haben wir schnell reagiert mit den Vernebelungsanlagen. Das ist natürlich ein Pflaster, keine Konzeption. Für die neue Generation der Plätze, Stichwort Muslenplatz, werden wir an der Begrünung arbeiten.
Und auch für die Neubaugebiete gibt es entsprechende Planungen. Am Marktplatz haben wir versucht, mit beweglichen Lösungen zu reagieren, sodass man dort Schatten finden kann.

Bei der Kommunalwahl 2024 haben sich markante Änderung im Gemeinderat ergeben – mit Auswirkungen, die spürbar sind. Das alte Stadtteildenken wurde weniger, die Ideologisierung mancher Debatte hat zugenommen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Roth (schmunzelnd): Ich hoffe, dass wir ideologische Debatten eher in die Nachsitzung vertagen können. Unsere Ideologie muss lauten: Was ist das Beste für die Stadt? Ideologische Themen, die als Impuls hereingenommen werden und als Vorgabe auf die Stadt übertragen werden, das halte ich eigentlich für die schlechteste Methode.
Man muss aber auch sehen: Ideologie in den Bereichen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist farbenunabhängig klug. Wie sehr sich das durch alle Fraktionen zieht, konnten wir zuletzt bei der berechtigten Diskussion um den Baustoff Holz feststellen.
Da gab es ordentlich Ärger, weil die Stadt wegen der Art der Ausschreibung nicht den Baustoff vorschreiben kann, den Verwaltung und Gemeinderat eigentlich favorisieren.
Roth: Ja, da gab es eine emotionale Diskussion – und diese Debatte war nicht ideologisch geprägt. Es wurde das Signal ausgesandt, in diesem Bereich aktiv sein zu wollen. Bei den nächsten Ausschreibungen – und da achte ich künftig auch selbst sehr darauf – werden wir besser auf den Baustoff achten.
Andererseits müssen wir auf unser Haushaltsdefizit schauen und das mit klugen Investitionen begleiten. Da sehe ich im Gemeinderat die Bereitschaft, das zu berücksichtigen und danach zu handeln.
Und wie sehen Sie die Entwicklung beim Stadtteildenken?

Roth: Ich sehe wirklich mit Freude, dass dieses Stadtteildenken im Badischen und Württembergischen gewichen ist zugunsten von Sachentscheidungen. Das merke ich auch an unseren Vorhaben im Stadtbezirk Schwenningen: Es war auch für den Gemeinderat wichtig, dass wir hier für die Stadtentwicklung etwas machen müssen.