Nächstes Kapitel im Streit um Rassismus in der Kunst: Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ ist Pflichtlektüre für den kommenden Abitur-Jahrgang in Baden-Württemberg. Eine Ulmer Lehrerin, selbst Rassismus-erfahren, will deswegen eine berufliche Pause einlegen. Etwa 100 Mal habe sie das N-Wort in dem Buch gefunden, die Lektüre habe einen der schlimmsten Tage ihres Lebens verursacht.
Darf, soll, muss ein solches Werk Gegenstand schulischer Bildung sein? Die einfachen Antworten auf schwierige Fragen finden sich wie immer an den politischen Rändern. Nein, das N-Wort geht gar nicht! Ja, man kann doch nicht auf jede Befindlichkeit Rücksicht nehmen!
Zwar ist unstrittig, dass Koeppens Buch Rassismus-kritisch gemeint ist. Aber ein guter Kontext heiligt noch nicht die Mittel, und wer selbst Diskriminierung nie erlebte, hält sich mit Kommentaren über die Wirkungskraft rassistischer Begriffe besser zurück. Einigkeit bei der Literaturauswahl für die Schule sollte zumindest in einem Punkt bestehen: Das Werk und insbesondere die Auseinandersetzung damit dürfen Rassismus, Antisemitismus oder anderweitige Ausdrucksformen von Menschenverachtung nicht befördern. Und was das angeht, habe ich in der Debatte um „Tauben im Gras“ Fragen.
Eine unerträgliche Vorstellung
Wenn Rassismus eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft ist: Wäre es dann nicht Aufgabe von Schule, sich dieser Aufgabe anzunehmen? Wenn jungen Menschen ein Bewusstsein über die tatsächlichen rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft abverlangt wird: Sollten sie dann nicht Bücher lesen, die von diesen Strukturen erzählen? Wie sonst wäre das zu leisten, wenn nicht durch eine zwangsläufig schmerzhafte Lektüre?
Die Vorstellung fällt bei Koeppens Werk zwar nicht leicht, aber gewiss lässt sich auch dieses fehlinterpretieren oder gar bewusst missbrauchen. Das N-Wort, von einem weißen Schüler extra laut vorgelesen, mit höhnischem Blick auf die schwarze Klassenkameradin, dazu Gekicher aus der letzten Reihe: eine unerträgliche Vorstellung. Doch die Wirklichkeit ist eben manchmal unerträglich. Machen wir uns nichts vor: Schüler, die sich im Unterricht so verhalten, tun dies auf dem Pausenhof allemal.
Ein Lehrer kann das Unerträgliche also in die Pause verbannen, aus seinem Blickfeld ausblenden. Müsste er aber nicht im Gegenteil geradezu dankbar dafür sein, wenn sich die ganz realen Abgründe unserer Gesellschaft im Klassenraum auftun? Dort wo eine pädagogisch geschulte Fachkraft Einfluss nehmen kann? Gehören sie denn etwa nicht genau dahin?
Wenn eine Lehrerin sich aufgrund eigener Erfahrungen nicht in der Lage sieht, diesen zugegeben anspruchsvollen pädagogischen Auftrag zu erfüllen, verdient das Verständnis und Respekt. Dass persönliche Traumata im Berufsleben gelegentlich unauflösbare Konfliktlagen erzeugen, kommt in vielen Branchen vor. Ob es aber klug wäre, aus solchen individuellen Fällen allgemeine Entscheidungen abzuleiten, steht auf einem anderen Blatt. Die Lektüre-Liste für den Deutschunterricht würde dramatisch schrumpfen. „Es geht darum“, sagt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), „deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt.“ Ich kann ihr folgen.